Ein Glas Grapefruitsaft hat noch keinem geschadet? Falsch. Unter gewissen Umständen sollte man auf bestimmte Früchte verzichten, denn die enthaltenen Flavonoide können zu Interaktionen führen. Grapefruit etwa kann die Wirkung des Psychopharmakons Diazepam verstärken.
Penicillin, Benzol, Teflon oder LSD sind durch Zufall entstanden. Der Pharmakologe Prof. David Bailey von der University of Western Ontario wollte zum Beispiel einem Antihypertonikum zu besserem Geschmack verhelfen und setzte im Jahr 1991 auf die Grapefruit. Es veränderte sich jedoch nicht nur der Geschmack, sondern auch der Blutspiegel. Seitdem ließ Bailey diese Erkenntnis nicht mehr los und er erforschte die Wirkung von Fruchtsäften auf die Pharmakokinetik von Arzneistoffen. Bailey präsentierte erste Studien an Menschen und betonte, dass sich seine Erkenntnisse nicht nur auf Pampelmusen und Grapefruits beschränken, sondern auch für andere Obstsorten wie Orangen und Äpfel gelten. Flavonoide wie Naringenin, Naringin und das Furocumarin Bergamottin werden für Arzneimittelinteraktionen verantwortlich gemacht. Es existieren mehrere unterschiedliche Mechanismen, die die Wechselwirkung hervorrufen.
Einerseits hemmen die in Obst enthaltenen Flavonoide sogenannte CYP-P450-Enzyme, die der Oxidation vieler körpereigener und körperfremder Substanzen (z.B. Arzneimittel) dienen. Überwiegend werden dabei CYP3A4 in der Darmwand gehemmt. Deshalb ist diese Interaktion nur relevant, wenn der Arzneistoff enteral eingenommen wird, bei einer parenteralen Gabe kommt es zu keiner Wirkungsbeeinflussung. Wird CYP3A4 durch Naringenin und Co inaktiviert, verringert dies den präsystemischen First-Pass-Effekt und die orale Bioverfügbarkeit des Arzneistoffes steigt. Die Steigerung ist dosisabhängig und kann bis weit über 1.000 Prozent reichen. Besonders bei Substanzen mit einer engen therapeutischen Breite können dann für den Patienten lebensbedrohliche Wechselwirkungen eintreten. Die Interaktionen werden durch Fruchtsäfte, aber auch durch frische Früchte oder daraus hergestellte Marmeladen ausgelöst. Die Enzymbindung ist kovalent und irreversibel, ein zeitlicher Abstand zwischen dem Fruchtsaftgenuss und der Arzneimitteleinnahme bringt also nicht viel. Grapefruit und Johanniskraut verhalten sich hinsichtlich der Interaktionen invers zueinander. Wenn Grapefruit den Wirkstoffspiegel steigert, wird er durch Johanniskrautpräparate gesenkt, und umgekehrt. Der Opiatantagonist Naloxegol ist beispielsweise wirksam bei einer opiatbedingten Verstopfung und wird durch CYP3A4 metabolisiert, Grapefruit lässt den Blutspiegel um knapp 100 Prozent ansteigen, unter Johanniskraut wird die Wirkung hingegen deutlich gemindert. Wer durch den Genuss von Grapefruit extrem müde wird, hat möglicherweise vorher Diazepam eingenommen, dessen Konzentration (AUC) kann auf 320 Prozent ansteigen.
Auch vollkommen unabhängig von CYP3A4 kann die Wirkung von Arzneistoffen gehemmt oder vollständig aufgehoben werden. Grund hierfür ist die Hemmung der Aktivität von Transportproteinen. Dies gilt für den Effluxtransporter P-Glykoprotein und für die organischen Anionentransporter OAT1A2 und OAT2B1. Der Wirkstoffspiegel des oralen Gerinnungshemmers Apixaban kann durch den Verzehr von Grapefruit um fast 100 Prozent ansteigen. Eine Hemmung der renalen Organo-Anion-Transporter (OATP), führt ebenfalls dazu, dass bestimmte Pharmaka vermindert eliminiert werden. Wird der Transporter OATP hingegen intestinal gehemmt, kann es zu Wirkungsminderung oder –verlust der Arzneistoffwirkung kommen. Es sind noch viele Fragen hinsichtlich der Mechanismen offen. Auch weitgehend unklar ist, ob und wie Orangen, Pomelo und Apfel mit Arzneistoffen interagieren. Eine umfangreiche Übersicht über die Beeinflussung der Inhaltsstoffe zahlreicher tropischer Früchte bietet Mallhi et al.
