Die diabetische Nephropathie ist eine häufige Nierenerkrankung in den Industrienationen. Der pH-Wert und die Kaliumkonzentration bestimmen Progression und Symptomatik. Doch wenn Medikamente zur Azidosekorrektur Kalium enthalten, ist Vorsicht geboten.
In einer prospektiven Querschnittuntersuchung wurden Daten von 2.541 Patienten mit Typ 2 Diabetes aus 245 Hausarztpraxen erhoben. Das diagnostische Prozedere der Ärzte wurde ebenso erfragt. Eine Nierenbeteiligung zeigen etwa 4 von 10 Patienten mit Typ 2 Diabetes in Deutschland. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen war dieses vorher unbekannt.
Die Studie von Merker et al. wurde 2012 in „Diabetologie und Stoffwechsel“ publiziert. Besonders bei älteren Patienten sollten die Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR) bestimmt und die eGFR mit der MDRD-Formel ermittelt werden, so die Aufforderung der Autoren.
Andere Gewichtung
Gerade zur MDRD-Formel herrscht seit einiger Zeit nicht immer nephrologischer Konsens. Viele Nierenspezialisten sind der Auffassung, dass mit der MDRD-Formel eine Niereninsuffizienz eher überdiagnostiziert wird. Die „Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration“ (CKD-EPI) hat kürzlich eine neue Formel entwickelt oder zumindest die alte optimniert. Die neue CKD-EPI-Formel beinhaltet die gleichen vier Parameter wie die MDRD-Formel, gewichtet sie jedoch anders. Die neue Gleichung wurde an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore von Matsushita K. et al. in einer Metaanalyse evaluiert. Die Daten von 1,1 Millionen Patienten wurden über einen Zeitraum von mehr als 7 Jahren analysiert. Etwa 25 Prozent der Teilnehmer mit der CKD-EPI-Formel wurden in eine andere Kategorie der Nierenfunktion eingestuft als mit der MDRD-Formel. Die neue Formel senkt somit die Zahl der Patienten, bei denen weitere Untersuchungen notwendig werden.
Saure Nierchen sind nicht lecker
In Deutschland sind derzeit etwa 70.000 Patienten in einer Dialysebehandlung. Zu den Hauptursachen für eine Niereninsuffizienz zählen Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie. Die sich bei vielen Patienten entwickelnde chronische metabolische Azidose ist einer der bedeutsamsten Progressionsfaktoren. Etwa 20–30 Prozent aller Patienten mit Diabetes mellitus entwickeln eine diabetische Nephropathie. Die Niere ist neben der Lunge das wichtigste Organ zur Regulierung des Säure-Basen-Haushaltes.
Azidose bei nachlassender Nierenleistung
Selbst bei einer gesunden Niere nimmt die Funktion ab dem 40. Lebensjahr ab. Pro Dekade um etwa zehn Prozent! Damit sinkt auch ihre Kapazität, Säureüberschüsse zu eliminieren und die Gefahr einer Azidose steigt. Bei einer chronischen Niereninsuffizienz verschlechtert sich die Ausscheidungsfunktion der Niere bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz. Selbst wenn die auslösende Noxe beseitigt ist, gehen die Nephrone infolge intraglomerulärer Hypertonie und glomerulärer Hypertrophie unter. Mit abnehmender Nierenleistung steigt das Risiko für eine latente Azidose an, die wiederum die Nierenleistung mindert – ein Teufelskreis. Eine metabolische Azidose reduziert die Proteinsynthese, fördert die Katabolie und senkt die Hämoglobinproduktion. Außerdem muss der Patient mehr Atemarbeit leisten und der acidotische pH-Wert zeigt negative Auswirkungen auf den Elektrolythaushalt.
Eine manifeste Azidose ist ein lebensbedrohlicher Notfall. Im Zuge der stetig nachlassenden Nierenleistung kann der Patient eine chronisch latente Azidose (ALA) entwickeln. Die "latente Azidose" ist nach F.F. Sander ein Zustand, bei dem die basischen Pufferreserven im Blut schon teilweise verbraucht wurden, es aber noch nicht zu einer pH-Wert-Veränderung gekommen ist. Körpereigene Reserven werden angegriffen und Mineralsalze, die in Knochen, Knorpeln und Zähnen eingelagert waren, werden geplündert. Dieser komplementärmedizinische Ansatz bekommt im Kontext einer Niereninsuffizienz eine erheblich stärkere Bedeutung.
Viel Zucker – Viel Kalium
Sinnvoll erscheint deshalb eine rechtzeitige Basentherapie. Für den Diabetiker sind jedoch nicht alle Therapieoptionen geeignet. Es existieren unterschiedliche Substanzen und Nahrungsmittel, die zur Vorbeugung oder Therapie einer latenten Azidose eingesetzt werden:
Diabetes mellitus ist bereits bei normalen Nierenparametern ein eigenständiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Hyperkaliämie. In einer Untersuchung von Jarmann et al. (1995) wiesen 270 von 1.764 Diabetikern Serumkaliumspiegel > 5 mmol/l auf. Lediglich in 4 Fällen lag der Serumkaliumspiegel unter 3,5 mmol/l. Bei diabetischer Nephropathie nimmt die renale Reninproduktion ab. Es kommt zu einer verringerten Aldosteronsynthese über das Renin-Angiotensin-Aldosteronsystem und zum Anstieg des Kaliumspiegels. Ein Serumkaliumspiegel > 6,5 mmol/l wird als schwere Hyperkaliämie bezeichnet. Ab 5,5 mmol/l können erste EKG−Veränderungen, wie zeltförmige T-Wellen, auftreten.
