Die Grünen fordern eine Bürgerversicherung, in der private und gesetzliche Krankenkassen direkt miteinander konkurrieren. Das soll in Zukunft für eine bessere Versorgung aller führen. DocCheck News hat bei der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen nachgefragt.
Maria Klein-Schmeink ist ein alter Hase in der Gesundheitspolitik: Seit 2009 Mitglied im Gesundheitsausschuss und Sprecherin für Patientenrechte und Prävention, seit 2013 Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag. Mit DocCheck News sprach die engagierte 59-jährige über Budgetierung, Vergütung und Gerechtigkeit im Gesundheitssystem. Frau Klein-Schmeink, die Bürgerversicherung liegt Ihnen am Herzen, Experten allerdings sind geteilter Meinung. Warum halten Sie sie für sinnvoll? Für das bestehende duale System aus PKV und GKV gibt es keine rationale Begründung. Es gefährdet die finanzielle Stabilität unseres Gesundheitswesens. Ärzte werden dazu verführt, sich vorrangig dort niederzulassen, wo viele Menschen mit hohen Einkommen wohnen und nicht dort, wo es für die Versorgung sinnvoll ist. Die PKV kann sich die guten Risiken zu Lasten der GKV aussuchen. PKV-Versicherte sind faktisch ihr Leben lang an eine Kasse gefesselt. Der Wettbewerb dreht sich nicht um die beste Versorgung, sondern darum, wer die meisten gut Verdienenden, Jungen und Gesunden versichert. Aus all diesen Gründen wollen wir das duale System mit einer Bürgerversicherung reformieren. In der grünen Bürgerversicherung stehen gesetzliche wie private Krankenkassen im Wettbewerb um gute Versorgung. Damit stärken wir auch die Wahlfreiheit aller Versicherten. Geht es nicht bei der Bürgerversicherung darum, eine Grundversorgung für alle zu gewährleisten, anstatt den Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Kassen zu fördern? Es geht nicht um eine Grundversorgung, sondern darum, dass alle die Versorgung bekommen, die sie benötigen. Das ist heute nicht mehr überall der Fall. Rentner oder Selbständige, die sich die hohen PKV-Prämien nicht mehr leisten können, müssen im schlimmsten Fall ihren Versicherungsschutz einschränken. Wir wollen den Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Kassen fördern. Heute gibt es keinen Wettbewerb. Die PKV kann die höheren Honorare und all dies nur finanzieren, weil die GKV ihr die Rosinen überlassen muss. Wettbewerb braucht gemeinsame Prinzipien und einen gemeinsamen Markt. Er muss das Ziel haben, die Qualität der Versorgung zu verbessern und den Versicherten Wahlfreiheit zu ermöglichen. Zieht für eine Bürgerversicherung mit fairem Wettbewerb in den Wahlkampf: Die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink. Wie soll nach Ihren Plänen die Bürgerversicherung finanziert werden? Eine solidarische Krankenversicherung kann auf die Dauer nicht funktionieren, wenn nur Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen dazu beitragen und Wohlhabendere nicht einbezogen sind. Gerade angesichts des demographischen Wandels und des medizinischen Fortschritts wird das zur Überforderung führen. Deswegen wollen wir, dass starke Schultern zur Finanzierung unseres Gesundheitswesens stärker beitragen. Also sollen auch gut Verdienende, Beamte, Abgeordnete oder Minister einbezogen werden. Wo wir gerade beim Thema Geld sind, halten Sie die derzeitige Leistungsobergrenzen und Budgetierungen für Ärzte für angemessen? Ich kann mir eine Abschaffung der Budgetierung im hausärztlichen Versorgungsbereich vorstellen, um zusätzliche Anreize für die Arbeit in der Primärversorgung zu schaffen. Die Budgetierung im fachärztlichen Bereich halte ich für notwendig. Seit der Reform der vertragsärztlichen Vergütung 2009 folgt die Steigerung der ärztlichen Gesamtvergütung der Morbiditätsentwicklung, insofern glaube ich, dass alle notwendigen ärztlichen Leistungen auch künftig ausreichend vergütet werden. Die Ärzteschaft muss ein Interesse daran haben, dass das Versicherungssystem, in dem 90 Prozent aller Menschen versichert sind, finanzierbar bleibt. Gleichwohl sehen wir die Notwendigkeit, das Vergütungssystem weiter zu entwickeln, damit Ärzte, die sich für den langfristigen Gesundheitsnutzen der Patienten ins Zeug legen, belohnt werden. Sie sagen, Ärzte, die sich besonders für die Gesundheit der Patienten ins Zeug legen, sollen