Histaminintoleranz wird nicht selten als eigenständiges Krankheitsbild in Frage gestellt. Ein Argument dafür: Der Körper könne nicht gegen einen biogenen Transmitter unverträglich reagieren. Seit 2012 hat die HIT eine eigene Leitlinie.
Bei einer Histaminintoleranz handelt es sich um keine echte Allergie im klassischen Sinne. Es kommt zu keiner Antigen-Antikörper-Reaktion, sondern der Körper kann exogen aufgenommenes Histamin nicht ausreichend abbauen. In Rotwein, gereiftem Käse, Rohwurst, Tomaten und Sauerkraut sind zum Teil erhebliche Mengen an Histamin vorhanden. Spitzenreiter ist Thunfisch. Bei den Patienten kommt es nach Genuss dieser Nahrungsmittel zu einer enteralen Histaminose.
Pathogenese unklar
Die Aktivität des histaminabbauenden Enzyms, der Diaminoxidase (DAO), im Darm wird gehemmt und Histamin dadurch vermindert abgebaut. Ein anderer Histaminabbauweg ist eine Methylierung durch Histamin-N-Methyltransferase (HNMT). Die Folgen sind Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden, Magen-Darmstörungen und Hautausschlag. Neben Histamin zählt auch Serotonin zu den biogenen Aminen. Es kommt unter anderem in Walnüssen, Bananen und Ananas verstärkt vor. Soweit zumindest die bisher angenommene Pathogenese.
HIT-Test ist kein Hit
Bisher existiert kein objektiver Parameter zum Nachweis der Histaminintoleranz. Zwar können der Plasmahistaminspiegel, Methylhistamin im Urin und die DAO-Aktivität im Serum gemessen werden, doch erlauben die Werte keine eindeutigen Schlussfolgerungen. Auch Provokationstests mit 0,75 mg/kgKG Histaminhydrochlorid sind nicht valide, auch einige gesunde Probanden reagieren darauf. Bei der medizinischen Puzzlearbeit sollte differenzialdiagnostisch an entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Kohlenhydratverwertungsstörungen oder "echte" Nahrungsmittelallergien gedacht werden.
HIT-Liste
Prof. Dr. Reinhart Jarisch, Allergologe aus Wien prangert folgende Nahrungsmittel als HIT-Auslöser an:
Der Histamingehalt von Nahrungsmitteln kann je nach Reifegrad, Lagerdauer und Verarbeitung stark schwanken. So findet man beispielsweise beim Emmentaler einen Histamingehalt von < 0,1 bis zu 2000 mg/kg. Bei alkoholischen Getränken sind nicht der Alkohol, sondern die Begleitstoffe Histaminliberatoren. Im Fass gelagerter (Schwefel?) Rotwein oder Champagner ist HIT-verdächtiger als Weißwein aus dem Stahltank. Auf Nachfrage geben die Winzer den bestimmten Histamingehalt ihres Weines preis.
Das Chinarestaurantsyndrom ist fast schon so berühmt wie die Wanze von Loriot. Über die Realexistenz beider kann man streiten. Lange wurde eine Allergie gegenüber Glutamat für Flush-Reaktionen nach dem Besuch eines Chinarestaurants verantwortlich gemacht. Vermutlich ist es jedoch keine echte Allergie, sondern Glutamat fungiert als Abbauhemmer für DAO. Eine andere Theorie könnte auch Fischsoße oder Sojasoße als Auslöser sein. Üblicherweise verringert sich der Histamingehalt durch das Erhitzen von Speisen. Sojasoße bildet hier eine Ausnahme: der ohnehin hohe Histamingehalt nimmt noch weiter zu. Vor allem dunkle Soßen weisen hohe Histaminwerte auf. Und bei der Zubereitung von einigen Soßen wie Shoyu entstehen während der Fermentierung Flavone, die Histidin-Decarboxylase hemmen. Das führt dazu, dass freigesetztes Histamin nicht mehr abgebaut wird.
Mit der S1 zum Platz der Erkenntnis?
In der 2012 erschienenen S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. (DGAKI) wird die HIT zwar als Erkrankung anerkannt, die Pathogenese jedoch als unklar angesehen. "Die wissenschaftliche Evidenz für die postulierten Zusammenhänge ist begrenzt, eine verlässliche Laborbestimmung zur definitiven Diagnose nicht vorhanden", so die ernüchternde Aussage. Nach aktuellem Kenntnisstand lassen beim Menschen – im Gegensatz zum Tiermodell – die Konzentrationen der DAO im Blut allerdings keinen Rückschluss auf die Enzymaktivität der DAO im Dünndarm zu. Der Begriff der "Histaminintoleranz" wurde in Anlehnung an den Begriff der Laktoseintoleranz geprägt. Bislang fehlen jedoch prospektive, kontrollierte Studien, die einen Enzym- und/oder Enzymaktivitätsmangel als Ursache einer Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin sicher belegen.
Therapie in drei Stufen
In den Leitlinien wird das Führen eines Symptomtagebuches über sechs bis acht Wochen und eine dreistufige Ernährungsumstellung empfohlen. Die 10- bis 14-tägige Karenzphase dient der weitgehenden Symptomreduktion.
Hustenmittel hemmen DAO
Zahlreiche Medikamente hemmen histaminabbauende Enzyme. In der Fachinformation ist dies dann mit der Klausel "kann Asthmaanfälle auslösen" oder "kann zu Flush-Reaktionen führen" gut versteckt. Brisant ist, dass auch viele Medikamente, die von Asthmatikern verwendet werden, DAO und andere Enzyme hemmen.
Ernährung? Beratung!
Die Leitlinienautoren raten behandelnden Ärzten, den Patienten einer fachkompetenten Ernährungsberatung zuzuführen. So ließe sich vermeiden, dass Patienten wissenschaftlich nicht gesicherte Diätformen befolgen, "die zu einer unnötigen Einschränkung der Lebensqualität führen". Inwieweit eine Diät tatsächlich biologische Veränderungen erzielt bzw. wie stark die psychologische Komponente durch kompetente Beratung zum Tragen kommt, sollen weitere Studien klären. Die inkonsistente Datenlage zu biogenen Aminen in Nahrungsmitteln erschwert sichere Empfehlungen zur Diagnosestellung und Festlegung therapeutischer Maßnahmen.
Alternative oder adjuvante Therapien sucht man in den Leitlinien vergebens. Zahlreiche orthomolekulare Wirkstoffe und Nahrungsergänzungsmittel versprechen Besserung. In Anwendungsbeobachtungen haben sich die Vitamine C, B6 und die Mineralstoffe Zink, Calcium, Kupfer, Magnesium und Mangan als mögliche DAO-Förderer erwiesen. Ein auf dem Markt befindliches Produkt enthält Diaminooxidase plus einige Vitamine als Fixkombination. Leider fehlen auch hier valide Studiendaten.