Gute Noten, niveauvolle Freunde: Bei diesem Nachwuchs kann man sich entspannt zurücklehnen? Britische Forscher werden viele Eltern nun desillusionieren: Intelligente Kinder nehmen später häufiger Drogen als solche mit Durchschnitts-IQ.
Viele Arbeiten haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit der wechselseitigen Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Intelligenz befasst. Beispielsweise untersuchten Brit und Udo Schneider, Bayreuth, Korrelationen zum Bildungsgrad: Männer und Frauen, die ein Hochschulstudium absolviert haben, greifen häufiger zur Flasche. Auch zweifelt heute niemand mehr an schädlichen Effekten von Alkohol während der Schwangerschaft, wie mit der "Avon Longitudinal Study of Parents and Children" erneut gezeigt wurde. Wissenschaftler fanden je nach Genvariante negative Auswirkungen auf den IQ des ungeborenen Kindes, sollten werdende Mütter nur ein Glas Bier oder Wein pro Woche konsumiert haben. Hochwertige Studien zu illegalen Drogen fehlten aber bislang. Zwei britische Arbeiten kommen zu überraschenden Ergebnissen.
Hoher IQ – hohes Risiko
James White, Cardiff, schloss diese Lücke mit Probanden der "1970 British Cohort Study", einer populationsbasierten Kohorte. Er wertete Daten von knapp 8.000 Fünf- und Zehnjährigen aus. Zu Beginn mussten sich Teilnehmer einem altersgerechten Intelligenztest unterziehen. Beim Recall mit 16 und mit 30 Jahren wurde abgefragt, inwieweit die Jugendlichen beziehungsweise Erwachsenen in den letzten zwölf Monaten Drogen konsumiert hatten. Der Zusammenhang war eindeutig: Je intelligenter Probanden als Fünfjährige waren, desto häufiger nahmen sie zu späteren Zeitpunkten illegale Substanzen ein. Bei Frauen handelte es sich häufig um Cannabis und Kokain, während Männer eher zu Amphetaminen, Ecstasy oder zu mehreren Stoffen gleichzeitig griffen.
Damit nicht genug: Bei der Auswertung fanden die Forscher zuätzlich eine positive Assoziation von IQ-Scores im Alter von zehn Jahren mit dem späteren Gebrauch illegaler Substanzen. Im Schnitt hatten Betroffene vier bis acht Punkte mehr als Vergleichspersonen, sie wurden von White als "überdurchschnittlich intelligent" eingestuft. Bemerkenswert: Weder das Elternhaus noch psychische Erkrankungen beziehungsweise der eigene soziale Status spielten eine Rolle. Die Studie weist jedoch methodische Schwächen auf. Beispielsweise fehlen Daten, wie oft die Teilnehmer Drogen einnahmen – ein nicht unerheblicher Aspekt. Auch fragten Forscher nicht nach Hintergründen. Vielmehr spekulieren sie: Geschah der Konsum aus Neugierde oder aus Langeweile? Wollten Menschen ihre berufliche Leistungsfähigkeit verbessern oder nach Stress im Job abschalten?
Tiefer graben
Angesichts offener Fragen aus langfristiger Perspektive machte sich James White erneut an die Arbeit. Seine Grundlage: die britische "1958 National Child Development Survey". Dieses Mal hatte der Epidemiologe 6.713 Probanden, deren IQ im zarten Alter von elf Jahren bestimmt worden war. Mit 42 Jahren lud man alle Teilnehmer erneut ein und befragte sie. Hatten Frauen mehr als 30 Jahre zuvor einen um 15 Punkte höheren IQ, konsumierten sie deutlich häufiger Drogen. Probandinnen nannten vor allem Cannabis, Kokain, Ampetamine, organische Nitroverbindungen ("Poppers") oder "Magic Mushrooms". Bei Männern ergab sich kein klares Bild.
