Gerd Glaeske, Professor für Arzneimittelversorgungsforschung der Uni Bremen, ist der Ansicht, "dass rund 300.000 Klinikeinweisungen und bis zu 24.000 Todesfälle jährlich auf Arzneimittelwechselwirkungen zurückzuführen sind." Grund genug für ein Update.
Bei der Kombination von zwei Medikamenten bieten Datenbanken und die Fachliteratur eine gute Hilfestellung. Werden aber drei, vier oder gar mehr Medikamente miteinander kombiniert, ist eine Wechselwirkung nicht immer sicher vorhersagbar. In jeder Apotheke besteht die Möglichkeit eines datenbankbasierten Interaktionschecks. Dies schützt den Patienten aber nur dann vor unerwünschten Reaktionen, wenn er seine Medikamente in einer einzigen Apotheke kauft. Nimm zwei – mit Risiko dabei Ein weiteres Problem in der Apotheke ist auch "Morbus Enter". Wegen der Flut an Warnmeldungen wird nicht selten die Entertaste gedrückt und die Warnmeldung ignoriert. Deshalb erscheint es wichtig, zumindest die häufigsten und/oder gefährlichsten Interaktionen zu kennen und zu vermeiden. Apotheker und Arzt sollten Hand in Hand arbeiten und sich als Partner zum Wohle des Patienten akzeptieren. Hier ist weder ein oberlehrerhafter Hinweis eines Pharmazeuten, noch die ablehnende Haltung des Verschreibenden ("das hat der Patient immer vertragen") angebracht. Senioren besonders betroffen Patienten über 65 Jahre sind etwa fünfmal häufiger von unerwünschten Arzneimittelwirkungen durch Interaktionen betroffen als jüngere Patienten. Hierfür sind u.a. eine Änderung der Kinetik, der Verteilungsräume, der Proteinbindung und eine Polymedikation verantwortlich. Bei der Wechselwirkung kommt es im Körper zu einer gegenseitigen Beeinflussung der eingesetzten Pharmaka. Die Wirkung der einzelnen Medikamente kann dabei entweder abgeschwächt, aufgehoben oder verstärkt werden. Auf dem Weg des Arzneimittels durch den Körper ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten der Arzneimittelwechselwirkung. Bei der Resorption, der Verteilung, der Umwandlung, der Ausscheidung und bei der Wirkung können Arzneistoffe durch andere Reaktionspartner beeinflusst werden.
Kinetische Interaktionen Es gelangt nur der Arzneistoff zur Wirkung, der frei und ungebunden vorliegt. Arzneistoffe werden reversibel an Gewebe und Plasmaproteine gebunden. Bei der Gewebeverteilung kommt es dann zu Wechselwirkungen, wenn verschiedene Arzneistoffe um dieselbe Bindungsstelle konkurrieren. Erhält der Patient Arzneistoff A, so besetzt dieser die entsprechende Bindungsstelle und übt einen Effekt aus. Gelangt jetzt Arzneistoff B in den Körper und wird verteilt, kann er nicht an die entsprechende Stelle binden, da diese bereits von Arzneistoff A besetzt ist. Die Folge ist eine Verteilung im Blut. Das Ausmaß dieser Beeinflussung ist abhängig von der Stärke der Plasmaproteinbindung (PPB). Ist beispielsweise 95% einer Substanz A an Plasmaproteine gebunden, liegen lediglich 5% frei und damit wirksam vor. Verdrängt nun ein anderer Arzneistoff B nur 5% - eine scheinbar geringe Menge - des gebundenen Arzneistoffes, so ergibt sich eine Erhöhung der Wirkstoffkonzentration von 5 auf 10% und führt somit zu einer Steigerung der Wirkstoffkonzentration um 100%. Hieraus kann je nach den pharmakokinetischen Eigenschaften des Arzneistoffes eine enorme Wirkungsverstärkung bis hin zur Intoxikation resultieren. Dieser Effekt ist nur bei Pharmaka zu beobachten, die eine sehr hohe Bindung mit den Plasmaproteinen (über 90%) eingehen. Er ist besonders gravierend, wenn ein niedrig dosiertes und hochpotentes Arzneimittel mit einem hoch dosierten und schwächer wirksamen Partner interagiert. Eine hohe Plasmaproteinbindung haben u.a. orale Antikoagulantien, Salicylate und Muskelrelaxanzien. Die Bindung erfolgt an unterschiedliche Eiweißkörper und ist zudem vom pH-Wert des Pharmakons abhängig. Es kommt nur dann zu einer Interaktion, wenn beide Arzneistoffe dieselbe