Patienten sind verärgert, Ärzte ratlos und Apotheker haben mit Retaxationen zu kämpfen. So sieht im Moment die Situation bei Präparaten im Graubereich zwischen Arzneimittel und Kosmetikum aus. Juristen versuchen, diesen Nebel zu lichten, was nur teilweise gelingt.
Mundspüllösungen und Salben tragen mehr Konfliktpotenzial in sich als zu erwarten wäre. Mittlerweile musste sich sich sogar der Europäische Gerichtshof (EuGH) des strittigen Themas annehmen, wann Präparate als Arzneimittel oder als Kosmetikum einzuordnen sind. Dahinter stecken teils monetäre Firmeninteressen, teils Fragen zur Erstattungsfähigkeit. Kreussler gegen Butler Beim ersten Fall geht es um Mundspüllösungen mit 0,12 Prozent Chlorhexidin. Sowohl die Chemische Fabrik Kreussler als auch die Sunstar Deutschland GmbH (John O. Butler GmbH) sind Konkurrenten in diesem Marktsegment. Butler vertreibt sein Produkt mit dem Hinweis, es reduziere bakteriellen Zahnbelag und hemme dessen Neubildung – "schützt das Zahnfleisch und trägt zur Erhaltung der Mundgesundheit bei". Daraufhin verklagte Kreussler den Konkurrenten auf Unterlassung – mit Hinweis, es handele sich um ein Arzneimittel ohne Zulassung. Bis zum Europäischen Gerichtshof Der Passus, Medikamente seien "Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die (…) mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind", wurde mit entsprechenden Literaturstellen zur Wirkung von Chlorhexidin untermauert. Eine Monografie aus dem Jahr 1994 belegt, dass Mundspüllösungen mit 0,2 Prozent des Wirkstoffs Bakterien im Speichel dezimieren, etwa bei Gingivitis. Diese Argumentation teilten weder Juristen am Landgericht noch am Oberlandesgericht in Frankfurt. Über Umwege gelangte das Thema schließlich bis zum Europäischen Gerichtshof. Nicht Fisch, nicht Fleisch Europäischen Ministerialbeamten ist das Problem nicht neu. Sie entwickelten eine – allerdings unverbindliche – Richtlinie zur Abgrenzung von Kosmetika und Arzneimitteln. Immerhin sieht der sogenannte Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel vor, dass diese "zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten" bestimmt sind beziehungsweise "im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (…)." Allerdings müssen Arzneistoffe lediglich mit zellulären Bestandteilen interagieren, das können auch Bakterien sein. Jetzt heißt es, jeden Einzelfall zu prüfen, und so ging die Sache erst einmal zurück nach Frankfurt. Kein Arzneistoff – kein Geld Hinter diesem Thema steckt weitaus mehr als der Streit zweier Konkurrenten. Krankenkassen bezahlen im Regelfall diverse Rx-Präparate, in Ausnahmefällen OTC, aber keine Kosmetika. Das wurde vom Bundessozialgericht Anfang März bestätigt. In der Sache ging es um eine Patientin, die seit ihrer Geburt an Neurodermitis leidet und große Summen für Hautpflegeprodukte ausgibt. Die Richter argumentierten in ihrer Urteilsbegründung mit drei Leitgedanken: Generell hätten Kassen keine Verpflichtung, apothekenübliche Hautpflegemittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen gegenüber Kosmetika zu übernehmen. Ansonsten gäbe es erstattungsfähige, anerkannte Therapieformen. Versicherte hätten "nicht allein wegen ihrer Hilfebedürftigkeit Anspruch", dass entsprechende Produkte bezahlt würden. Finanziell schwache Menschen brauchen jedoch Unterstützung. Dazu heißt es, bei Hilfebedürftigkeit sicherten "eingreifende Teile des Sozialsystems das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum", sprich Sozialbürgerhäuser oder Jobcenter. Dünnes Eis Gerade bei Neurodermitis ist die Argumentation in Teilen fragwürdig. Mehrere ältere Studien haben gezeigt, dass eine maßgeschneiderte, nicht zu sparsam aufgetragene, Basispflege das Hautbild bessert und die Zahl an Schüben verringert. Apothekenübliche Produkte eignen sich wegen ihrer meist höheren Qualität besser für diese Menschen. Während Kinder vom Pädiater verordnete Pflegeprodukte vor Jahren noch erstattet bekamen, häufen sich mittlerweile die Retaxationen. Entsprechende Präparate tauchen in der Arzneimittel-Richtlinie nicht auf, Anlage V ("Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte"), eine Erstattung ist damit unmöglich. Kinder bis zwölf Jahren oder Heranwachsende mit Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebensjahr bekommen zumindest apothekenpflichtige Präparate erstattet, sollten Ärzte den medizinischen Effekt höher bewerten als den kosmetischen. Dazu zählen beispielsweise harnstoffhaltige Zubereitungen. Fallstricke in der Rezeptur Ansonsten schwören viele Neurodermitis-Patienten auf Rezepturen, die sie oft besser vertragen als marktübliche Präparate. Verschreibungspflichtige Stoffe werden nur selten eingearbeitet. Allein die ärztliche Verordnung rechtfertigt noch nicht, dass Kassen in der Pflicht sind, die Produkte zu erstatten. Halten Mediziner beim Nachwuchs eine bestimmte Galenik für zwingend erforderlich, sind Kostenträger jedoch in der Pflicht. Erwachsene müssen rein pflegende Rezepturen selbst bezahlen. Arbeiten Kollegen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Substanzen ein, ist die Abrechnung bei Kindern in den meisten Fällen möglich. Für Erwachsene gelten hier strikte Ausnahmen. Verschreibungspflichtige Substanzen gehen, eine entsprechende Verkehrsfähigkeit vorausgesetzt, zu Lasten der GKV. Vorsicht Apothekenbetriebsordnung Durch die Novelle zur Apothekenbetriebsordnung sind Kollegen in der Pflicht, alle Rezepturen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen und dies entsprechend zu dokumentieren. Das Regelwerk betrifft nicht nur alte, mittlerweile obsolete Arzneistoffe. Verordnen Ärzte Rezepturen mit niedrigen Mengen verschreibungspflichtiger Pharmaka, umgehen sie möglicherweise das Wirtschaftlichkeitsgebot der Kassen. Diese kritisieren beispielsweise Zubereitungen zur Erhaltungstherapie mit extrem niedrigen Mengen an Kortikoiden.