Unheilbar Erkrankte und deren Angehörige fühlen sich häufig im Stich gelassen. Die Palliativmedizin füllt diese Lücke, kümmert sich um die Betroffenen und konfrontiert praktizierende und angehende Mediziner wie Pflegekräfte täglich mit der eigenen Sterblichkeit.
Der Gedanke an den Tod löst bei fast allen Menschen ein beklemmendes Gefühl, Angst und Unsicherheit aus. In der Regel wird das Thema im Alltag schnell verdrängt. Für Menschen, die an einer unheilbaren Erkrankung leiden, ist der nahende Tod sehr präsent. Auch hier spielen Ängste, Sorgen, Wut und Traurigkeit eine große Rolle. Dazu kommen aufgrund der Erkrankung verschiedenste Krankheitssymptome, vor allem Schmerzen.
Die Betreuung und Begleitung von sterbenden Menschen in einem multiprofessionellen Team aus pflegerischer, ärztlicher, psychologischer und seelsorgerischer Sicht ist eine große Aufgabe und Herausforderung und rückt das Thema Sterben als Teil des Lebens ins gesellschaftliche Bewusstsein. Cicely Saunders gilt als Pionierin der Palliative-Care-Bewegung. Sie gründete 1967 das St. Christopher's Hospice in London. Im Hospiz sollte es darum gehen, Sterbenden ihre letzten Stunden so selbstbestimmt und erträglich wie nur möglich zu machen. Neben einer guten Pflege und einer adäquaten Schmerztherapie waren ihr aber auch eine psychosoziale und spirituelle Betreuung wichtig. Seither nimmt die Palliativmedizin eine langsame, aber stetige Entwicklung. Es hat bis 1983 gedauert, bis die Deutsche Krebshilfe mit der Chirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Köln die erste Palliativstation in Deutschland eröffnete. 1999 wurde in Bonn die erste Professur für Palliativmedizin eingerichtet und seit 2009 ist die Palliativmedizin ein Teil der studentischen Ausbildung.
Auseinandersetzung mit dem Tod
Durch eine Gesetzesänderung wurde im August 2009 die Approbationsordnung der Ärzte um das Fach Palliativmedizin ergänzt. Seitdem arbeiten die Hochschulen an einer Umsetzung der Palliativmedizin in eine praxisnahe Lehre. Für Patienten erhöht sich damit die Chance, in naher Zukunft auf Ärzte zu treffen, die sich schon im Studium mit dem Umgang mit Todkranken befasst haben. Was jedoch vielleicht noch viel wichtiger für die betroffenen Patienten ist, dass sie auch auf Ärzte treffen können, die im Studium Zeit und Gelegenheit bekommen haben, sich intensiv mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. Die Universität Köln ist einer der Vorreiter. Schon vor der Änderung der Approbationsordnung wurde die Palliativmedizin dort obligatorisch in den Lehrplan aufgenommen.
Die Studenten bekommen die Gelegenheit, todkranke Patienten zu treffen und ihnen gezielt Fragen zu stellen. Die Patienten berichten zu Beginn zumeist von ihren Erkrankungen und den jeweiligen Leidenswegen, inwieweit sie und ihre Familie die Diagnose aufgenommen und verarbeitet haben und welche Vorkehrungen sie für ihre Familie für das "Leben danach" getroffen haben. Darauf haben die Studenten die Chance, die Ausführungen der Patienten auf sich wirken zu lassen und diesen konkrete Fragen zu stellen. Viele Studenten sind zuerst etwas scheu und trauen sich nicht, den Patienten Fragen zum Thema Tod zu stellen. "Es ist schon krass, wenn man einem Patienten begegnet, der weiß, dass er bald stirbt und sich zudem damit abgefunden hat. Er redet dann darüber, als wäre es etwas ganz Normales und Alltägliches. Das begreift man als gesunder und betroffener Mensch gar nicht. Für uns ist der Tod so furchtbar und endgültig und zum Teil auch einfach unnatürlich, sodass man es verdrängt. Aber diese Patienten und ihre Familien müssen sich damit jeden Tag auseinandersetzen", so eine teilnehmende Studentin.
Kontrolle und Behandlung mit zentraler Rolle
Eine zentrale Rolle in der Palliativmedizin spielt die Kontrolle und Behandlung von Krankheitssymptomen. Hier geht es nicht mehr um die Heilung einer Erkrankung, sondern um die Schaffung einer bestmögliche Lebensqualität. Da bei vielen Betroffenen vor allem Schmerzen im Vordergrund stehen, nimmt die Schmerzbehandlung einen großen Anteil in der Versorgung auf den Palliativstationen, Hospizen und der Palliativversorgung zu Hause ein. In der Schmerztherapie stellt das sogenannte "Total-pain-Konzept" einen wichtigen Baustein in der Palliativversorgung dar. Die Idee hinter diesem Konzept ist die Mehrdimensionalität des Schmerzes.