Bindungsstelle benutzen. Eine sehr hohe PPB haben beispielsweise Clonazepam, Diazepam, Digitoxin, Fentanyl, Furosemid, Nifedipin und Verapamil. Spitzenreiter mit 99% ist Phenprocoumon. Dabei ist zu bedenken, dass betagte Patienten meist über weniger Proteine verfügen und ihr Verteilungsraum im Vergleich zu einem jüngeren Patienten verändert ist. Außerdem ist ihr Herz-Zeit-Volumen meist geringer. Dies hat zur Folge, dass Arzneistoffe länger im Organismus bleiben und stärker wirken. Damit steigt auch die Gefahr von Arzneimittelinteraktionen. "Start low, go slow" ist ein sinnvoller Merksatz für die Pharmakotherapie bei Senioren. CYP, CYP hurra Pharmaka werden mit Hilfe von biochemischen Reaktionsprozessen umgewandelt. Wird die Ausschüttung von abbauenden Enzymen (CYP p45ß-Familie) gesteigert, erhöht sich die Abbaukapazität der Leber. Bei dieser Enzyminduktion kommt es zu einem vermehrten Abbau und damit zu einer reduzierten Wirkung des Arzneistoffes. Ergibt sich hieraus eine Senkung der Konzentration an wirksamem Arzneistoff, tritt ein Wirkungsverlust ein.
Die Ausscheidung erfolgt über den Weg der Metabolisierung und der Exkretion über Niere und Galle. Beeinträchtigt ein Arzneistoff diesen Teil der Körperpassage, so kann die Halbwertzeit verändert werden, d.h. der Wirkstoff kann kumulieren oder schneller abgebaut werden. Pharmakodynamische Interaktionen: Kampf um den Rezeptor Greifen zwei Arzneistoffe am selben Rezeptor an und ist die maximale Einzelwirkung noch nicht erreicht, kann es bei gleicher Indikation zu einer Wirkungsverstärkung kommen. Hat der zweite Arzneistoff antagonistische Effekte, wird die Bindung der ersten Substanz an den Rezeptor verhindert und damit die Auslösung der biologischen Wirkung gestört. Beim kompetitiven Antagonismus korreliert das Ausmaß der Gesamtwirkung mit der relativen Konzentration von Agonist und Antagonist am Rezeptor. α- und β-Blocker gehören seit langer Zeit zur Basismedikation bei Hypertonie. Sie greifen an adrenergen Rezeptoren an. Da auch andere Arzneistoffe diese Bindungsstellen "mögen", sind Interaktionen nicht selten. α-Rezeptorenblocker wie Doxazosin, Prazosin und Urapidil sollten, wenn überhaupt, sehr behutsam mit β-Blockern kombiniert werden. Gerade in der Initialphase der gemeinsamen Gabe kann es zu orthostatischen Störungen kommen. Am ausgeprägtesten ist dieser Effekt unter Prazosin. Grund für diese Wechselwirkung ist die Suppression der betavermittelten kompensatorischen Zunahme der Herzfrequenz. Wird hingegen ein ß-Blocker gemeinsam mit Clonidin verabreicht und der α-Antagonist plötzlich abgesetzt, kann es zu Blutdruckkrisen kommen. Gefährlich kann eine Kombination des Antiarrhythmikums Amiodaron mit β-Antagonisten sein. Der additiv-synergistische Effekt kann zu Hypotonie, Bradykardie und sogar zum Herzstillstand führen. Clonidin und der Ciclosporinspiegel steigt Trizyklische Antidepressiva vermindern den blutdrucksenkenden Effekt von Clonidin erheblich. Vermutlich ist eine Wechselwirkung am zentralen Alpha-2-Rezeptor die Ursache. Ist eine Kombination zwingend notwendig, empfiehlt sich eine engmaschige Blutdruckkontrolle mit eventueller Dosiserhöhung von Clonidin. Besser ist es, auf andere Antihypertensiva auszuweichen. Die gemeinsame Gabe von Clonidin und dem tetrazyklischen Antidepressivum Mirtazapin kann ebenfalls zu einer verminderten antihypertensiven Wirkung des α-Blockers sowie zu Blutdruckkrisen führen. Das Antidepressivum greift an Alpha-2-Rezeptoren als Antagonist an. Patienten die bereits mit β-Blockern, Herzglykosiden, Verapamil oder Diltiazem therapiert werden, vertragen zusätzliches Clonidin nicht. Derartige Kombinationen können zu Bradykardien führen. Clonidin kann die Ciclosporinkonzentration erheblich ansteigen. Diese pharmakokinetische Wechselwirkung muss noch genauer untersucht werden, bevor für eine gemeinsame Gabe Entwarnung gegeben werden kann.
