Studien zeigen, dass die Laienreanimation bei korrekter telefonischer Verdachtsdiagnose die Überlebensrate enorm verbessern kann. Darum gilt es, die Rettungsleitstellen durch Standards in der Notrufabfrage zu unterstützen.
„Hilfe meine Tochter ist von einer Biene gestochen worden!“ Stellen Sie sich vor, Sie sind Disponent auf der Rettungsleitstelle und erhalten einen derartigen Anruf. Welches Szenario spielt sich vor Ihrem inneren Auge ab? Im diesem Fall sehen Sie vermutlich ein Kind, das von einer Biene schlimmstenfalls in den Hals gestochen wurde. Die „Tochter“ kann aber auch 36 Jahre alt sein und wurde von einer Biene in den Arm gestochen. Bei solchen Missverständnissen zwischen Rettungsleitstelle und Anrufer ist klar, wie komplex die Materie ist.
Rat rät zur Reanimation
Bei unmittelbarem Notruf und einem Beginn der Herzdruckmassage mit Wiederbelebungsmaßnahmen innerhalb der ersten Minuten ist eine primäre Überlebensquote von 50-75 Prozent machbar. Der Europäische Rat für Wiederbelebung (ERC) empfiehlt in seinen aktuellen Leitlinien erstmals ausdrücklich, dass das Leitstellenpersonal Anrufer zur Laienreanimation auffordert und anleitet. Diese Empfehlung hat der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC) übernommen.
Empfehlung des ERC zur Telefonreanimation im Wortlaut
„Leitstellendisponenten sollen geschult werden, einen um Hilfe ersuchenden Anrufer nach vorgegebenen strengen Protokollen abzufragen. Der Fokus soll hierbei auf dem Erkennen von Bewusstlosigkeit und der Qualität der Atmung des Patienten liegen. Bei der Kombination von Bewusstlosigkeit und fehlender Atmung oder jeder Form der Atemstörung soll eine Handlungsanweisung für den Verdacht auf Kreislaufstillstand starten…“
Disponent in die Kette
Die Rettungskette ist stets nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Sie besteht aus den fünf Kettengliedern Vitalkontrolle und Absichern, Notruf und Erstmaßnahmen, weitere Erste Hilfe, Rettungsdienst und dem Krankenhaus. Und die Leitstelle? Taucht hier nicht auf! Vielfach wird sie als verbindendes Element der einzelnen Kettengliedern gesehen. Es erscheint diskussionswürdig, die Position der Leitstelle aufzuwerten und den aktuellen Empfehlungen Rechnung zu tragen.
Verbesserungspotential
Seit 1977 werden regelmäßig Leistungsdaten des öffentlichen Rettungsdienstes in Deutschland erfasst. Dabei ergeben sich für die Eintreffzeiten der Rettungsmittel in Deutschland regional frustrierende Zahlen. Maßnahmen zur Überbrückung der therapiefreien Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes können bei einem Notfallpatienten die Prognose erheblich verbessern. Die zur Zeit wohl häufigste Organisationsform ist die „integrierte Leitstelle“. Sie vereint die Aufgaben von Brand-, Katastrophenschutz und Rettungsdienst (BKR), oft wickelt sie auch die Vermittlung des kassenärztlichen Notdienstes ab. Mit Ausnahme von zwei Bundesländer ist die integrierte Leitstelle das erklärte Organisationsziel.
Standard? Fehlanzeige!
Man sollte vermuten, dass so etwas Bedeutsames wie die Notrufabfrage in Deutschland nach einem einheitlichen Standard erfolgt? Einem Fragenkatalog mit entsprechenden Handlungsanweisungen. Überall gleich, egal ob Berlin oder Buxtehude. Leider ist das nicht so. Standardisierte oder gar verbindliche Vorgaben für den Ablauf einer Notrufabfrage existieren bundesweit bisher nicht. Lediglich ein Notarztindikationskatalog der Bundesärztekammer hilft bei der Abwicklung. Die Ergebnisse der Notrufabfrage sind deshalb von der Gesprächsführung und der persönlichen Einschätzung jedes einzelnen Disponenten abhängig.
Gesprächsdauer optimieren
Berufserfahrung als Rettungsassistent vor Ort, als Disponent, Kommunikations- und Organisationstalent und technisches Vorstellungsvermögen prägen die Qualität der Entscheidung. Primär soll der Disponent dem Anrufer so viele Informationen wie möglich entlocken und dann so rasch wie möglich das optimale Rettungsmittel entsenden. Je länger das Gespräch dauert, desto treffsicherer fällt die Verdachtsdiagnose aus und desto besser passt das Rettungsmittel (Krankenwagen, Rettungswagen, Notarzt, Hubschrauber etc.) zum jeweiligen Notfall. Dies verzögert jedoch die rasche Entsendung des jeweiligen Rettungsmittels. „Oversending“ wird die übertriebene Entsendung von Rettungsmitteln bezeichnet. Da rast ein NAW zum Bauarbeiter mit einer Armplatzwunde. Beim „Undersending“ kommt der KTW mit normaler Fahrt zum Herzinfarkt. Beides muss natürlich vermieden werden.