Ins Gras gebissen
Auch der Umkehrschluss interessiert. Dass Cannabis dem IQ schadet, schien eine US-amerikanische Studie wissenschaftlich zu bestätigen. Madeline H. Meier untersuchte zusammen mit Kollegen, wie sich die Intelligenz heranwachsender Hanfkonsumenten verändert. Aus der "Dunedin Multidisciplinary Health and Development Study" lagen ihr Daten zu 1.037 Personen vor, die von Geburt an über 38 Jahre medizinisch begleitet worden waren. Das Ergebnis: Jugendliche Kiffer verlieren – je nach Konsumverhalten – bis zu zehn Punkte auf dem IQ-Score. Allerdings ist die Arbeit nicht ohne Bias. Kritik kommt – nein, nicht aus den Niederlanden, sondern aus Norwegen. In einem Kommentar weist Ole Rogeberg, Oslo, auf methodische Mängel hin. So habe Madeline Meier den sozioökonomischen Status ihrer Probanden nicht berücksichtigt. Kinder aus sozial benachteiligten Familien hätten ohnehin ein höheres Risiko, zur Tüte zu greifen.
Auch das wenig stimulierende Umfeld sieht Rogeberg als möglichen Parameter, um niedrigere IQs zu erklären. Der Disput geht noch weiter. Meier bewertet in einem Antwortschreiben die neuen Aspekte als "interessant", allerdings stütze sich Rogebergs These nicht auf Daten. Sie verweist auf neuerliche Analysen mit Probanden der Mittelschicht. Auch hier hätten sich negative Folgen für die Intelligenz ergeben. So oder so gelten Suchterkrankungen und deren Folgen als extrem komplexes Thema.
Intelligenz: heute hoch, morgen tief
Viele Untersuchungen, die IQ-Scores verwenden, stoßen an weitere Grenzen. Noch haben Wissenschaftler das Wunderwerk Gehirn nicht vollständig entschlüsselt, weder bei Suchterkrankungen, noch bei Lernprozessen. Und so verwundert es nicht, dass eine Londoner Arbeitsgruppe um Sue Ramsden berechtigte Zweifel an der Stabilität des IQs angemeldet hat. Untersucht wurde eine recht kleine Gruppe mit 33 Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren. Beim Follow-up vier Jahre später verbesserten manche Studienteilnehmer ihr Ergebnis um 20 Punkte, andere verschlechterten sich um Werte in einer ähnlichen Größenordnung. Frühe Messungen, wie sie James White durchgeführt hat, sind möglicherweise nicht frei von Fehlern. Bleibt noch ein Blick hinter die Kulissen.
Neuronale Detektivarbeit
Auf der Suche nach anatomisch greifbaren Anomalien bei Suchtpatienten machte Karen D. Ersche, Cambridge, eine Studie mit 50 Geschwisterpaaren. Die Voraussetzung: Eine Person musste gesund sein und die andere illegale Stoffe konsumieren. Häufig waren Kokain oder Amphetamine im Spiel. In der Anamnese gab es keine großen Überraschungen: Häusliche Gewalt sowie eine fehlende Impulskontrolle fanden sich in der Biographie etlicher Suchtpatienten. Gehirnscans brachten Details zu Tage. Beispielsweise war das Putamen unter Drogen vergrößert. Diese Region spielt bei der Entstehung von Gewohnheiten eine zentrale Rolle.
Auch beim Frontalhirn ließen sich Veränderungen nachweisen, hier erwiesen sich neuronale Verschaltungen im Vergleich zu Teilnehmern ohne Abhängigkeit als weniger effizient. Dieser Bereich wird mit der Kontrolle von Handlungsweisen in Verbindung gebracht. Ersche wies nach, dass entsprechende Auffälligkeiten teilweise mit der Suchterkrankung selbst zusammenhingen, teilweise aber schon zuvor vorhanden waren. Das wiederum deutet auf genetische Einflussfaktoren hin.