Bei nahezu drei Millionen Bundesbürgern pfeift es täglich im Ohr. Eine akustische Modulation von Nervenzellen setzt direkt an einer der Ursachen von Tinnitus an: die digitale Therapie soll die krankhafte Synchronisation in Tinnitus-assoziierten Hirnregionen gezielt auflösen.
Mit Tinnitus aurium wird die anhaltende oder wiederkehrende subjektive Wahrnehmung eines Tons oder Geräusches ohne einen realen akustischen Reiz bezeichnet. Der permanente akustische Begleiter beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich und birgt einige gesundheitliche Risiken – physisch wie psychisch. Diese wirken sich oftmals auch äußerst negativ auf ihr Berufs- und Privatleben aus. Bei nahezu einem Drittel der Tinnitus-Patienten bundesweit ist eine intensive ärztliche Betreuung erforderlich.
Selbstgespräche der Neuronen
Eine geraume Zeit wurde davon ausgegangen, dass Tinnitus seinen Ursprung im Auris interna hat: Die in den beiden Organen des Innenohrs befindlichen Haarzellen, so die Annahme, seien übermäßig aktiv. Dies wird via Hörnerv zum Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet und löst hier die Tonwahrnehmung aus. Auf Grund dessen wurde mitunter noch bis in die 1980er Jahre bei schwer ausgeprägtem Tinnitus der Hörnerv durchtrennt. Die dabei in Kauf genommene Taubheit zeitigte jedoch keine Erfolge. Weitere Thesen zur Entstehung des Tinnitus basierten auf einer verringerten Leistungsfähigkeit der Hörsinneszellen, beispielsweise hervorgerufen durch Durchblutungsstörungen, Entzündungen oder pathologische Lärmeinwirkung.
Ursprung liegt im Gehirn
Inzwischen betrachtet die medizinische Forschung die Erkrankung aus einem anderen Blickwinkel: Tinnitus wird durch eine übermäßige und synchrone Neuronenaktivität verursacht. Sie wird ausgelöst, wenn die Neuronen im auditorischen Kortex verminderte oder keine Impulse erhalten. Den fehlenden "Gesprächsstoff" versuchen die Neuronen damit auszugleichen, indem sie spontan selbst aktiv werden – sie beginnen, mit sich selbst zu reden. Hintergrund dieser Selbstgespräche ist die neuronale Plastizität des Gehirns. Dank ihr können sich Nervenzellen und Synapsen ebenso wie ganze Hirnareale flexibel an variierende Erfordernisse anpassen. Dieser universelle Mechanismus des Gehirns bewirkt auch, dass sich die hyperaktiven Nervenzellen des auditorischen Kortex krankhaft verstärkt verbinden. Manifestiert sich das Neuronennetzwerk mit seinen synchron gesendeten Signalen, werden diese intrinsischen Töne vom Gehirn gelernt. Was natürlich falsch ist, aber dennoch den Tinnitus kodiert und verankert – obwohl kein Ton vorhanden ist.
Umerziehung im auditorischen Kortex
Die synchron überaktiven Neuronen im Hörzentrum können allerdings "umerzogen" werden: Dazu werden sie gezielt in ihrer pathologischen Synchronizität gestört. Dies erfolgt durch das stetige Wiederholen eines auf den jeweiligen Tinnitus angepassten akustischen Therapiesignals.
Durchgeführt wird die Umerziehung im auditorischen Kortex mit Hilfe akustischer Neuromodulation. Hierbei wirken räumlich wie zeitlich versetzt getaktete Tonfolgen auf die betroffenen Nervenzellverbände ein und lösen deren Desynchronisation aus. Der Therapieansatz geht also den gleichen Weg zurück, auf dem der Tinnitus entstanden ist – die neuronale Plastizität. Ebenso wie deren pathologische Überaktivität "erlernt" wurde, kann sie nun wieder "verlernt" werden. Entsprechend trägt das Verfahren auch die Bezeichnung "Coordinated Reset®", kurz CR.
Therapie erfolgreich
Um es in der Praxis einzusetzen, wird die aktuelle Tinnitus-Frequenz und -Lautheit des jeweiligen Patienten in der HNO-Facharztpraxis von einem CR-Programmiergerät erfasst. Anhand dessen kann die spezifische Tonfolge für die akustische Neuromodulation berechnet und dann auf dem CR-Neurostimulator programmiert werden. Die Behandlung läuft über mehrere Monate, täglich vier bis sechs Stunden. Dies führt, wie eine Studie zeigte, zu einer deutlichen Verringerung der Symptome: Nach zwölf Wochen stellen sich signifikante Effekte durch die Behandlung ein. Die Tinnitus-Lautheit und die Belastung verminderten sich um etwa 30 Prozent (p < 0,05). Zugleich verbesserte sich der Tinnitus bei 70 Prozent der Patienten um mindestens einen Schweregrad.
Die Misstöne der innovativen Beschallung
Die digitale Therapie ist allerdings nicht für jede Form von Tinnitus geeignet: Davon profitieren kann nur, wer unter einem subjektiven, tonalem Tinnitus mit einer Frequenz zwischen 200 und 10.000 Hz leidet. Bei Patienten mit einem objektivem Tinnitus ist die Neuromodulation nicht möglich. Problematisch kann es zudem werden, wenn der Patient verschiedene Tinnitustöne hört. Dann muss die Stimulation zuerst auf den dominanten Ton – den jeweils lautesten und unangenehmsten – abzielen. Die Töne klar zu unterscheiden, gelingt indessen den meisten der Betroffenen nur schwer bis kaum.
Gänzlich ungeeignet ist die Neuromodulation bei Morbus Menière, akustischen Halluzinationen und symptomatischen Hörstörungen. Ausgeschlossen werden müssen auch Patienten mit Gehirnstammerkrankungen, psychiatrischen und internistisch-onkologischen Grunderkrankungen. Zu berücksichtigen sind ferner mögliche Nebenwirkungen wie unter anderem akustisch ausgelöste Epilepsien, die bei falscher Anwendung oder nicht fachmännischer Anpassung auftreten können.
Abgesehen von Einschränkungen und Nebenwirkungen geben Experten zu bedenken, dass eine einzige Therapie den Tinnitus nur äußerst unwahrscheinlich abstellen wird. Gute Effekte werden auf lange Sicht nur mit einer Kombination verschiedener Ansätze zu erzielen sein. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass die digitale Behandlung den Patienten ziemlich teuer kommt. Insgesamt fällig werden um die 3.300.- Euro für Gerät, ärztliche Voruntersuchung, Anpassung, Einstellung und Nachjustierung – komplett als Privatleistung, da die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen. Kleiner Trost: Die Patienten haben eine zwölfwöchige Geld-zurück-Garantie bis auf eine Gebühr von 390 Euro, falls sie nicht auf die Therapie ansprechen.