CPR-Anweisungen retten Menschenleben
Nach den Empfehlungen des ERC soll die Treffgenauigkeit der Verdachtsdiagnose „Herz-Kreislauf-Stillstand“ noch weiter erhöht werden. Der Disponent soll mit einem strengen Abfrageprotokoll die Reaktionsfähigkeit des Patienten erfragen. Auch ob und wie er atmet, soll eruiert werden. Die Idee, dass der Leitstellendisponent den Anrufer zu lebenserhaltenden Maßnahmen motiviert und anleitet, ist nicht neu. Bereits 1985 propagierten Eisenberg el al. für eine CPR-Instruktion via Telefon. Der Reanimationserfolg stieg primär an und die Überlebensraten verbesserten sich. Vier Patienten pro 100.000 Einwohner und Jahr können mehr überleben, wenn am Telefon dazu angeleitet wird, „zu drücken und zu pusten“.
Weitere Studien als Bestätigung
In einer holländischen Untersuchung von Berdowski et al. lag die 3-Monate-Überlebensrate bei 14 Prozent, wenn der Disponent die Verdachtsdiagnose des Herz-Kreislauf-Stillstands richtig stellte. War die Diagnose falsch, lag die Rate nur bei 5 Prozent. Hauptgrund für die nicht korrekt gestellte Verdachtsdiagnose war die fehlende Frage nach der Atmung. Auch eine skandinavische Studie von Kuisma et al. konnte klare Vorteile von „aktiven“ Disponenten erkennen. Die Klinik-Entlassungsrate betrug nach Telefonreanimation 43,1 Prozent. Wurde der Patient erst nach Eintreffen des Rettungsdienstes reanimiert, überlebten nur 31,7 Prozent.
Training unerlässlich
Hilfeanweisungen auf einer Erste-Hilfe-Fibel vorlesen? Damit ist es nicht getan. Der Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst hat Empfehlungen erarbeitet, die für die Schulung der Disponenten in der Telefonreanimation einen Basiskurs mit 8-10 Unterrichtseinheiten vorsehen. Favorisiert wird die „chest compression-only CPR“, also die Anleitung zur Herz-Druck-Massage ohne Beatmung. Die Technik ist einfacher, die Erklärungen simpel und die Anlaufzeit kurz. Time ist brain! Ziel ist eine Kompressionstiefe von mindestens 5 cm beim Erwachsenen und eine Kompressionsfrequenz von mindestens 100 Kompressionen pro Minute. Nur trainierte Helfer, die im Notrufdialog gezielt danach fragen, leitet man auch zu einer Beatmung mit einem Kompressions-Ventilations-Verhältnis von 30 : 2 an.
Motivierende Anleitung sinnvoll
„Wollen Sie, (Name des Anrufers), versuchen, nach meiner Anleitung eine Wiederbelebung durchzuführen, bis der Notarzt da ist? Das wäre das Beste, was Sie jetzt tun können“, so oder ähnlich könnte der erste Motivationsversuch des Disponenten formuliert werden. Reanimation per Telefon, einfach so? Lässt sich der Anrufer darauf ein? Ja, zumindest in 98 Prozent der Fälle. In einer Studie von Bohm et al. wurde Anrufern nach der Verdachtsdiagnose „Herz-Kreislauf-Stillstand“ eine Anleitung zur Telefonreanimation angeboten. Nur 2 Prozent der Anrufer weigerten sich, eine Reanimation durchzuführen.
Schatten hinterm großen Licht
Natürlich existieren auch Hemmnisse gegen die Telefonreanimation. Welche Schuldgefühle entwickelt ein Angehöriger, wenn er erfolglos reanimiert? Welche Vorwürfe macht sich ein Disponent, wenn es schief gegangen ist? Was, wenn die Diagnose falsch war? Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen spricht aber vieles für die Reanimationsmotivation am Telefon. „Sollen die Forderungen der ERC-Leitlinien konsequent umgesetzt werden, müssen bei der Notrufabfrage Strukturen und Standards definiert werden“, dies fordert der Leiter der integrierten Leitstelle Nord, Achim Hackstein.
Der Leitstellenchef findet weitere deutliche Worte: „Der Disponent stellt eine entscheidende Komponente des Rettungswesens dar, er ist maßgeblich am Überleben des Notfallpatienten beteiligt. Das Diskutieren muss jetzt ein Ende haben, Handeln ist angesagt.“