Menschen mit Narkolepsie fallen am hellichten Tage blitzartig in Tiefschlaf. Heilen können Kollegen die sozial belastende Grunderkrankung zwar nicht, doch gibt es wirksame Arzneistoffe gegen die Symptome.
Chronische Müdigkeit: Häufig stecken Depressionen oder Angsterkrankungen dahinter. In seltenen Fällen handelt es sich jedoch um eine Narkolepsie: Unter 100.000 Menschen finden Epidemiologen im Schnitt 25 bis 50 Betroffene, bei hoher Dunkelziffer. Von den ersten Symptomen bis zur Behandlung vergehen teilweise zehn Jahre und mehr. Das muss nicht sein. Um eine Narkolepsie von anderen Krankheiten zu unterscheiden, hilft beispielsweise die Epworth Sleepiness Scale (ESS). Weitere Fragebögen wie der Stanford Narcolepsy Questionnaire oder die Ullanlinna Narcolepsy Scale präzisieren entsprechende Hinweise.
Erschöpft erwacht
Patienten mit Narkolepsie beschreiben ihr größtes Problem als Tagesschläfrigkeit mit dem Zwang, einzuschlafen. Anfälle führen in weniger als fünf Minuten zum REM-Schlaf, während gesunde Menschen dazu eine Stunde und mehr benötigen. Bei Narkoleptikern fehlen damit wichtige Tiefschlafphasen. Sie fühlen sich trotz ausreichender Nachtruhe am nächsten Morgen müde und erschöpft. In 80 bis 90 Prozent aller Fälle leiden Betroffene zusätzlich an Kataplexie. Bei ihnen führen Emotionen wie Lachen, Furcht, Ärger oder Erschrecken zum kurzzeitigen Verlust des Muskeltonus, und sie verletzen sich durch Stürze. Davon bleiben die Atemmuskulatur und die Muskulatur des Zungenschlunds glücklicherweise verschont. Narkolepsie hat statistisch gesehen zwar keinen Einfluss auf die Lebenserwartung. Beruflich und privat leiden Patienten aber immens, vom erhöhten Unfallrisiko ganz zu schweigen.
Tückisches Orexin
Warum Patienten an Narkolepsie erkranken, ist mit letzter Sicherheit noch nicht geklärt. Forscher wissen aber, dass bei Betroffenen die Schlaf-Wach-Regulation nicht mehr funktioniert. Schuld daran sind Orexin A und B, zwei Neuropeptide aus dem Hypothalamus. Sie kontrollieren unter anderem den Schlafrhythmus. Davon ausgehend gibt es zwei Modelle: Mutationen im HCRT-Gen führen zu einem Funktionsverlust wichtiger Orexinrezeptoren. Bei Mäusen ohne entsprechende Schaltstellen nahmen REM-Schlafphasen in der Tat zu – wie bei Narkoleptikern. Als weitere Ursache diskutieren Wissenschaftler einen Orexinmangel. In der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit von Patienten haben sie abnormal niedrige Konzentrationen dieser Botenstoffe gefunden. Bei Mäusen gelang es, Neuronen zu zerstören, die normalerweise entsprechende Peptide sezernieren. Fehlte das "Weckeiweiß“ Orexin, kam es prompt zur Narkolepsie. Ähnliche Symptome traten auf, falls den Nagern Antikörper von Narkolepsie-Patienten gespritzt wurden.
Selbstzerstörung im Körper
Deshalb spricht viel für eine Autoimmunerkrankung. Eine Spur führt auch hier in das Erbgut: Humangenetiker fanden bei Neuroleptikern mit Kataplexie in bis zu 98 Prozent aller Fälle den Genotyp (HLA) DQB1*0602. Für Angehörige von Patienten erhöht sich das Risiko, selbst zu erkranken, um den Faktor 38 bis 40, sollten sie dieses Allel tragen. Der HLA-Komplex codiert für Leukozytenantigene, Mutationen führen zu einer Autoimmunreaktion gegen proteinsezernierende Neuronen. Auch lassen sich im Genlocus von T-Zell-Rezeptoren charakteristische Polymorphismen finden. Normalerweise erkennen entsprechende Bindungsstellen fremde Stoffe, richten sich aber plötzlich gegen humane Zellen.
