Eine neue Studie weist auf eine positive Wechselwirkung von Tee-Polyphenolen und DNA hin. Dies könnte das Geheimnis lüften, warum Menschen, die regelmäßig Tee trinken, seltener Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen erleiden als Nicht-Teetrinker.
Egal ob Schwarz- oder Grüntee, Mediziner und Lebensmittelforscher sind schon lange von der gesundheitsfördernden Wirkung bestimmter Teeinhaltsstoffe überzeugt. Tee (Camiellia sinensis) ist eine immergrüne, ursprünglich baumgroße Pflanze aus der Familie der Kamelien und das bisher komplexeste wissenschaftlich analysierte Lebensmittel. Seit über 50 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Strukturanalyse der Inhaltsstoffe. Die bisherigen Analyseverfahren waren nicht detailliert genug, um die vielen molekular sehr ähnlichen Verbindungen zu differenzieren.
Tee – das geheimnisvolle Wesen
Vor zwei Jahren ist es Bremer Wissenschaftlern unter der Leitung von Chemie-Professor Dr. Nikolai Kuhnert und Wissenschaftlern der University of Surrey mit Hilfe einer speziell angepassten, hochauflösenden Massen- und chiroptischen Spektroskopie-Methode – der so genannten Fouriertransformation-Ionenzyklotronresonanz-Massenspektrometrie – gelungen, etwa 10.000 aromatische Verbindungen von Thearubigen, die 60-70 % aller im Schwarztee gelösten Inhaltsstoffe ausmachen, nachzuweisen. Thearubigene sind aromatische, orange- bis braunrote Verbindungen aus der Gruppe der Polyphenole mit einem Molekulargewicht zwischen 300 und 2.100 Dalton. Während der Fermentation bei der Herstellung von Schwarztee und Oolong-Tee oxidiert ein Teil der Polyphenole zu Thearubigen und Theaflavin. Dank des computerbasierten Interpretationsverfahrens konnten insgesamt 1.517 individuellen Strukturformeln eindeutig einzelne Messsignale zugeordnet werden, 500 davon wurden experimentell verifiziert.
Bisher sind neben dem bekannten Inhaltsstoff Koffein nur rund ein Drittel der unter dem Begriff "Gerbstoff" zusammengefassten Teebestandteile chemisch charakterisiert. Als Gerbstoffe werden Polyphenolverbindungen bezeichnet, die etwa 30 Prozent der Inhaltsstoffe von unbearbeiteten Teeblättern ausmachen. Neben Koffein und Polyphenolen enthält Tee viele weitere Inhaltsstoffe wie Aminosäuren, Vitamin A, B1, B2, C, D sowie Enzyme, Pigmentstoffe (Chlorophyll), Mineralien (u.a. Magnesium, Kalzium, Magnesium, Fluor) und organische Fette. Der Koffeinanteil von Schwarztee wird übrigens auf 25-120 mg geschätzt, der von Grüntee auf ca. 8,3 mg (Koffeingehalt pro 100 ml). Im Unterschied zu Kaffee wirkt das Koffein im Tee langsamer und wirkt länger, da die im Tee enthaltenen Gerbstoffe die Wirkung des Koffeins abpuffern. Die Verarbeitung der Teeblätter entscheidet, ob Grün- oder Schwarztee entsteht. Beim Schwarztee werden die grünen Blätter fermentiert, Grüntee wird nicht fermentiert.
Antioxidantien töten Freie Radikale
Polyphenole kommen in Pflanzen als Blütenfarbstoffe (z. B. Flavonoide), Geschmacksstoffe oder Tannine vor. Sie schützen die Pflanze vor Fressfeinden oder UV-Strahlung. Tee-Polyphenole in grünem und schwarzem Tee üben eine positive Wirkung auf unsere Gesundheit aus. Dies wissen Mediziner und Lebensmittelforscher schon seit langem. Bislang ging man davon aus, dass diese gesundheitsfördernde Wirkung vor allem auf die antioxidative Wirkung der Polyphenole zurückzuführen ist. Diese natürlichen Substanzen machen bis zu 70 Prozent der Trockenmasse einer Tasse Tee aus und treten in schwarzem Tee mit bis zu 30.000 unterschiedlichen Verbindungen auf.
Antioxidantien beugen Gewebeschädigungen vor, indem sie so genannte Freie Radikale – aggressive chemische Übeltäter – welche durch negative Umwelteinflüsse entstehen, binden und unschädlich machen. Jüngere Untersuchungen der letzten fünf Jahre konnten jedoch überzeugend nachweisen, dass die gesundheitsfördernde Wirkung von Tee-Polyphenolen nicht in erster Linie auf ihre antioxidative Wirkung zurückzuführen ist. Daher war der genaue Wirkmechanismus für die positiven Gesundheitseffekte dieser teetypischen Pflanzenstoffe bislang nach wie vor ungeklärt.
