Das Enzym NucB befähigt Meeresbakterien, sich von Algen zu lösen, um an einem anderen Standort weiterzuwachsen. Da das Protein extrazelluläre DNA in bakteriellen Biofilmen auflöst, könnte es bald Patienten mit chronischer Sinusitis nutzen.
Eigentlich ging es bei den Forschungsarbeiten des Mikrobiologen Nicholas Jakubovics und seines Teams gar nicht um chronisch verschnupfte Nasen. Die Wissenschaftler der University of Newcastle suchten nach einer Möglichkeit, von Algen befallene Schiffsrümpfe wieder sauber zu bekommen – ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Als die Forscher die Meeresalgen auf den Schiffsrümpfen untersuchten, stießen sie auf ein Bakterium, das Biofilme produziert. Diese benötigt Bacillus licheniformis, damit es auch bei turbulenten Wasserbewegungen nicht von der Oberfläche der Algen gespült wird. Die feste Verbindung zu den Algen kann das Bakterium allerdings auch wieder lösen, wenn es sich an einem anderen Ort ansiedeln möchte. Genau dieser Umstand machte Bacillus licheniformis zu einem interessanten Forschungsobjekt für die Wissenschaftler. Extrazelluläre DNA klebt Laboruntersuchungen zeigten, dass das Meeresbakterium ein Enzym namens NucB produziert, welches ihm das Lösen der äußerst stabilen Verbindung zu den Algen ermöglicht. "Im Prinzip zersetzt dieses Enzym einfach die extrazelluläre DNA, die wie ein Kleber die Bakterienzellen zusammenhält", erklärt Nicholas Jakubovics von der Newcastle University. Extrazelluläre DNA kommt häufig in den Biofilmen von Bakterien und Pilzen vor. Die Erbgutmoleküle stabilisieren die Struktur des Biofilms, verstärken das erste Anheften der Mikroben an eine Oberfläche, fördern den Austausch genetischer Informationen und dienen außerdem als eine Art Nährstoffspeicher, auf den die Mikroorganismen in schlechten Zeiten zurückgreifen können. Chronische Sinusitis – jeder zehnte Schnupfenpatient betroffen Etwa zur gleichen Zeit bereiteten Mohamed Elbadawey von der HNO-Abteilung des Freeman Hospitals in Newcastle seine Patienten mit chronischer Sinusitis Sorgen. Bei einem Schnupfen schwellen die Schleimhäute oft so stark an, dass der Schleim aus den Nebenhöhlen nicht mehr abfließen kann. Das kann sich für die Patienten in einer ständig verstopften oder laufenden Nase, wiederkehrenden Kopfschmerzen, dem Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns und Gesichtsschmerzen äußern. Eine akute Entzündung der Nasennebenhöhlen kann selbständig ausheilen, oder mit Antibiotika und/oder cortisonhaltigen Nasensprays erfolgreich innerhalb kurzer Zeit behandelt werden. Bei etwa jedem zehnten erwachsenen Sinusitis-Patienten in Europa schlägt allerdings keine der Therapieoptionen an. Wenn eine Sinusitis länger als 12 Wochen andauert, spricht man von einem chronischen Zustand. Hartnäckiger bakterieller Biofilm Die Gründe dafür sind sehr breit gestreut: Neben anatomischen Besonderheiten im Bereich der Nasennebenhöhle wie einer verbogenen Nasenscheidewand, einer großen Nasenmuschel oder gutartigen Schleimhautwucherungen, sogenannten Polypen, die eine Engstellung der Eingänge bewirken, können auch Allergien und Rauchen die chronische Entwicklung einer Sinusitis begünstigen. Untersuchungen zeigten außerdem, dass vor allem hartnäckige bakterielle Biofilme maßgeblich daran beteiligt sind, dass ein Schnupfen zum Dauerzustand wird. Bei den betroffenen Patienten bilden die bakteriellen Auslöser der Entzündung im Nasenraum einen extrem widerstandsfähigen Biofilm aus, den weder das menschliche Immunsystem noch die gängigen Medikamente gegen Erkrankungen dieser Art durchdringen können. Bakterien finden in einem Biofilm ideale Wachstumsbedingungen und sind dort sogar bis zu 1000mal widerstandsfähiger gegen Antibiotika als ihre frei lebenden Artgenossen. Die schleimige Bakterienschicht ist durch ein dichtes Netz aus Biomolekülen miteinander und mit der Oberfläche der Schleimhäute verbunden. Dabei wirken die langen, helixartigen Moleküle der extrazellulären DNA wie ein äußerst effektiver Klebstoff. "Nasensprays und Antibiotika können zwar einigen Betroffenen helfen, bei vielen meiner Patienten aber sind sie nicht effektiv. Diese Patienten müssen sich dann der Belastung einer Operation unterziehen, um ihre Verschleimungen loszuwerden", erklärt Mohamed Elbadawey. Von einer alternativen Behandlungsmethode könnten tausende Patienten pro Jahr profitieren, fügt er hinzu. Doch dazu müsste man zunächst den Biofilm der Bakterien zerstören. Veralgte Schiffsrümpfe und verschleimte Nasen Ein Student, der sich bei Mohamed Elbadawey behandeln ließ, brachte die beiden Forschergruppen schließlich zusammen. Er erzählte Elbadawey von einer Vorlesung, in der er von der Entdeckung des NucB-Enzyms gehört hatte. Seitdem arbeiten die Wissenschaftler zusammen, um das medizinische Potenzial von NucB zu untersuchen. In einer gemeinsamen Studie gewann das Forscherteam zunächst Biopsien der Nasenschleimhaut von 20 Patienten, die an chronischer Sinusitis litten. Aus dem Probenmaterial isolierten die Wissenschaftler zwei bis sechs verschiedene Bakterienarten pro Patient. Am häufigsten fanden die Forscher dabei folgende Organismen: Staphylococcus epidermidis, Staphylococcus aureus, Streptococcus spp., Corynebacterium spp. und Propionibacterium spp.. Pilze hingegen waren in den Patientenproben der Forscher nicht vorhanden. 11 der 20 Patienten beherbergten Bakterienstämme, die extrazelluläre DNA bildeten. Von den insgesamt 75 verschiedenen Bakterienstämmen untersuchten die Wissenschaftler 24 Stämme, die allesamt Bakterienfilme mit beträchtlichen Mengen an extrazellulärer DNA bildeten. Das Enzym NucB aus Bacillus licheniformis konnte immerhin 14 dieser robusten Biofilme auflösen. Darin sehen die Wissenschaftler großes biomedizinisches Potenzial für Patienten mit chronischer Sinusitis: Könnte man dieses Enzym beispielsweise als Nasenspray einsetzen, hätten die Erreger keine Chance mehr, sich vor einem Antibiotikum zu verstecken. Momentan testen die Wissenschaftler die Sicherheit von NucB, um möglichst bald einen industriellen Partner zu finden, mit dem sie das Enzym zu einem marktfähigen Medikament weiterentwickeln können. Ob die veralgten Schiffsrümpfe davon auch profitieren werden, bleibt abzuwarten.