Zahnärzte haben ein neues Verständnis der Kariesprophylaxe entwickelt. Das Zauberwort heißt Biofilm-Management. Zahnbürsten haben noch nicht ausgedient, Forscher tüfteln aber an neuen Ideen. Ihre Strategien: Antikörper oder transgene Bakterien.
Bei schlechter Zahnreinigung entstehen zusammen mit Epithelresten Pellikel. Schließlich siedeln sich Bakterien wie Streptococcus mutans an, diese haften gern gut geschützt im Biofilm. Diese sind kleine Welten für sich: Die Matrix enthält Kohlenhydrate, speziell Dextrane und Proteine als Nahrungsreserve, ansonsten haben Wissenschaftler kleine Signalmoleküle nachgewiesen. Über Quorum Sensing entsteht eine optimale Populationsdichte an Bakterien – mit hohen Stoffwechselraten. Produkte wie organische Carbonsäuren haben Karies zur Folge. Forscher an der Bürste Von der Wiege bis zur Bahre hören Patienten deshalb von ihrem Zahnarzt immer die alte Leier: Zähne putzen. Jetzt haben sich Wissenschaftler des Themas angenommen. Um der Frage nachzugehen, was moderne Zahnpflege wirklich leisten kann, durchforsteten niederländische Kollegen 2.119 Fachartikel und identifizierten schließlich 59 Papers mit hoher Qualität. Ein Fazit: Patienten, die ihre Zähne regelmäßig putzten, konnten Beläge dadurch um 42 Prozent reduzieren. Als vergleichsweise effektiv erwiesen sich abgewinkelte Bürstenhaare, besonders schlecht war die Wirkung abgeflachter Borsten. Im Schnitt nahmen nach einer Minute Putzdauer Plaques um 27 Prozent und nach zwei Minuten um 41 Prozent ab. Da sich nur wenige Veröffentlichungen mit dem Putzen nach Anleitung beschäftigten, waren dazu keine statistisch signifikanten Aussagen möglich. Einzelne Arbeiten zeigen aber durchaus interessante Aspekte. Patienten auf der Schulbank Zahnärzte und Biologen aus Köln nahmen sich gemeinsam dieses schwierigen Themas an und verglichen verschiedene Methoden der Patientenschulung bei Jugendlichen. Sie ordneten 157 Schüler randomisiert drei verschiedenen Gruppen zu:
Im Rahmen von Follow-ups wurde untersucht, ob Probanden von kindlicher Zahnpflege zu üblichen Technik bei Erwachsenen wechselten. Nach einstündiger Anweisung reproduzierten 90 Prozent aller Teilnehmer die gewünschte Methodik. Einer Woche später betrug die Adhärenz bei Gruppe eins nur noch 28,5 Prozent, bei Gruppe zwei waren es 39 Prozent und bei Gruppe drei immerhin 95 Prozent. Auch drei beziehungsweise neun Monate später zeigte die dritte Gruppe immer noch signifikant bessere Resultate: ein klares Votum für das sogenannte "adherence triangle concept". Anleitung zum Zähneputzen Soviel zu Kindern – am Institut für medizinische Psychologie der Uni Gießen standen Erwachsene im Mittelpunkt. Die Fragestellung war, wie leicht Studierende gängige Putztechniken erlernen. Als Anleitung diente eine zusammen mit Zahnmedizinern entwickelte Computerpräsentation, die 30 bis 45 Minuten Zeit in Anspruch nahm. Probanden, welche die einfachere "Fones-Technik" erlernen sollten, schnitten besser ab als ihre Kollegen in der "Bass"-Gruppe. Beide Gruppen waren jedoch weit vom Optimum entfernt. Für die zahnärztliche Praxis bedeutet das, nicht jeder Patient mit schlechter Zahnhygiene ist zwangsläufig ein Putzmuffel, oftmals scheitert es an der Technik. Jetzt sollten Lehrmaterialien für den Heimgebrauch entwickelt werden – entsprechende Instruktionen sind in dieser Ausführlichkeit nicht während regulärer Kontrolluntersuchungen