"Olole" interagieren gern "Die Interaktion zwischen Betablockern und Betasympathomimetika gehört zu den 15 häufigsten Interaktionsmeldungen in der Apotheke“, so warnt das Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA vor der Wechselwirkung mit Betasympatholytika. Alle Betablocker agieren nicht nur an den kardialen Beta-1-Rezeptoren, sondern besetzen auch die Beta-2-Rezeptoren in Lunge, Uterus und Skelettmuskulatur. Gern wird von "selektiven" Substanzen gesprochen. Selektiv ist aber nicht spezifisch! Dennoch ist natürlich den kardioselektiven der Vorzug zu geben. Bei Asthmatikern und Diabetikern können Betablocker riskante Interaktionen auslösen. Durch den Angriff an den adrenergen Rezeptoren der Lunge kann es zu einem Bronchospasmus kommen. Diesem versucht der Asthmatiker mit seinem betamimetikahaltigen Dosieraerosol entgegenzuwirken. Die Betarezeptoren sind jedoch jetzt mit einem kompetitiven Antagonisten mit höherer Affinität belegt. Jetzt würden nur noch Antiasthmatika helfen, die an anderen Rezeptoren oder Substraten eingreifen, beispielsweise Parasympatholytika oder Theophyllin. Je unselektiver ein Blocker blockt, desto ausgeprägter ist der Effekt. Bei COPD-Patienten spielen mehr cholinerge Transmitter eine Rolle, weshalb hier Betablocker nicht so kritisch wie bei Asthmatikern zu bewerten sind. Im Jahr 2006 erhielten nach einer Analyse des Deutschen Arzneiprüfinstituts (DAPI) vier bis fünf Prozent der zulasten der GKV mit dem nichtselektiven Betablocker Propranolol behandelten Patienten innerhalb eines Monats Salbutamol zur Inhalation verordnet - ingesamt also bei über 12.000 Patienten. Bei Hypertonie stehen als Alternative Sartane zur Verfügung. ACE-Hemmer sind suboptimal, weil sie vielfach das histaminverwandte Bradykinin im Körper entstehen lassen. Bei der Kombination aus Hypertonie und Tachyarrhythmie wird die Suche nach Alternativen allerdings schon schwerer. Propanolol – Vorsicht bei Antazida und Malariamittel Patienten, die mit Propranolol therapiert werden, sollten nicht unkritisch Antazida erhalten. Die Puffersubstanzen reduzieren die Bioverfügbarkeit erheblich. Dies macht unbedingt eine zeitversetzte Einnahme notwendig. Propanololkonsumenten sollten kein Chlorpromazin erhalten, da es zu massiven Blutdruckabfällen kommen kann. Außerdem sind unter dieser Kombination Grand-mal-Anfälle dokumentiert. Chlorpromazin vermindert die Ausscheidung von Propranolol um 25–32 Prozent und erhöht damit dessen Bioverfügbarkeit. Auch mit dem Malariamittel Mefloquin sollte keine Kombination versucht werden. Es kann zu Sinusbradykardie, Sinusarrhythmie und Verlängerung des QTc-Intervalls kommen. Auch für Diabetiker, die entweder Insulin oder Sulfonylharnstoffe benötigen, sind Betablocker kritisch. Die Warnsymptomatik der Hypoglykämie wird über adrenerge Mechanismen ausgelöst. Symptome wie Zittern, Schwitzen und die Tachykardie werden maskiert. Darüber hinaus greifen Betablocker ungünstig in den Glucosestoffwechsel ein und können zur Gewichtszunahme führen. Auch andere Antihypertensiva neigen zu gefährlichen Interaktionen. ACE-Hemmer vermindern die Ausschüttung von Aldosteron. Die Folge ist eine moderate Erhöhung des Serum-Kaliumspiegels. Kaliumsparende Diuretika, Kalium-Salze