Azidosetherapie bitte kaliumfrei
Aus diesem Grund müssen Diabetiker oder andere Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zwingend auf die Kaliumzufuhr achten. Deshalb scheiden kaliumhaltige Basenpräparate wie Kalium-Natrium-Hydrogencitrat aus. Außerdem sind Citrate vergleichsweise schlecht magenverträglich. Pharmakologisch betrachtet ist ein Kaliumsalz zur Azidosetherapie sehr fragwürdig. Bei einer Azidose ströhmt Kalium aus den Zellen in den Extrazellulärraum. Ein Abfallen des Blut-pH-Wertes um 0,1 verursacht einen Anstieg der Kalium-Serumkonzentration um etwa 1 mmol/l. Bei einer erhöhten Serum-Kalium-Konzentration wird in der Nebennierenrinde vermehrt Aldosteron gebildet und freigesetzt. Jeder zweite Patient mit einer chronischen Niereninsuffizienz weist eine Hyperkaliämie auf.
Gemüsesäfte zur Basentherapie
Besonders in der Laienliteratur wird geraten, zur Basentherapie Gemüsesäfte einzusetzen. Im Bezug auf den Kaliumgehalt ist dies bedenklich. Nimmt man mit 1 Liter Gemüsesaft doch bis zu 6000 mg Kalium auf. Die Autoren Nimrit Goraya und Donald E. Wesson warnen in einer aktuellen Publikation, dass eine durch Obst (Bananen, Trockenfrüchte etc.) und Gemüse (Hülsenfrüchte, Grünkohl, Spinat etc.) erhöhte Kaliumkonzentration bei einer reduzierten glomerulären Filtrationsrate zu Komplikationen führen kann.
Außerdem ist die evidenzbasierte Datenlage, ob man mit bestimmten Lebensmitteln die Säuredysbalance wirklich korrigieren kann, sehr dürftig. Die Tabellen gehen auf ziemlich ungenaue und heute widerlegte Untersuchungen von Ragnar Berg zurück und stammen aus dem Jahr 1912.
Natriumhydrogencarbonat – schubst Kalium in die Zelle
Hydrogencarbonat wird über die Schleimhaut des Dünndarms resorbiert und bei normalem Plasmabicarbonat teilweise renal eliminiert. Bei Plasmawerten unter 24 mmol/l wird das Hydrogencarbonat-Ion nach der Exkretion über die Niere nahezu vollständig rückresorbiert. Je nach Stoffwechselsituation bildet sich im Plasma nach Reaktion von Hydrogencarbonat mit Wasserstoffionen Kohlendioxid und Wasser. Das gasförmige Kohlendioxid wird über die Lunge ausgeschieden. Natriumbicarbonat bewirkt außerdem eine Rückverteilung des Serumkaliums in den Intrazellulärraum. Für die Metabolisierung von Hydrogencarbonat in die Metabolite Kohlendioxid und Wasser ist das Enzym Carboanhydrase zuständig.
Resorptionsort bestimmt die Wirksamkeit
Es scheint recht einfach, das größte Puffersystem, den Bicarbonat-Puffer, durch orale Substitution zu ergänzen. Zahlreiche Produkte enthalten Natriumhydrogencarbonat und versprechen Linderung. Leider lösen sich fast alle Produkte bereits im Magen auf. Die Folge ist eine Aufspaltung des darin enthaltenen Natriumhydrogencarbonats in Natriumchlorid, Wasser und Kohlendioxid. In diesen Fällen sind die Substanzen nicht nur weitgehend unwirksam, sie bergen auch Risiken. Das gebildete Kohlendioxid führt dazu, dass der Magen überbläht werden kann.
Eine basische Substanz, die sich bereits im Magen auflöst, hat weitere Nachteile. Die Magensäure hilft nicht nur bei der Verdauung von Speisen. Sie tötet auch pathogene Keime ab. Außerdem ist sie an der Verwertung von lebensnotwendigem Vitamin B12 beteiligt. Würde man die Magensäure neutralisieren, könnte der Körper das Vitamin nicht aus der Nahrung isolieren und verarbeiten.
Präparate hochdosiert bitte!
„Daher ist die Therapie der Wahl, Patienten mit oralen magensaftresistenten Azidosetherapeutika einzustellen und langfristig konsequent zu behandeln. Dazu können die erstattungsfähigen Arzneimittel beitragen“, so der Nephrologe Prof. Dr. Jürgen Kult im Fachtitel Dialyse aktuell. Kult plädiert dafür, aus Gründen der Compliance und Wirtschaftlichkeit, Präparate anzuwenden, die hoch dosiert sind. Ebenso wenig, wie man im Urin den Serum-pH-Wert messen kann, kann man ihn mit Substanzen kompensieren, die sich bereits im Magen auflösen. Übrigens: „Das geht mir an die Nieren“, wer hat diesen Satz nicht schon mal gehört oder gesagt? Im klassischen Altertum glaubte man, dass der Sitz für Wut und Angst die Nieren sind. Dies prägte diese Redensart für Dinge, die uns stark berühren.