Mundgeruch treibt Patienten in die soziale Isolation. Das muss nicht sein: Entgegen gängigen Vorurteilen führen meist einfache Maßnahmen zum Erfolg. Nur selten versteckt sich hinter üblem Atem eine ernste Krankheit.
Wer kennt das nicht: Gestern noch das gute Abendessen beim Griechen, Zwiebeln und Knoblauch inklusive, doch heute gehen die Mitmenschen auf Distanz. Während die abschreckende Wirkung diverser Speisen nach Stunden bis Tagen verfliegt, leiden manche Patienten ständig unter sozial stigmatisierendem Mundgeruch.
Mehr als 25 Prozent aller Deutschen sind davon phasenweise betroffen, und sechs Prozent quälen sich dauerhaft mit diesem Problem. Ausgehend von der englischsprachigen Literatur hat sich Halitosis als Begriff eingebürgert, egal, welche Mechanismen letztlich dahinterstecken. Moderne Analytik entlarvt so manches geruchsintensive Molekül.
In den Fängen der Chemiker
In der Atemluft von Halitosis-Patienten wiesen Chemiker durch Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) rund 700 flüchtige Stoffe nach. Nicht alle Moleküle sind für den üblen Geruch verantwortlich. Vielmehr gelten Schwefelwasserstoff, Methylmercaptan, Dimethylsulfid und weitere flüchtige Schwefelverbindungen als schuldig im Sinne der Anklage. Auch Amine, Aromaten, Alkohole und kurzkettige Carbonsäuren tragen zum unerwünschten Geruchspotpourri mit bei. Entsprechende Abbauprodukte entstehen zu rund 85 Prozent in der Mundhöhle. Nur selten stecken pathologische Prozesse im HNO-Bereich (zehn Prozent) oder Funktionsstörungen innerer Organe (fünf Prozent) dahinter.
Komfortzone für Bakterien
Keime wie Solobacterium moorei (Bulleidia moorei) sind in der Mundhöhle aktiv. Kein Einzelfall: Mehr als 80 Spezies spalten aus schwefelhaltigen Aminosäuren wie Cystein Schwefelwasserstoff ab oder synthetisieren Mercaptane. Als Quellen dienen Nahrungsreste, Speichel sowie Blut, wobei hier Proteasen aus dem Speichel ebenfalls in das Spiel kommen. Sie zersetzen Eiweiße zu Aminosäuren, unter anderem zu Cystein – ein ideales Substrat. Besonders wohl fühlen sich Mikroben bei Patienten mit vermindertem Speichelfluss. Dahinter stecken neben einer verminderte Flüssigkeitsaufnahme diverse Arzneistoffe, etwa Anticholinergika, Antidepressiva, Antiallergika oder Antihypertensiva. Selten deuten Xerostomien auf eigenständige Grunderkrankungen hin, beispielsweise das Sjögren-Syndrom, Diabetes mellitus oder Fehlfunktionen der Schilddrüse. Nach einer Strahlentherapie klagen Patienten ebenfalls über Mundtrockenheit.
Gut geschützt
In der Mundhöhle besiedeln Keime gern schwer zugängliche Stellen, etwa marode Füllungen, kariöse Stellen oder Zahnfleischtaschen. Paradontitis, Gingivitis oder lokale Infektionen führen zu ähnlichen Resultaten. Bis zu 80 Prozent aller Bakterien des Mundraums sammeln sich jedoch auf der Zunge. Bei sichtbarem Zungenbelag sind rund 25 Mal mehr Mikroben vor Ort aktiv als im Normalfall. Während Zahnpflege heute schon im Kindergarten auf der Tagesordnung steht, wird das Geschmacksorgan nicht selten sträflich vernachlässigt. Auf der Suche nach erfolgreichen Strategien verglichen Forscher den Erfolg verschiedener Putzmethoden: eine Zahnreinigung mit Zahncreme und Zahnbürste, ergänzend eine Zungenreinigung mit marktüblicher Zungenbürste und Zahnpasta sowie den Einsatz spezieller Zungengele. Neben sensorischen Bewertungen wurden flüchtige Schwefelverbindung mit Messgeräten bestimmt – jeweils vor und nach der Reinigung. In der Tat lieferte eine Kombination von Zähneputzen und Reinigung der Zunge mit Gelen die besten Ergebnisse. Interessant sind auch die Wirkstoffe.