Geht man die Tabelle von Mallhi und seinen Kollegen durch, sieht man Ananas, Pomelo, Mango und Zitrone mit ganz anderen pharmakologischen Augen. Ananassaft beeinflusst vermutlich durch den Bromelaingehalt CYP2C9. Über dieses Enzym werden auch Diclofenac, Tolbutamid und Cumarinderivate abgebaut. Zitronensaft inhibiert die Enzyme CYP3A4, CYP2C9, und vermutlich auch das transportierende Protein OATP und hat damit ein ähnliches Interaktionsspektrum wie Grapefruit. Schön einfach wäre die Formel, dass alle gelben Fruchtsäfte zu Interaktionen führen können. Leider stecken auch in roten Früchten Flavonoide und Anthocyane. Blaubeersaft beispielsweise interagiert auch mit CYP3A4. Cranberrysaft, gern auch eingesetzt zur Prophylaxe einer Zystitis, inhibiert CYP2C9 und ist somit ein potentieller Interaktionspartner mit dem Calciumantagonisten Nifedipin und Gerinnungshemmern. Die Sternfrucht (Karambole) wurde als noch stärkerer Inhibitor auf CYP3A4 identifiziert als die Grapefruit. Die Flockhart-Tabelle der Universität Indiana gibt einen aktuellen Überblick über alle Interaktionen mit CYP-P450.
In einer umfangreichen Studie von Dolton et al. wurde der Einfluss von Grapefruit-, Apfel- und Orangensaft auf ein Dutzend von Arzneistoffen datenbankbasiert untersucht. Der Reninhemmer Aliskiren erwies sich dabei als besonders sensibel. Unter allen drei Fruchtsäften sank sein Blutspiegel um bis zu 75 Prozent. Der Betablocker Atenolol „mochte“ hingegen keinen Apfelsaft. Die AUC sank fast auf Null. Celiprolol wurde durch Apfel- und Orangensaft praktisch unwirksam. Das Antiallergikum Fexofenadin wirkt nicht, wenn der Patient einen der drei Säfte konsumiert hat. Das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin verträgt sich ebenfalls nicht mit Grapefruitsaft, sein Blutspiegel wurde dosisabhängig nahezu halbiert. Das Antiarrhythmikum Amiodaron hemmt die Natrium/Kaliumpumpe und wird bei tachykarden Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Eine Kausuistik von Sheehan et al. berichtet über eine Patientin, bei der durch Gin-Tonic QT-Zeit-Verlängerungen ausgelöst wurden. Verantwortlich war das Chinin aus dem Bittergetränk und aus einem Medikament gegen Wadenkrämpfe, das mit Amiodaron interagierte. Amiodaron hat eine Halbwertzeit von etwa 100 Tagen. In einer älteren Studie von Libersa et al. kommt es ebenfalls mit Grapefruitsaft zu einer Änderung der Pharmakokinetik und einem Anstieg den Blutspiegels.
Für die Interaktion von Grapefruitsaft mit Statinen gibt es unzählige Studien. Der Blutspiegel von Lovastatin kann um 260 Prozent ansteigen, der von Atorvastatin um 80 Prozent. Die Spitzenkonzentration von Simvastatin steigt um 1200 Prozent, die AUC um 1340 Prozent. Simvastatinkonzentration mit Grapefruit und Wasser (mod. nach Lilja J. et al.) Statine lösen sehr häufig Muskelschmerzen aus. Neben diesen Myalgien kann es in seltenen Fälle auch zu einem Muskelzerfall kommen, deren Risiko dosisabhängig ist. Da Grapefruit den Blutspiegel von Statinen um bis zu 1.200 Prozent ansteigen lassen kann, sollten Statinpatienten Grapefruitprodukte grundsätzlich meiden.
Ebenfalls riskant ist die Kombination mit der Pille und Grapefruit. Der Spiegel an Estradiol kann um knapp 30 Prozent ansteigen und somit das Risiko für eine Thrombose erhöhen. Ein erhöhter Estrogenspiegel wird auch mit einem gesteigerten Brustkrebsrisiko in Verbindung gebracht. Eine Studie von Spencer et al. hat untersucht, ob Frauen, die Grapefruitsaft trinken oder Früchte essen, ein größeres Risiko für Brustkarzinome aufweisen. Eine druckfrische Studie von Cirmi et al. untersuchte ebenfalls die Wirkung von Zitrussäften auf das Krebsrisiko und spricht ihnen ein Potenzial zur Krebsprophylaxe zu. Auch die Teetrinker sollten aufpassen: Denn Earl Grey Tee ist mit ätherischen Ölen der Bergamotte aromatisiert. Das darin enthaltene Bergamottin ist ein starker Inhibitor von CYP1A1. Über dieses Enzym wird beispielsweise das Antipsychotikum Clozapin metabolisiert. Ein Tässchen Tee kann den Pharmakonspiegel erheblich ansteigen lassen. Auch das BfArM musste sich schon mit dem „Saftproblem“ beschäftigen und warnte bereits vor vier Jahren vor Interaktionen mit Zubereitungen aus Goji-Beeren. Bei Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten einnehmen, können Wechselwirkungen auftreten. In den berichteten Fällen kam es zu einem deutlichen Anstieg der INR-Werte oder zu Blutungen. Bei einer Patientin stieg der INR-Wert zwischen zwei monatlichen Routinekontrollen von 2,5 auf 4,1. In einem anderen Fall wurde eine INR-Erhöhung auf 4,97 festgestellt. Verantwortlich ist vermutlich eine Blockade von CYP2C9. In einem aktuellen Beitrag weist der „Vater“ der Grapefruitinteraktionen Bailey allerdings darauf hin, dass die Mechanismen der Arzneimittelwechselwirkungen sehr komplex sind und noch viele Fragen geklärt werden müssen.