Diclofenac weist ein ähnliches Nebenwirkungsprofil auf wie Rofecoxib, das im Jahr 2004 vom Markt genommen wurde. Dennoch führt Diclofenac die Verkaufsstatistiken der NSAR an. In einer Publikation fordern Wissenschaftler nun das Verbot von Diclofenac.
Vor knapp 40 Jahren kam das Antirheumatikum und Schmerzmittel Diclofenac auf den Markt. Aufgrund der langjährigen, guten therapeutischen Erfahrungen wurde die Verschreibungspflicht für das Medikament im Jahr 2004 für die 12,5-Milligramm-Dosierung aufgehoben. Seit 2007 ist Diclofenac auch in der Dosierung 25 Milligramm pro Einzeldosis rezeptfrei erhältlich. Rezeptfreie Diclofenac-Präparate (Tageshöchstdosis: 75 mg) sind für die kurzzeitige Selbstmedikation (maximal vier Tage) von leichten bis mittelschweren Schmerzen zugelassen. Nun fordern Wissenschaftler die Marktrücknahme von Diclofenac. Wie kann das sein? Nebenwirkungen wie Rofecoxib Seit seiner Zulassung ist Diclofenac Gegenstand zahlreicher Studien, deren Anzahl pro Jahr stetig zunimmt. So findet man bei Pubmed für das Jahr 1990 noch 145 Studien, die sich mit Diclofenac beschäftigen, im Jahr 2012 waren es fast viermal so viele, nämlich 538. In den letzten Jahren wurde Diclofenac immer wieder mit einem erhöhten Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen in Verbindung gebracht. Dass hochwirksame Schmerz- und Entzündungshemmer auch Nebenwirkungen haben, ist kein Geheimnis. Studien zeigten jedoch, dass es unter einigen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie beispielsweise Rofecoxib, Diclofenac oder Etoricoxib häufiger zu kardiovaskulären Nebenwirkungen kommt als unter anderen, wie beispielsweise unter Naproxen. Die Einnahme von Diclofenac kann zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Damit ähnelt das Nebenwirkungsprofil dem des Stoffes Rofecoxib, besser bekannt als Vioxx, der im Jahr 2004 aufgrund seiner kardiovaskulären Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde. Bekannte Risiken nicht praxisrelevant Eine im Februar 2013 in PLOS Medicine veröffentlichte Studie untersuchte, ob sich die seit langer Zeit bekannten Erkenntnisse zum Risikoprofil von Diclofenac in der medizinischen Praxis widerspiegeln. Dies scheint nicht der Fall zu sein: Die Autoren untersuchten Verkaufsdaten aus 15 Industrie-, Schwellen und Entwicklungsländern aus dem Jahr 2011. Diese spiegelten wieder, dass Diclofenac weltweit das mit Abstand meistverkaufte NSAR ist. In den 15 Ländern kommt Diclofenac auf rund 28 Prozent der Verkäufe in dieser Arzneiklasse – fast so viel wie die drei nächstplatzierten Wirkstoffe (Ibuprofen 11 %, Naproxen 9 % und Mefenaminsäure 9%) zusammen. Deutschland taucht in der Studie zwar nicht auf, doch auch hierzulande wird Diclofenac häufig verordnet oder rezeptfrei gekauft. Woran liegt das? "Dahinter stecken aggressive Marketingstrategien der Pharmakonzerne“, vermutet Prof. Dr. Christoph Stein, Klinikleiter und Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie der Charité am Campus Benjamin Franklin in Berlin. Nationale Listen zur Orientierung Beim Verschreiben von NSAR sollten Ärzte die Vorerkrankungen und das Risikoprofil ihres Patienten im Auge behalten. Speziell bei Patienten mit einer kardiovaskulären Vorbelastung sollten sich Ärzte entweder gegen NSARs entscheiden oder ein NSAR verschreiben, das mit einem relativ geringen kardiovaskulären Risiko einhergeht, so die Empfehlung der WHO. Dabei können sich Mediziner – so der ursprüngliche Plan - an Listen essenzieller Arzneimittel, die von der WHO aber auch von vielen nationalen Behörden veröffentlicht werden, orientieren. Für Pharmazeuten gilt es, auch bei der rezeptfreien Abgabe von niedrig dosiertem Diclofenac