Nicht selten steht die Amputation am Ende einer chronischen Wunde. Die Forschung investiert beträchtliche Mittel, um neue Verbandsstoffe zu entwickeln. Den Krankheitsverlauf beeinflusst aber nicht nur womit, sondern auch wo Spezialisten ihre Patienten versorgen.
Einmal aufsprühen und die Wunde geht zu. Sogar bei chronischen Ulzera. Zumindest sagt das eine aktuelle Studie mit rund 180 Teilnehmern, gesponsert vom Hersteller eines neuartigen „Wundsprays“. Die Mischung von Fibrinogen und Keratinozyten half entsprechend dem Bericht im „Lancet“ bei 40 Prozent schon bei einmaliger Anwendung. Bei sieben von zehn Probanden heilte die Wunde innerhalb von drei Monaten ab. Der Haken an der Sache: Die Zellen gewinnt die amerikanische Firma aus den Vorhäuten beschnittener Säuglinge. Die Hautzellen bilden dabei nicht die Basis für eine neue Lage über der Wunde, sondern sorgen nur für Wachstumsfaktoren, die den Verschluss fördern. Fibrinogen allein verhalf immerhin auch schon rund der Hälfte aller Untersuchten zu einer erfolgreichen Drei-Monats-Therapie. Wenn es der neuartige Sprühverband auf den Markt schafft, dürfte er dabei aber noch günstiger als aufwändige High-Tech-Wundabdeckungen sein, die arbeits- und zeitintensiv aus körpereigenen Haarwurzelzellen gezüchtet und inzwischen zugelassen sind. Ohne gute Wundversorgung droht Amputation Die Nachfrage nach guten Rezepten gegen schlecht heilende Wunden steigt: Erfahrungen mit einem „offenen Bein“ hat im Durchschnitt jeder sechzigste im Alter von über 65 Jahren. Standardisierte Wundversorgung heilt dabei nur 30-75 Prozent der Geschwüre. Der Rest wird zur chronischen Wunde. Experten schätzen die Zahl dieser Patienten in Deutschland auf rund vier Millionen. Die Rate an Neuerkrankungen liegt bei rund 650.000. Jeder 15. Diabetiker zählt etwa dazu, dem ohne eine konsequente Versorgung die Amputation droht. Feuchte Abdeckung: Besser, aber immer noch zu selten verwendet Dass trockene Wunden schlechter heilen als feuchte, ist seit den Untersuchungen von George Winter vor 50 Jahren bekannt. Trotzdem sagen Daten aus Deutschland, dass hier nur jede fünfte chronische Wunde eine Abdeckung erhält, die für ausreichend Feuchtigkeit sorgt. Leitungswasser dient immer noch zu oft als Reinigungsmittel, trotz der Gefahr einer Infektion - im schlimmsten Fall mit multiresistenten Bakterienstämmen. Genauso problematisch sind aber auch Desinfektionsmittel. Sie können die Regeneration der Haut besonders im frühen Stadium empfindlich stören. Wie geht es dann richtig? Empfehlungen für die Behandlung chronischer Wunden bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes und venöser Insuffizienz bietet seit einigen Monaten eine ganz neue S3-Leitlinie, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung in Zusammenarbeit mit einem Dutzend anderer Fachgesellschaften. Überforderte Ärzte Dennoch, allein beim Blick auf die Zahlen merken Nichtbetroffene, dass mit der Versorgung chronischer Wunden immer noch etwas im Argen liegt. Rund 280.000 Ärzte sollen täglich rund eine Million zeitaufwändiger Debridements bewerkstelligen. Wundbehandlung ist kein Lehrinhalt im Medizinstudium und zur oft unzureichenden Qualifikation kommt die unattraktive Vergütung. Viele Pflegekräfte empfinden die Behandlung aus der Hand der Ärzte als unzureichend. Wundzentren: Ambulante Versorgung und Koordination In Großbritannien entstanden schon in den 90er-Jahren