Wissenschaftler entdeckten, dass Hepatitis C- und Dengue-Viren die Funktion eines zellulären Enzyms für ihre Vervielfältigung nutzen. Verschiedene Labore und die Pharmaindustrie testen Wirkstoffe, die genau dieses Enzym blockieren: als Entzündungshemmer.
Viren sind im weiteren Sinn Schmarotzer. Sie klinken sich geschickt in die Abläufe in den Zellen ihres Wirtes ein und missbrauchen sie, um sie zu vervielfältigen. Rund 160 Millionen Menschen sind chronisch mit dem Hepaititis-C-Virus (HCV) infiziert und tragen es dauerhaft in ihren Leberzellen. Ohne Behandlung, werden rund 20 Prozent von ihnen eine Leberzirrhose entwickeln und davon 15 Prozent innerhalb von zehn Jahren an Leberkrebs erkranken. Bestehende Therapien sind wenig effizient und mit zahlreichen Nebenwirkungen beladen. Deshalb arbeiten Forscher auf der ganzen Welt an neuen Strategien gegen das HCV-Virus.
Das Hepatitis C- sowie das Dengue-Virus gehören zu der Gruppe der behüllten Viren - so wie beispielsweise auch Influenza oder Corona-Viren, zu denen SARS zählt. Behüllte Viren sind von einer Membran aus Fett- und Eiweißmolekülen umgeben, die über komplizierte Mechanismen in den Zellen des Virus-Wirtes zusammengebaut werden. Vor der Freisetzung wickelt sich der Kern des Virus in diese Membran und verlässt dann als reifes, infektiöses Partikel die Wirtszelle. Ist diese Virushülle nicht korrekt zusammengesetzt, stecken die Viren keine weiteren Zellen mehr an und die Infektionskette bricht ab.
Störung der Infektionskette als neuer Therapieansatz
Das klassische Verfahren, Wirtsfaktoren zu untersuchen, besteht im Einsatz von Small interfering RNA (siRNA), mit denen gezielt Gene abgeschaltet werden. Daraus wird dann die Funktion durch das Gen kodierten Proteins abgeleitet. „Wir haben einen neuen Ansatz gewählt, um zelluläre HCV-Abhängigkeits-Faktoren zu finden, die für die Virusvermehrung und den Zusammenbau neuer Viren wichtig sind: Die Manipulation der Signalwege für den zellulären Informationsweg mit Hemmstoffen“, berichtet Dr. Thomas Pietschmann, Leiter des Instituts für Experimentelle Virologie am TWINCORE. „Wir haben zunächst nicht einzelne Faktoren – Eiweißmoleküle – in allen Zellen blockiert, sondern ganz zentrale Signalwege.“
Damit stören die Forscher sozusagen einen ganzen Funkkanal für einzelne Zellaufgaben und können beobachten, was dabei in jenen Zellen geschieht, die mit dem HCV-Virus infiziert sind. Die Blockade des MAP-(mitogen-activated protein)-Kinase-Weges führte dazu, dass keine infektiösen Viren mehr von den Leberzellen gebaut wurden. Der MAP-Kinase-Weg ist ein mehrstufiger Signaltransduktionsweg, bei dem mehrere Kinasen nacheinander phosphoryliert werden. Darauf begann die Suche nach dem entscheidenden Faktor, der durch diesen Pfad ausgeschaltet wird und für das Virus wichtig ist.
Dabei haben die Wissenschaftler zwei Grundannahmen getroffen: Der Faktor muss – so die Versuchsergebnisse – durch den MAP-Kinase-Weg reguliert werden. Und der Faktor muss am Endoplasmatischen Retikulum (ER) lokalisiert sein, da dort HCV vermehrt wird. „Wir haben die Zytosolische Phospholipase A2 (PLA2G4A) als das zentrale Enzym identifiziert“, berichtet Nicolas Menzel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Experimentelle Virologie. Dieses Enzym spielt eine wichtige Rolle bei Entzündungsreaktionen und am ER, einem Organ innerhalb der Wirtszelle. An diesem ER werden zelluläre Eiweiße gebildet und auch HCV-Viren vermehrt. „Wir haben dann die Zytosolische Phopholipase in humanen Zellkulturen blockiert und konnten beobachten, dass die Viren, die dann noch produziert wurden, eine deutlich veränderte Zusammensetzung der Virushülle aufwiesen. Gleichzeitig waren diese Viren wesentlich geschwächt und kaum mehr infektiös“, so die Forscher.
Die Blockade von PLA2G4A ändert die Membran-Eigenschaften des Virus am Produktionsort so stark, dass kein voll funktionsfähiges Virus mehr gebildet werden kann und die Infektiösität um den Faktor 100 abnimmt. Auch die Gegenprobe bestätigt den Einfluss der Blockade: Das Produkt der enzymatischen Umsetzungen durch Zytosolische Phospholipase ist Arrachidonsäure (Erdnusssäusere, eine vierfach ungesättigte Fettsäure), ein spezielles Lipid, das die Membran-Eigenschaften verändert. Geben die Wissenschaftler nach der Blockade Arrachidonsäure in die Zellen – und überbrücken damit ihre Blockade – nimmt die Infektiösität wieder zu. „Da dieser Vorgang nicht nur mit dem HCV-Virus sondern auch mit dem Dengue-Virus gelungen ist, hoffen wir, dass es sich um ein allgemeines Prinzip für behüllte Viren handelt, die sich an diesem Organ, dem ER, bilden“, so Pietschmann.
Weiterführende Forschungen
In der Folge wollen die Wissenschaftler weitere Wirkstoffe untersuchen, die ebenfalls die Zytosolische Phospholipase angreifen. Darunter befinden sich auch Verbindungen welche die Pharmaindustrie als neuartige Entzündungshemmer bereits in frühen klinischen Phasen testet. Denn die Arrachidonsäure ist nicht nur ein Lipid, welches die Eigenschaften von Membranen beeinflusst, sondern auch Ausgangspunkt für die zelluläre Synthese von Entzündungsmediatoren. Ist die Produktion der Arrachidonsäure gedrosselt, fehlt die Ausgangssubstanz für Entzündungsprozesse – zumindest solche, die auf diesem Weg initiiert werden. „Indem wir solche Substanzen testen, wollen wir herausfinden, ob die Zytosolische Phospholipase als Ziel für eine antivirale Therapie gegen Hepatitis C und möglicherweise auch andere Viruserkrankungen in Frage kommt“, so Pietschmann abschließend.
TWINCORE ist ein Translationszentrum, das Grundlagen- und klinische Forschung verzahnt und aus einem Joint Venture zwischen der Medical School Hannover (MHH) und dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Hannover entstanden ist. Am TWINCORE forschen 130 Mediziner und Virologen, Bakteriologen und Immunologen gemeinsam in vier Feldern der Infektionsforschung.
Die Ergebnisse der Grundlagenforschung sollen auf kurzen Wegen zu neuen Therapie- oder Diagnoseverfahren für Patienten führen. Gleichzeitig suchen Grundlagenforscher nach Antworten, welche die klinische Arbeit aufwirft. Ein weiterer wichtiger Baustein dieser Brücke, zwischen Forschung und Praxis sind die Genehmigungsverfahren, die für klinische Anwendungen durchlaufen werden müssen. An dieser Stelle unterstützen die TWINCORE-Wissenschaftler die Entwicklung neuer Strategien gegen Infektionskrankheiten, indem sie eine wissenschaftliche Basis für die Risikoabschätzung im Vorfeld klinischer Test erarbeiten.