Chemische Keulen
Um die Zahl an unerwünschten Mikroorganismen zu verringern, machen antibakterielle Substanzen Sinn. Chlorhexidin ist der Goldstandard, führt bei längerer Anwendung jedoch zu Verfärbungen und teilweise zu Geschmacksirritationen. Deshalb enthalten manche Produkte Cetylpyridiniumchlorid, Zinnfluorid oder Aminfluorid, Triclosan oder stark verdünntes Wasserstoffperoxid als Alternative. Und Schwermetallsalze wie Zink oder Zinn bilden flüchtige Schwefelverbindungen, indem schwerlösliche Sulfide entstehen. Doch die Mischung mach es: Wie eine Cochrane Review bereits in 2008 zeigte, verringern Chlorhexidin plus Cetylpyridiniumchlorid plus Zinklactat Mundgeruch signifikant im Vergleich zu Placebo. Und Teebaumöl hat zumindest in kleineren Studien einen deutlich ausgeprägten, antimikrobiellen Effekt unter Beweis gestellt, speziell gegen Solobacterium moorei. Doch nicht jedes Produkt hält, was vollmundige Werbeslogans versprechen. Brasilianische Kollegen untersuchten, inwieweit Mundspülungen mit Extrakten aus Zitwerwurzeln (Curcuma zedoaria) oder aus grünem Tee (Camellia sinensis) flüchtige Schwefelverbindungen neutralisieren. Einen Effekt fanden sie dabei nicht. Generell diskutieren Zahnärzte auch die Frage, wie lange antibakterielle Substanzen angewendet werden sollten, kontrovers. Als Dauertherapie drängen sie die erwünschte Mundflora ebenfalls zurück.
Das große Übel
Nur selten stecken Erkrankungen anderer Organsysteme hinter üblen Gerüchen, etwa eine Rhinosinusitis oder eine Tonsillitis. Nach erfolgreicher Sanierung besserte sich neben primären Symptomen auch eine Halitosis. Laien denken bei Mundgeruch jedoch eher an Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts – das ist unwahrscheinlicher, als viele Jahre lang angenommen wurde. Im Rahmen einer prospektiven Studie haben türkische Kollegen 121 Männer und 237 Frauen mit dyspeptischen Beschwerden untersucht. Patienten der Halitosis-Gruppe wurden signifikant häufiger von Aufstoßen, Blähungen und Übelkeit geplagt. Diagnostisch ergaben sich aber keine Häufung üblicher Krankheitsbilder wie Ösophagitis, Cardiainsuffizienz, Hiatushernie, Gastritis oder Duodenitis. Helicobacter pylori hat ebenfalls keinen klar ersichtlichen Einfluss auf die Bildung übelriechender Schwefelverbindungen. In Einzelfällen wurden jedoch Zusammenhänge zwischen Mundgeruch und Ösophagusdivertikeln nachgewiesen.
Stoffwechsel außer Rand und Band
Diverse Stoffwechselprozesse können – wenn auch selten – zu schlechtem Atem führen. Metabolisiert die Leber aufgrund eines Kohlehydratmangels Fettsäuren zu Ketonkörpern, entsteht Aceton. Das Molekül wird nicht weiter umgesetzt, sondern über den Urin beziehungsweise die Atemluft abgegeben – ein charakteristischer Geruch lässt darauf schließen. Bei Diabetes-Patienten kann diese Ketoazidose bis zum Koma führen. Und nicht zuletzt sondern Patienten mit Trimethylaminurie, im Angloamerikanischen als „Fish-Odor-Syndrom“ bekannt, übelriechendes Trimethylamin ab.
Dahinter steckt ein genetisch bedingter, nicht heilbarer Enzymdefekt. Leber- und Nierenerkrankungen führen aufgrund von Änderungen im Stoffwechsel mitunter auch zu einer Halitosis – Einzelfälle der inneren Medizin. In den meisten Fällen können Ärzte und Zahnärzte ihren Patienten jedoch helfen, das unangenehme Übel aus der Welt zu schaffen.