Wenn bei wissenschaftlichen Studien das Marketing wichtiger als objektive Information ist, leidet der Ruf. Die Konsequenz: Generelles Misstrauen gegen die Pharmaindustrie bei vielen Ärzten. Das macht zuweilen auch gute Ergebnisse schlechter als sie sind.
Kennen Sie MEZIS? Die Abkürzung steht für eine 350 Mitglieder große Ärzteinitiative namens „Mein Essen zahl ich selbst“. Die Mitglieder verpflichten sich, keine Pharmareferenten in ihrer Praxis zu empfangen und verzichten auf Pharmaindustrie-gesponserte Hard- und Software. Dabei sind in Deutschland drei von fünf Ärzten überzeugt, dass sie sich durch Geschenke oder „Unterstützung“ niemals in ihren Verordnungen beeinflussen lassen würden. Ärztetest mit fiktiven Studien „Pharma“ hat einen schlechten Ruf. Bei Patienten und - inzwischen - auch bei Ärzten. Die subjektive Grenze zwischen Marketing und objektiver Information über aufwändig getestete Wirkstoffe verläuft an jedem Schreibtisch etwas anders. Sind „unabhängige“ Forschungseinrichtungen, die der Steuerzahler finanziert, besser als profitabhängige Hightech-Entwicklungsfabriken? Glaubt man einer Studie, veröffentlicht von Bioethikern von der Harvard Universität im New England Journal of Medicine (NEJM), würde auf eine solche Frage von der Mehrzahl der Ärzte ein „Ja“ kommen. Dabei befragten die Autoren Mediziner nicht einfach nur nach ihrer Meinung, sondern stellten sie auf die Probe. Mit fiktiven Wirkstoffen wie „Lampytinib“ gegen Hypercholesterinämie als Statin-Alternative, „Bondaglutaraz“ als Antidiabetikum statt Metformin und „Provasinab“ als Wirkstoff bei therapierefraktärer Koronarerkrankung produzierten die Autoren Studien in unterschiedlicher Qualität. Je ein Abstract über die Untersuchungen dieser Wirkstoffe schickte Aaron Kesselheim und seine Kollegen an 269 Internisten und bat sie danach um ihre Meinung zu den Berichten. Regelmäßige Fortbildungen und intensive Lektüre von Fachzeitschriften schlug sich in der Beurteilung der Studienreports nieder. Die randomisierte Doppelblindstudie mit aktiver Kontrollgruppe und einer ausreichend großen Patientenzahl war der klare Favorit gegenüber schwächeren Studiendesigns. So getestet waren dreimal so viele Ärzte bereit, diesen Wirkstoff ihren Patienten zu verschreiben als jenen, der nur einfach verblindet mit kurzem Follow-up erprobt worden war. Noch ein Drittel weniger vertrauenswürdig war jenes Medikament, das die Studie im offenen Vergleich mit herkömmlicher Therapie testete und dessen Vorteile sich an einem Surrogatparameter festmachten. „Pharma“ senkt Verordnungsbereitschaft Die Internisten achteten bei ihrem Zeugnis aber nicht nur auf die Qualität der Studie, sondern auch auf den Geldgeber. Dabei hatten sich die Harvard-Wissenschaftler entweder einen Namen aus den „Big 12“ der großen Pharmafirmen ausgewählt, das National Institute of Health (NIH) oder sie ließen jede Information über den Studiensponsor einfach weg. Die Ärzte legten dabei offen ihr Misstrauen gegenüber den offensichtlich „Bösen“ dar. NIH-Unterstützung garantierte bei gleicher Studienqualität doppelt so viele Verordnungen wie der Name eines Arzneimittelproduzenten bei den Autorenadressen. Selbst fehlender Sponsoringformation schenkten die Ärzte noch mehr Vertrauen als privaten Geldgebern. Industrie: Teufel oder Heilige? Vor kurzem überschrieb der „Lancet“ eine Buchbesprechung mit dem Titel „Saints or Sinners“. Der bekannte Pharmakritiker Ben Goldacre rechnet in seinem Buch „Bad Pharma“ gnadenlos mit der Arzneimittelindustrie ab. In der britischen Fachzeitschrift weist