Erstmals haben Molekularbiologen einen Gendefekt am menschlichen Embryo repariert, ohne dabei neue Mutationen zu erzeugen. Kann man in Zukunft mit dieser Technik Erbkrankheiten heilen? Kritiker warnen vor unseriösen Heilversprechen und äußern ethische Bedenken.
Ein Paukenschlag in der Molekularbiologie: Forschern aus den USA, Südkorea und China gelang es, per Genome Editing menschliche Embryonen zu manipulieren. Anschließend wuchsen diese in vitro teilweise bis zum Blastozysten-Stadium heran, ohne erkennbare Anomalien zu zeigen.
So lief das Experiment ab: Im ersten Schritt befruchteten die Molekularbiologen Eizellen einer gesunden Frau mit Spermien eines kranken Spenders. Der Mann leidet erwiesenermaßen an familiärer hypertropher Kardiomyopathie, einer autosomal-dominant vererbten Muskelerkrankung des Herzens. Die Erbkrankheit führt zu einer asymmetrischen Verdickung des linken Ventrikels. Ausschlaggebend ist beim Patienten eine mutierte Form des MYBPC3-Gens auf dem Chromosom 11 als eher seltene Variante der Krankheit. Diese Veränderung trat in jedem zweiten Spermium auf. Befruchtete Eizellen vor dem Genome Editing (links) beziehungsweise Embryonen nach der Prozedur und nach mehreren Zellteilungen (rechts) © OHSU/Mitalipov lab Forscher nutzten die CRISPR/Cas9-Methode zur Reparatur. Enzyme erkennen Zielsequenzen über kurze RNA-Einzelstränge als Leitmoleküle. Anschließend schneiden sie den DNA-Strang an vorgegebenen Stellen. Natürliche Reparaturmechanismen der Zelle sorgen dafür, dass sich die Lücke schließt. Woher der Doppelstrangbruch „weiß“, welcher DNA-Abschnitt eingebaut werden soll – etwa ein Wildtyp oder die Mutation – ist unbekannt. 42 aller 58 entstandenen Embryonen hatten die Wildtyp-Version des MYBPC3-Gens. Das entspricht einer Quote von 72,4 Prozent gegenüber der zu erwartenden 50 Prozent. Nach dem weiteren Wachstum in vitro wurden alle Embryonen im Blastozysten-Stadium untersucht. Dabei fanden Wissenschaftler keine Artefakte.
„Es ist durchaus überraschend, dass die Kopie der ‚gesunden‘ Form des Gens als Template dient und nicht die künstliche Kopie“, kommentiert Dr. Jan Korbel von der Genome Biology Unit, EMBL Heidelberg. „Dies weist darauf hin, dass die DNA-Reparatur in der frühen Entwicklung äußerst exakt ist.“ Er ist auch erstaunt, dass Forscher keine Off-Target-Effekte gefunden haben. Darunter sind unerwünschte, neu auftretende Mutationen in anderen Bereichen als im zu ersetzenden Gen zu verstehen. „Jedoch ist es meiner Meinung nach zu früh, hierzu abschließende Aussagen zu treffen“, ergänzt Korbel. Zur Praxisrelevanz befragt, erklärt der Experte: „Die Autoren der Studie schlagen vor, das Verfahren in Zukunft in der In-Vitro-Fertilisation einzusetzen, um genetischen Erkrankungen vorzubeugen.“ Letztlich führe der Ansatz nur zu einer moderaten Erhöhung IVF-tauglicher Embryonen von 50 auf 72,4 Prozent – in diesem Zusammenhang will Korbel „nicht von einem Durchbruch sprechen“. Er will nicht ausschließen, dass dieses Reparaturprinzip auch funktioniert, falls mütterliche DNA eine Mutation enthält und väterliche DNA nicht. „Diese Fragestellung muss jedoch gesondert untersucht werden.“
Professor Dr. Christiane Woopen, Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health an der Universität Köln, spricht von einem „sehr technischem Beitrag, der übersieht, dass es letztlich um eine Menschheitsfrage geht“. Sie sieht darin ein Beispiel für „gesellschaftsvergessene Forschung und die Isolation eines Forschungssystems von der Gesellschaft, in die es eigentlich eingebettet ist“. Jenseits der Methodik hat sie grundsätzlichere Fragen: „Sollte das Forschungssystem ohne Rückkopplung mit der Gesellschaft darüber bestimmen, welchen Weg die Menschheit nimmt? Sollte das Wettrennen um den größten Ruhm und die einträglichsten Patente wichtiger sein als zunächst die Verständigung darüber, ob die Weltgemeinschaft einen redaktionellen Eingriff in das ‚genetische Buch des Lebens‘ befürwortet?“