Die Genetik allein ist nur ein Teil der Wahrheit. Vielmehr triggern Umweltfaktoren die Krankheit. Forscher vermuten, dass – ähnlich wie beim Guillain-Barré-Syndrom – virale oder bakterielle Infektionen mögliche Auslöser sein könnten. Dafür spricht, dass in China nach Grippewellen auch die Zahl an Narkolepsiepatienten anstieg. Viele Erkrankungen traten im April, nach Abklingen der saisonalen Influenza auf, die wenigsten Fälle wurden im November verzeichnet. Ein Zusammenhang mit Influenza-Vakzinen bestand hier nicht – im Gegensatz zu Nordeuropa.
Heute Impfung, morgen Narkolepsie?
Während der Grippesaison 2009/2010 verbreitete ein Erreger namens A/California/7/2009 (H1N1), besser bekannt als "Schweinegrippe" oder "neue Grippe", Angst und Schrecken. Als Vakzine griffen Ärzte unter anderem zu Pandemrix®. Dieser Spaltimpfstoff wurde zusammen mit AS03 als Adjuvans, eine Öl-in-Wasser-Emulsion aus Squalen und Tocopherol, gespritzt. Hinweise, dass Squalen Autoimmunerkrankungen triggert, liegen seit mehr als zehn Jahren vor. Pandemrix® selbst führte bei insgesamt 31 Millionen Impfungen zu 161 dokumentierten Fällen von Narkolepsie, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Bestanden anfangs noch Zweifel, lässt sich der Zusammenhang heute wissenschaftlich nicht mehr leugnen. Erstaunlich: Mehr als 70 Prozent aller Fälle waren in Schweden, Finnland und Irland aufgetreten. Geimpfte Kinder und Jugendliche haben in Schweden eine sieben Mal höhere Inzidenz, an Narkolepsie zu erkranken als die Vergleichsgruppe. In Finnland und in Irland erhöhte sich die Inzidenz sogar um den Faktor 13. Französische Epidemiologen fanden Hinweise, dass nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene betroffen sind.
Für Deutschland berichtet das Paul-Ehrlich-Institut lediglich von 33 Verdachtsmeldungen, 21 Kindern und zwölf Erwachsenen. Der Versuch, alle europäischen Daten im Rahmen von VAESCO ("Vaccine Adverse Event Surveillance and Communication") wissenschaftlich unter einen Hut zu bringen, war jedoch nur teilweise von Erfolg gekrönt. Trotz eines gemeinsamen Studienprotokolls gelang es nicht in allen EU-Ländern, standardisierte Daten zu erheben. Auch kamen nach dem "Data Lock Point" noch weitere Fälle hinzu. Das ist der Zeitpunkt, bis zu dem eigentlich alle relevanten Informationen vorliegen müssen. Am Impfstoff allein kann es nicht liegen, das zeigen schon die starken Schwankungen in Europa. Forscher der Weltgesundheitsorganisation WHO sehen vielmehr einen Zusammenhang mit Risikofaktoren im Erbgut. Erneut fanden sie einen Link zum bekannten Allel (HLA) DQB1*0602. Für Patienten ist Narkolepsie aber kein Todesurteil.
Leitliniengerecht behandeln
Patienten können momentan nicht mit einer Heilung rechnen. Allerdings gibt es zahlreiche Pharmaka, um die Symptome zu kontrollieren. An erster Stelle nennt die aktuelle Leitlinie Modafinil, gefolgt von Methylphenidat. Natriumoxybat gilt als potentes Pharmakon gegen Kataplexien, hat aber auch seine Schattenseiten. Ende Dezember veröffentlichte die US Food and Drug Administration aus gegebenem Anlass eine Warnung hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen mit Alkohol und anderen zentral dämpfenden Substanzen. Durch Interaktionen kam es mehrfach zu gefährlichen Atemdepressionen. Natriumoxybat lässt sich mit Modafinil kombinieren, was zu besseren Resultaten, aber auch zu vermehrten Nebenwirkungen führt. Sollte die Wirkung nicht ausreichen, bleiben Arzneistoffe wie Ephedrin, Dextroamphetamin oder MAO-Hemmer als zweite Wahl. Bei Patienten, die unter Kataplexien, Schlaflähmungen oder Halluzinationen während der Einschlafphase leiden, können Antidepressiva das Gesamtbild verbessern.
Vergleichsweise schlecht ist die Datenlage bei intravenösen Immunglobulinen. Es gibt Hinweise, dass Patienten in der Frühphase ihrer Erkrankung von der immunmodulierenden Wirkung profitieren, weitere Studien müssen aber noch folgen. Parallel dazu sind Patienten gefordert, Copingstrategien zu entwickeln, um ihr Leben trotz der Erkrankung zu meistern. Hier können Kollegen wertvolle Hilfestellungen geben.
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