Michael Rawlins, Vorstand des britischen „National Institute for Health and Clinical Excellence“ in aber auch auf die Verdienste der Industrie um moderne Heilmittel hin, die ohne aufwändige und teure Forschungsarbeit nicht auf den Markt gekommen wären. Ghostwriting nach Marketing-Diktat Ben Goldacre prangert „Big Pharma“ jedoch nicht ganz unbegründet an. So ist „Ghostwriting“ immer noch weit verbreitet. Um äußerlich den Anschein von unabhängiger Kompetenz zu wahren, schreiben professionelle Schreibdienste im Auftrag der Sponsorfirma die Veröffentlichung, oft in enger Abstimmung mit deren Marketing-Abteilung. In der Autorenliste ersetzen dann jedoch renommierte Experten den Namen des Schreiberlings. Vor einiger Zeit deckte ein Prozess in den USA einen solchen Fall auf, in dem auf diese Weise 26 Veröffentlichungen zum Thema „Hormonersatztherapie“ zustande kamen. Je nach Preis - rund 25.000 Dollar pro Manuskript für eine klinische Studie - übernimmt eine Agentur wie etwa „DesignWrite“ in Princeton auch die Korrespondenz mit Herausgeber und Reviewer. Der Profit mit guten Ergebnisse einer Studie kommt aber nicht nur dem Wirkstoff-Hersteller zugute, sondern auch dem Fachjournal. Laut Statistik werden Firmenstudien öfter als solche mit anderen Geldgebern zitiert und heben damit den Impact Factor. Bis zu einer Million Dollar können Fachzeitschriften angeblich mit gern georderten Sonderdrucken einnehmen. Studiensponsoring erzeugt Misstrauen Daneben ist auch der vielzitierte „Publication Bias“, das Weglassen von wichtigen, aber ungünstigen Daten im Ergebnisreport einer Studie für das allgemeine Misstrauen gegenüber dem Pharmasponsoring von Arzneimitteltests verantwortlich. Selbst fundierte Ergebnisse können dann nicht mehr überzeugen. Ein Beispiel dafür ist die JUPITER-Studie zum Einsatz von Statinen bei Patienten mit normalen Cholesterinwerten. Das New England Journal fragte bei seinen Lesern nach, ob die Ergebnisse die Verschreibungsgewohnheiten ändern werde. In den „Nein“ Antworten und entsprechenden Kommentaren spiegelte sich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Geldgeber dieser anerkannten Studie wider. Allerdings, so schreibt NEJM-Herausgeber Jeffrey Drazen in einem Begleitkommentar, seien auch öffentliche Geldgeber nicht frei von eigenen Interessen und investieren hohe Summen in ihr Marketing. Wer bezahlt, schafft an. Auch in deutschsprachigen medizinischen Fachzeitschriften bestimmt die Finanzierung den Inhalt. Das gilt auch für Fortbildung mittels CME-Punkte. Kostenlose anzeigefinanzierte Blätter empfehlen in entsprechenden Fachartikeln dabei öfter bestimmte Wirkstoffe als solche, die nur mit Abonnement zu erhalten sind. Das fand Annette Becker und ihre Kollegen von der Universität Marburg heraus. Transparenz und Unabhängigkeit - Basis für gute Partnerschaft Ist es deswegen gut, der Pharmaindustrie generell zu misstrauen? Die Studie von Kesselheim und seinen Kollegen von der Harvard University zeigt deutlich, dass es noch großer Anstrengungen bedarf, um diesen Argwohn abzubauen. Strenge Regeln bei der Registrierung von Studien und deren Veröffentlichung können dabei bloß der Anfang sein. Vergünstigungen für Ärzte gehören vielleicht irgendwann auch einmal der Vergangenheit an. Objektive Information statt Marketing. Wer sein Essen selbst zahlt, schafft sich zumindest einen gewissen Grad an Unabhängigkeit. Immunität gegen Gefälligkeiten zusammen mit transparenter Forschung wäre schon einmal eine gute Grundlage für eine bessere Partnerschaft zwischen Ärzten und Arzneimittelindustrie.