Molekularbiologische Wechselwirkungen
Das Bremer Forscherteam um Nikolai Kuhnert konnte nun erstmals zeigen, dass die positive Wirkung der Tee-Polyphenole vermutlich auf molekularbiologischen Wechselwirkungen mit dem in Zellen gespeicherten Erbgut beruht. Basierend auf Befunden, dass sich in den Teepflanzen die Polyphenole vor allem in den Zellkernen anreichern, untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe verschiedener Spektroskopie-Verfahren (Massen- und chiroptische Spektroskopie), ob und wie einzelne Polyphenol-Moleküle mit der Zellkern-DNA interagieren. Sie fanden heraus, dass zwei der häufigen Tee-Polyphenole, Epigallocatechingallat aus grünem Tee und Theaflavin-Digallat aus schwarzem Tee, besonders oft Bindungen mit DNA-Stücken und Proteinen eingehen, die am Ende von Chromosomen sitzen. Diese auch "Telomer" genannten DNA-Teilbereiche sind wesentlich verantwortlich für die Stabilität der Chromosomen und schützen diese vor dem Verfall.
Jungbrunnen Telomerase verlängert Lebensdauer
In gesunden Zellen geht bei jeder Teilung ein Stück des Erbguts verloren. Die Enden des Erbgutstrangs, die Telomere – (griech. „Telos für Ende und „Meros“ für Teil) werden immer kürzer, solange bis die Zelle altert und schließlich stirbt. Nicht ohne Grund wird daher die Länge der Telomere in Verbindung mit dem Alterungsprozess gebracht, denn Zellteilung kann nicht unbegrenzt häufig ablaufen und ist durch die Telomerlänge eingeschränkt. Je kürzer die Telomere, desto seltener können sich die Zellen teilen und erneuern. Dieser Gefahr beugt das „Jungbrunnen“-Enzym Telomerase vor, welches immer wieder Erbmaterial am Erbgutende ablagert, sodass sich die Zellen weiter vermehren können. Das Gen für Telomerase ist beim Menschen hauptsächlich in Keimzellen, aber auch in Tumorzellen aktiv. Die Telomeraseaktivität bewirkt, dass sich die Zellen unbegrenzt teilen können. In beiden Fällen altern die Zellen so zu sagen nicht. Hier kommt der Tee ins Spiel. Die Polyphenol-Verbindungen aus dem Tee aktivieren die Telomerase in den Körperzellen, verlangsamen so den Verkürzungsprozess der Telomere und verlängern die Zelllebensdauer. „Wir gehen davon aus, dass diese positive stabilisierende Wirkung auf die Erbinformation auf lange Sicht auch die Gesundheit und Lebenserwartung des gesamten Organismus verbessert. Bestätigt wird dies durch Experimente mit der Fruchtfliege Drosophila, deren Lebensdauer sich durch den Konsum von Tee um 20 Prozent verlängert. Im Prinzip kann jede chemische Verbindung, die in dieser Weise an die Telomere andockt, diesen Effekt haben; interessanterweise kennen wir bislang jedoch noch keine andere natürliche Substanz, die Telomere so effektiv stabilisiert, wie die Tee-Polyphenole", erklärt Kuhnert.
Wie verhalten sich Polyphenole beim Menschen?
Die Ergebnisse von Nikolai Kuhnert basieren bislang auf in vitro-Studien mit menschlicher Telomer-DNA. Gemeinsam mit seinem Team möchte Kuhnert nun schnellstmöglich herausfinden, wie sich die Tee-Polyphenole im menschlichen Körper unter alltäglichen Bedingungen verhalten. "Sollte sich herausstellen, dass sich durch regelmäßigen Tee-Konsum im menschlichen Gewebe Tee-Polyphenole im Zellkern anreichern, hätten wir tatsächlich erstmals den Nachweis erbracht, dass ein Lebensmittel das menschliche Leben verlängern kann. Dies wäre dann eine hochinteressante Ausgangsbasis für medizinische und klinische Studien, um das therapeutische Potential der Tee-Polyphenole zu erforschen", so Kuhnert abschließend.
Exkurs: Wirtschaftliche Bedeutung von Tee
Schwarzer Tee ist nach Wasser das meist konsumierte Getränk der Welt mit einem Durchschnittsverbrauch pro Kopf von einem halben Liter am Tag. Laut Deutschem Teeverband lag die weltweite Teeproduktion 2010 bei 4,1 Mio. Tonnen. Nicht erfasst wurde die Produktion von Aufgussgetränken wie Früchtetee, Rooibostee oder Kräutertee. In Deutschland wurden 2010 rund 18.300 Tonnen Tee konsumiert, das entspricht einem Teeverbrauch von ca. 25,5 Litern pro Person. Davon entfielen auf Schwarztee 77 % und auf Grüntee 23 %. Je nach Weltmarktpreis kann eine Jahresernte einen Gesamtwert von mehr als 10 Mrd. US-Dollar erzielen.