die „Leg Ulcer Clinics“, Zentren, in denen sich qualifiziertes Pflege-Fachpersonal um die Wundversorgung kümmerte. Auch Deutschland hat vor einigen Jahren auf die Versorgung per Spezialambulanz umgesattelt. Die Gesellschaft für Versorgungskonzepte in der Wundbehandlung (GVW), eine Tochter des Pharmagroßhändlers Gehe, betreibt mehr als ein halbes Dutzend „Wundzentren“. Dort kümmern sich unter Leitung eines niedergelassenen Facharztes spezielle „Wundmanager“ um ihre Patienten. Die GVW wirbt mit ISO-9001-Zertifizierung und integrierten Behandlungskonzepten, die in Österreich entwickelt wurden und nach eigenen Worten hohen Qualitätsanforderungen Genüge leisten. „Unser Ansatz steht komplett im Einklang mit einer Richtlinie zur Delegation ärztlicher Leistungen auf Spezialkräfte im Rahmen von Modellvorhaben“, skizziert Geschäftsführer André Lantin die Strategie der Wundzentren. 45 Minuten Zeit pro Behandlungseinheit nehmen sich dabei die Wundmanager für ihre Patienten. Neben Verbandwechsel und Wundbehandlung geht es dabei auch um soziale Fragen, die bei kurzen Arzt-Sprechstunden oder komplizierten Bürokratiewegen ein zusätzliches Hindernis vor der schnellen Heilung bilden. Die Wundzentren organisieren die Zusammenarbeit von Kasse, Arzt, Pflege und zahlreichen Spezialisten. Dazu zählen beispielsweise auch Orthopädieschuhmacher oder Ernährungsberater, die Leistungen für den Patienten erbringen. Integrierte Versorgung: Schneller und günstiger Bis 2015 soll ein bundesweites Netz dieser Versorgungseinrichtungen entstehen. Wissenschaftliche Studien zum Erfolg dieses Modells gibt es jedoch bisher noch nicht. Eine Untersuchung des Instituts für Gesundheits- und Pflegeökonomie der Hochschule Bremen zeigt jedoch, dass die fallgesteuerte Behandlung von Problemwunden deutliche Vorteile bringt: Die Behandlung sei im Mittel nach neun Wochen abgeschlossen, eine konventionelle Wund-Therapie dauere im Schnitt 40 Wochen. Das schlägt sich auch in den Kosten nieder: Moderne Wundverbände, hochqualifizierte Fachkräfte und moderne Technik im Fallmanagement sind zwar teuer, machen sich jedoch durch die schnellere Heilung bezahlt. Technik allein bringt keine besseren Ergebnisse Allein Verbandsmaterialien aus den Entwicklungslabor großer Forschungseinrichtungen sind noch keine Garantie für die Lösung des Problems „chronische Wunde“. „Die inflationäre Flut von Medizinprodukten für die Behandlung von chronischen Wunden auf dem deutschen Markt während der letzten 20 Jahre steht im scharfen Kontrast zu einer fehlenden, flächendeckend positiven Ergebnisqualität.“, schreibt Gernold Wozniak vom Knappschaftskrankenhaus Bottrop in einem Übersichtsartikel der Zeitschrift „Gefäßchirurgie“ aus dem letzten Jahr. „Der Einsatz dieser zum Teil sehr teuren Wundbehandlungsprodukte ist nur sinnvoll, wenn er in eine konsequente, reproduzierbare und gut dokumentierte Prozessqualität der Ursachenbeseitigung und Wundpräparation und gegebenenfalls der plastischen Rekonstruktion eingebettet ist.“ Ernüchternder Ausblick Wohl nur dann, wenn die Wundversorgung neue, aber teure Produkte, wie etwa den Einsatz von Stammzellen, bei Bedarf konsequent einsetzt und genauso wie bereit ist, neue Wege bei der Patientenversorgung zu gehen, können Patienten, die sich oft jahrelang mit ihrem offenen Bein herumplagen, Hoffnung schöpfen. Die Aussicht, dass sich die Anzahl der Betroffenen verkleinert, ist eher klein.