und in gewissem Maße Trimethoprim verstärken diesen Effekt. Besonders bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und Diuretikagabe muss eine Begleitmedikation sorgfältig erwogen werden. Thiazide machen TCA potenter Spielen Sie doch mal Dr. House: Ein Patient erhält seit sechs Monaten erfolgreich Amitriptylin gegen seine Depression. Gegen seine Hypertonie erhält er als Neuverordnung das Thiaziddiuretikum Hydrochlorothiazid. Daraufhin stellt sich ein starker Tremor, verstärkte Mundtrockenheit und Schwindel ein. Warum? TCA werden als schwache Basen pH-abhängig ausgeschieden. Thiazide vermindern die Ionisation der Antidepressiva und vermindern stark die Ausscheidung. Wegen einer Kumulation kommt es zu einem Anstieg des Wirkstoffspiegels und zu einer Verstärkung der anticholinergen Nebenwirkungen. Außerdem wird die blutdrucksenkende Wirkung des Diuretikums gesteigert. Auf Betablocker als Antihypertonika kann nicht ausgewichen werden. Sie steigern den thymoleptischen Effekt der TCA und die blutdrucksenkende Wirkung wird verstärkt. Auch Nitrate sind nicht sinnvoll, da sie möglicherweise die Wirksamkeit der TCA steigern. Der Mechanismus ist nicht bekannt. Als Alternativen kommen ACE-Hemmer oder evtl. Alphablocker wie Clonidin oder Urapidil in Betracht. Tricyclische Antidepressiva greifen an cholinergen, α-adrenergen und histaminergen Rezeptoren an. Diese "unwählerische Art" führt dazu, dass sie mit zahlreichen anderen Pharmaka konkurrieren. Weiterhin wird durch den basischen Charakter die renale Ausscheidung und die Umwandlungsgeschwindigkeit anderer Substanzen gehemmt bzw. gesteigert. Die Folge sind pharmakokinetische Interaktionen. Tricyclische Antidepressiva wie Imipramin, Amitriptylin und Trimipramin steigern die adrenergen bzw. anticholinergen Haupt- und Nebenwirkungen von zahlreichen Pharmaka. In Kombination mit Antihistaminika steigt das Risiko der Harnretention. Keinesfalls dürfen tricyclische Antidepressiva (TCA) und MAO-Hemmern gemeinsam verabreicht werden! MAO-Hemmer blockieren die Enzyme, die auch für die Metabolisation der TCA verantwortlich sind. Diese lebensbedrohliche Interaktion kann zu Krämpfen, Fieber, Flush, Tremor, Bewusstlosigkeit und Koma führen. Daten? Banken! Interaktionsdatenbanken sind beispielsweise Lexi-Interact, ABDA-Datenbank, DIMDI oder AMeLI, leider alle kostenpflichtig. Die Online-Datenbank mediQ.ch bezieht auch Nahrungs- und Genussmittel ein und ist im ersten Monat kostenfrei. Sehr ausführlich agiert Stockley´s Drug Interactions, weit über 20.000 Quellenangaben, das schlägt leider mit 250 € zu Buche. Zahlreiche Apps für Smartphones und Tablet-PC für kleines Geld sind am Markt erhältlich. Auf der Homepage kompendium.ch ist ein kostenneutraler Interaktionscheck möglich. Es fällt jedoch auf, dass die Bewertung der klinischen Relevanz teilweise erheblich von deutschen Datenbanken abweicht. Eine von Cascorbi publizierte Arbeit empfiehlt elektronische Verordnungssysteme, "die frühzeitig auf Gefahren möglicher Interaktionen aufmerksam machen und bei der Auswahl und Dosierung assistieren können". In derartige Programme sollte die Sperrung der Entertaste implementiert sein. Häufige oder lebensbedrohliche Arzneimittelinteraktionen