Lena*, eine 20-jährige Studentin der Zahnmedizin, arbeitet neben dem Studium ehrenamtlich in der Klinik auf der palliativmedizinischen Station. "Obwohl dies rein gar nichts mit meinem Studiengang an sich zu tun hat, finde ich es sehr interessant, auf der Palliativmedizin zu arbeiten und die betroffenen Patienten zu betreuen. Die Gespräche mit den Patienten tun den Patienten und auch mir persönlich sehr gut. Es fühlt sich so an, als würden die Betroffenen sich alles von der Seele reden, um mit allem abschließen und sich quasi auf den Tod vorbereiten zu können." Aber solch eine ehrenamtliche Aufgabe kann nicht nur eine Erfüllung sein, sondern auch großen Einfluss auf das eigene Leben nehmen. "Man nimmt schon sehr viel durch die Arbeit mit den schwerkranken Patienten mit nach Hause. Man lebt bewusster, denkt sehr viel über das eigene Leben nach und achtet auf seine Mitmenschen. Dinge, die noch offen im Raum stehen, werden schneller geklärt, da man nie weiß, ob es nicht schon am nächsten Tag dafür zu spät sein kann."
Wertigkeit und Wichtigkeit der Syptome beachten
Neben der körperlichen Komponente wird das Leiden auch durch eine psychische, soziale und spirituelle Komponente geprägt. Entsprechend ist die medikamentöse Schmerztherapie als alleiniges Therapieangebot in der Regel unzureichend. Denn oft beeinflussen Zusatzfaktoren wie ungelöste soziale Konflikte, Schlaflosigkeit, Abhängigkeiten, Ängste, Sorgen, Trauer oder ungelöste familiäre Probleme den erlebten Schmerz ganz entscheidend. Neben den Schmerzen treten in der letzten Phase des Lebens auch Beschwerden wie Luftnot, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, aber auch Ängste und depressive Phasen auf. Das Ziel ist es, mit den Betroffenen die belastendsten Probleme herauszufinden und Behandlungsoptionen zu besprechen. Denn die Wertigkeit und Wichtigkeit der Symptome ist unterschiedlich. Es ist ein ganzes Team an Mitarbeitern, das idealerweise in die Betreuung eingebunden ist. Neben den Palliativstationen und Hospizen wird zunehmend die palliative Betreuung zu Hause durch Angehörige, Pflegekräfte, den Hausarzt und die zusätzlich vielerorts bereits verfügbaren speziellen ambulanten Palliativteams ermöglicht.
Sarah* hat gerade eine Famulatur auf der palliativmedizinischen Station hinter sich. "Nicht nur die betroffenen Patienten brauchen viel Hilfe. Auch deren Angehörige brauchen ein offenes Ohr und viele Tipps für den Alltag. Auch sie möchten wissen, wie sie sich am besten verhalten sollen, vor allem, wie sie mit ihrem eigenen Schmerz leben können. Sie müssen ja mit ansehen, wie ein geliebter Mensch langsam stirbt und dabei große Schmerzen empfindet und sehr leidet." Sarah konnte durch die Famulatur viel für den besseren Umgang mit Patienten und das eigene Leben mitnehmen.
Gespräche sind das Wichtigste
"Im Studium selbst lernt man so wenig über den Umgang mit Patienten. Während der Famulatur habe ich gesehen, wie wichtig das auch für Patienten und deren Angehörige ist. Während der Famulatur waren die Gespräche zwischen Arzt und Patient einfach das Wichtigste. Die medikamentöse Behandlung kam erst an zweiter Stelle. Generell verhält es sich ja genau entgegengesetzt. Durch die Famulatur habe ich auch gelernt, bewusster zu leben und den Moment zu genießen. Man weiß nie, wann es vorbei sein kann."
Das Fachgebiet Palliativmedizin gewinnt zunehmend an Bedeutung, nicht zuletzt wegen des demografischen Wandels. Daher lohnt es sich in jedem Fall, eine Famulatur auf diesem Gebiet in Erwägung zu ziehen und somit einen Einblick in das Handeln der Ärzte und des gesamten Palliativteams zu gewinnen.
*Die Namen wurden, auf Wunsch der Interviewten, geändert.