möglich. Auch fragen Patienten häufig, welche Zahnbürste empfehlenswert sei. Bürste 2.0 Noch vor einigen Jahren hatte die Cochrane Collaboration lediglich Handzahnbürsten mit elektrischen Pendants verglichen. Damals war das Fazit, elektrische Zahnbürsten könnten bereits während eines kurzen Zeitraums Beläge wirksamer entfernen und Zahnfleischentzündungen stärker vermindern als die manuelle Variante. Längere Beobachtungszeiträume von drei Monaten oder mehr besserten eine Gingivitis noch deutlicher. Jetzt widmeten sich britische Forscher am Frenchay Hospital der Frage, welche elektrische Zahnbürste den besten Nutzen bringt. Sie nahmen 15 Studien mit insgesamt 1.015 Probanden in ihre systematische Review auf, fanden aber keine signifikanten Unterschiede. Effektiv und harmlos Eine Cochrane-Metaanalyse mit 17 Studien und 1.369 Teilnehmern lieferte Hinweise, dass Geräte mit oszillierend-rotierender Bürste besser reinigen als Varianten, die nur auf Seitwärtsbewegungen setzen. Die Autoren sprechen jedoch von "unklaren beziehungsweise hohen Risiken eines Bias". Deshalb könne noch keine endgültige Schlussfolgerung zur Überlegenheit gezogen werden. Zahnärzte der Universität Sheffield untersuchten die Sicherheit oszillierender, sich drehender Bürstenköpfe. Ihr Fazit aus 35 Studien: Elektrischen Zahnbürsten würden weder harte noch weiche Gewebe in Mitleidenschaft ziehen. Kampf dem Keim Das Biofilm-Management hört beim Zähneputzen aber nicht auf. Vor allem Engstände oder Fissuren sind mit der Bürste schwer zu erreichen, hier entwickeln sich wahre Biotope. Mittlerweile haben Zahnärzte deshalb zusätzliche Strategien entwickelt: Antibakterielle Wirkstoffe, etwa Chlorhexidin oder Triclosan, vermindern bei regelmäßiger Anwendung kariesrelevante Keime. Chlorhexidin liegt in medizinischen Zubereitungen als Kation vor und bindet bevorzugt an negativ geladene Bestandteilen bakterieller Biofilme. Auch Zinnfluoride wirken antibakteriell, der Effekt ist jedoch deutlich schwächer ausgeprägt. Und Süßstoffe oder Zuckeraustauschstoffe helfen nicht nur bei Patienten, die unregelmäßig zur Bürste greifen. Xylitol hat schwach bakteriostatische Eigenschaften. Probanden, die über 30 Tage oder mehr regelmäßig entsprechende Kaugummis konsumierten, hatten in ihrem Speichel deutlich weniger Streptococcus mutans-Keime als zuvor. Neues aus der Gentechnik Genau an diesem Keim arbeiten Forscher im Labor. Antikörper gegen Streptococcus mutans, in einen Lack verpackt, könnten die Besiedlung von Belägen verhindern. Als Achillesferse dienen Glycosyltransferasen oder Adhäsine, die Bakterien und Pellikel verbinden. Forscher bei Oragenics arbeiten im Rahmen ihrer "SMaRT Replacement Therapy" hingegen mit gentechnisch veränderten, "abgeschwächten" Streptococcus mutans-Stämmen. Diese exprimieren statt des Enzyms Lactatdehydrogenase nur noch Alkoholdehydrogenase – und vorbei ist es mit der Synthese aggressiver Carbonsäuren. Ein zusätzliches Gen führt zur Bildung von antibiotischem Mutacin. Im Mund sollen transgene Keime die eigentlichen Kariesverursacher verdrängen – jahrelanger Schutz inklusive. Besonders während der ersten Lebensmonate sei dieses Konzept erfolgversprechend, heißt es bei Oragenics. Das „SMaRT“-Projekt befindet sich mittlerweile in einer zweiten klinischen Phase-I-Studie. Maßnahmen zur zahnärztlichen Prävention werden trotzdem nicht überflüssig.