belohnt werden. Wie das? Mit Boni, wenn deren Patienten möglichst selten behandelt werden? Um seltenere Behandlung geht es gerade nicht. Das heutige Vergütungssystem setzt einen Anreiz, eine einzelne medizinische Leistung zu erbringen. Und zwar auch dann, wenn das medizinisch vielleicht gar nicht sinnvoll oder notwendig ist. Mein Ansatz ist ein anderer: Warum soll es sich für die Ärztin oder den Arzt nicht lohnen, wenn es durch eine kluge Versorgung gelingt, zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Übermedikation zu vermeiden. Das führt letztlich zu Kosteneinsparungen bei den Kostenträgern und daran sollten die Ärztinnen und Ärzte beteiligt werden. Stellen Sie sich vor, Sie gestalten die kommende Legislaturperiode mit. Wie würde im Idealfall die Digitalisierung für Ärzte und Patienten gestaltet sein? Wir müssen zügig mit der elektronischen Patientenakte starten. Die hat Vorteile für Patienten und Ärzte. Die Patienten könnten bestimmen, wer welche Daten einsehen kann, aber auch eigene Daten einfügen. Der Arzt könnte darauf zugreifen, sich schnell ein Bild über alle Diagnosen, Verordnungen oder Behandlungen machen und hätte Einblick in Röntgenbilder oder andere Befunde. Er könnte über die Akte auch mit anderen beteiligten Kollegen kommunizieren. Meine Erwartung an die Digitalisierung ist, dass sie menschliche Zuwendung und ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Arzt und Patienten unterstützt. Die Versicherten müssen natürlich darauf vertrauen können, dass ihre Daten sicher und geschützt sind. Was schlagen Sie vor, um das Problem schwindender Praxen und Apotheken auf dem Land zu lösen? Einen generellen „Ärztemangel“ sehen wir nicht, vielmehr ist in einigen Regionen und insbesondere in der Allgemeinmedizin ein Mangel absehbar oder schon eingetreten. Wir wollen durch attraktive Ausbildungs- und Vergütungsbedingungen, familiengerechte Arbeitsbedingungen und flexiblere Arbeitszeiten mehr Ärzte gewinnen. Der ländliche Raum kann durch moderne, bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen auch zum Vorreiter werden, zum Beispiel durch eine engere Zusammenarbeit von Ärzten, therapeutischen Berufen und Pflegekräfte in ländlichen Versorgungszentren. Sie sagen, Sie wollen durch attraktive Vergütungsbedingungen das Problem des Ärztemangels lösen. Also müssen sich die derzeitigen Vergütungsbedingungen ändern? Ja, in dem Sinne, dass bei den Hausärzten beispielsweise die Budgetierung entfällt sowie andere Reformen bei der Vergütung vorgenommen werden. So könnte ich mir beispielsweise eine kontaktunabhängige Pauschale vorstellen. Generell glaube ich, dass wir das Vergütungssystem anfassen müssen. Die Kosten im Gesundheitssystem steigen von Jahr zu Jahr. Wenn Sie die Wahl gewinnen würden und ganz allein die Mehrheit hätten - wo würden Sie sparen? Plumpe Einsparungen sind der falsche Weg, Deutschland hat insgesamt ein gutes Gesundheitswesen. Ich glaube, Nachholbedarf besteht nach wie vor beim Outcome. Das heißt, trotz des immensen Einsatzes sind die Deutschen nicht gesünder oder langlebiger als in anderen vergleichbaren Ländern. Deshalb müssen Reformen bei der Effizienz ansetzen. Es lassen sich zum Beispiel viele Doppeluntersuchungen vermeiden. Der Einsatz von Arzneimitteln muss effizienter werden und die stationäre Versorgung muss sich stärker am Bedarf orientieren. So würden wir schon eine Menge einsparen, das wir an anderer Stelle einsetzen könnten. Sie wollen bei der Effizienz ansetzen. Werden wir doch mal konkret: Wie lassen sich Arzneimittel effizienter einsetzen? Bei der Verordnung von Arzneimittel müssen wir Anreize setzen, um eine Übermedikation zu vermeiden. Ein klitzekleiner Schritt in diese Richtung ist der Medikationsplan. Der muss digital und verbessert werden, damit Arzt, Apotheker und andere Gesundheitsberufe einen besseren Überblick über die Medikation haben. Außerdem müssen Apotheker ihre pharmazeutischen Kompetenzen in der Beratung besser einbringen können. Die Beratungsleistung muss besser und auch dann vergütet werden, wenn aufgrund der Beratung auf die Abgabe eines Medikamentes verzichtet wird. Wir müssen auch an die Preise für Arzneimittel ran, um zu verhindern, dass die GKV und damit letztlich die Beitragszahler durch Mondpreise überfordert werden.