über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Auf der WHO-Liste essenzieller Medikamente finden sich unter der Rubrik NSAR Ibuprofen und ASS, nicht aber Diclofenac. Dennoch zeigte die aktuelle Studie, dass Diclofenac in den nationalen Listen von 74 von 86 Staaten auftaucht - Naproxen, die offenbar sicherere Alternative jedoch nur auf 27 der nationalen Listen. Eine Farce für die Studienautoren: "Die Empfehlungen auf den nationalen Listen essenzieller Medikamente sollten auf einem gut überprüften Nutzen-Risiko-Vergleich basieren und die sicheren Medikamente bevorzugen", so die Wissenschaftler. Diclofenac: Miserables Risikoprofil In ihrer Metaanalyse untersuchten die Forscher das Risikoprofil verschiedener NSAR. Dabei schnitten insbesondere Diclofenac und Etoricoxib im Vergleich zu Ibuprofen und vor allem zu Naproxen schlecht ab. Diclofenac scheint demnach nicht weniger gastrointestinale Beschwerden zu verursachen als andere NSAR, dafür aber häufiger zu Herzinfarkten und Schlaganfällen zu führen. Die Wissenschaftler sehen darin überzeugende Gründe, einen weltweiten Rückzug der Zulassungen von Diclofenac zu fordern. Gibt es Alternativen zu Diclofenac? Doch Diclofenac besticht auch durch zahlreiche Vorteile, welche der Wirkstoff gegenüber seinen NSAR-Kollegen aufweist: Laut einer in vitro-Studie aus dem Jahr 1988 hat Diclofenac unter den gebräuchlichen NSAR die höchste Wirkpotenz. Klinische Studien bestätigten später, dass 25 mg Diclofenac genauso wirksam sind wie 400 mg Ibuprofen oder wie 1000 mg ASS. Da Diclofenac schnell im entzündeten Gewebe anflutet, erreicht der Wirkstoff bereits nach 30 Minuten seinen maximalen Wirkstoffspiegel. Auch da können ASS und Ibuprofen, die jeweils 1 bis 2 Stunden für diesen Prozess benötigen, nicht mithalten. Das offenbar besser verträgliche Naproxen landet beim Vergleich dieser vier NSAR mit einer Anflutzeit von 2 bis 4 Stunden auf dem letzten Platz. Auch beim Akkumulationsrisiko scheint Diclofenac die Nase vorn zu haben, da die Substanz rasch aus dem Organismus entfernt wird. So beträgt die Eliminationshalbwertszeit von Diclofenac lediglich ein bis zwei Stunden. Naproxen hat dagegen eine Halbwertszeit von zwölf bis 25 Stunden. Diclofenac in der Praxis dennoch durch andere NSAR zu ersetzen, kann sich Prof. Stein durchaus vorstellen: "Die sogenannten 'Nachteile' in der Pharmakokinetik könnten durch Veränderung der Einnahmeintervalle ausgeglichen werden. Die sog. 'Wirkpotenz' beruht ohnehin meist auf in vitro-Studien, die keine Rückschlüsse auf Wirksamkeit in der klinischen Realität zulassen", erklärt er. NSAR seien grundsätzlich gefährlich. "Bei sämtlichen NSAR besteht ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen", so Prof. Stein weiter. Für den Chefarzt ist es wichtig, bei der Verordnung eines NSAR die individuellen Risikofaktoren seiner Patienten zu berücksichtigen. BfArM: Marktrücknahme? Was meinen die zuständigen Behörden zum Thema Marktrücknahme? Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) äußerte sich auf Nachfrage von DocCheck zur Risikoüberprüfung von Diclofenac folgendermaßen: "Die bekannten Risiken von Diclofenac haben bereits in der Vergangenheit zu Gegenanzeigen, besonderen Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung von Diclofenac bei Patientinnen und Patienten mit kardialen Vorerkrankungen geführt. Aktuell wird Diclofenac unter Beteiligung des BfArM von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA neu bewertet. Inwieweit dies zu möglichen weiteren Maßnahmen für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten führt, können wir derzeit noch nicht abschließend sagen." Ob das verkaufsstärkste NSAR möglicherweise vom Markt genommen wird, bleibt also abzuwarten.