Zwischen Tierversuchen und klinischen Studien klafft oft eine große Lücke, doch ein US-Unternehmen versucht den Spagat: Mit Organmodellen aus dem 3D-Bio-Drucker. Bis sich komplette Organe herstellen lassen, kann es aber noch dauern.
Der lange Weg einer Biotech-Start-up: „Organovo wurde im Jahr 2007 aus der Taufe gehoben, um lebende Strukturen, also Gewebe oder Organe, herzustellen“, erzählt Mitbegründer und Berater Professor Gabor Forgacs im Gespräch mit DocCheck. Herzen, Nieren oder Lebern sind rar, doch steigt der Bedarf rapide an, allein schon durch demographische Tendenzen. Forgacs: „Was liegt näher, als Organe aus eigenen Zellen zu produzieren?“ Ein faszinierender Ansatz, auch um medizinische Komplikationen wie Abstoßungsreaktionen beziehungsweise negative Folgen der Immunsuppression zu umgehen. Und automatisierbare Verfahren könnten ein Schlüssel dazu sein – in ferner Zukunft.
Ein Physiker in den Lebenswissenschaften
Doch eigentlich begann Organovo anders: „Ursprünglich bauten wir biologische Strukturen manuell auf, nicht mit Druckverfahren“, sagt Forgacs. Viele der bekannten Techniken entfernen aus größeren Einheiten Material – Berge von Abfall inklusive, „wie bei Statuen, die aus einem Marmorblock entstehen“. Ingenieure hatten schließlich die Idee, auf dreidimensionale Produktionstechniken zurückzugreifen. Diese sind zu einem riesigen Markt geworden, in der Flug- und Automobilbranche, jetzt auch in den Lebenswissenschaften.
Gabor Forgacs kennt beide Seiten, er hat erst theoretische Physik studiert und sich dann in Richtung Biologie sowie Medizin weiterentwickelt – eine interdisziplinäre Forscherlaufbahn. Er ist gleichzeitig Vorstand und wissenschaftlicher Direktor des Shipley Center for Innovation an der Clarkson-Universität und hat die George H. Weinberg-Professur für Biologische Physik an der Universität von Missouri inne. Das machte sich bezahlt: „Physikalische Vorgänge finden auch in der Entwicklungsgenetik statt“, lautet seine Erkenntnis. „Und bei den Druckverfahren konnten wir anwenden, was wir aus der Embryogenese gelernt hatten.“ Jetzt musste nur noch ein industrieller Partner her.
Bioprinter Marke Eigenbau
Entsprechende Kooperationen wollten aber nicht so recht funktionierten, und so entschloss sich Organovo kurzerhand, selbst einen Drucker zu entwickeln: besagten NovoGen MMX Bioprinter™. Das war der „Technology Review“, herausgegeben vom Massachusetts Institute of Technology, einen Platz im „Top 50“-Innovationsranking des Jahres 2012 wert. „Organovo öffnet die Pforte zu einem neuen Bereich des medizinischen Fortschritts. Die Kompetenz des Unternehmens, dreidimensionale Gewebestrukturen herzustellen, wird zu einer besseren Erprobung neuer Medikamente führen und vielleicht eines Tages direkten Ersatz von beschädigtem Gewebe bei Patienten ermöglichen“, sagt Jason Pontin, Chefredakteur und Herausgeber des Magazins. Bis zur Niere aus dem Labor ist der Weg aber noch weit: „Wir sind eine Firma mit einem Businessplan, Stichwort regenerative Medizin“, so Gabor Forgacs. Jahrzehnte kann niemand auf den Return on Interest warten – deshalb war es Zeit für Plan B, nämlich Innovationen für die pharmazeutische Industrie zu entwickeln.
Zwischen Tierversuch und klinischer Studie
Traditionell beginnt alles mit einer Idee und einer chemischen Synthese beziehungsweise einem biotechnologischen Verfahren. Dann folgen Tierversuche und – im besten Fall – frühe klinische Studien. Bis zu 60 Prozent aller viel versprechenden Pharmaka scheitern gerade auf dieser Entwicklungsstufe. „Wir sind eben keine Tiere, unser Organismus ist weitaus komplexer, und Wirkstoffe, die etwa bei Nagern Effekte zeigen, funktionieren noch lange nicht in unserem Körper.“ Hier kommt Organovo in das Spiel. „Zwar können wir keinen Menschen bauen, aber dennoch eine Schnittstelle zwischen Tierversuchen und frühen klinischen Studien schaffen“, unterstreicht Forgacs.
Mit einer Zelle zum Gewebe
Waren erste Versuche mit neuen Medikamenten bei Ratten oder Mäusen erfolgreich, sind 3D-Drucktechniken gefragt. Forscher vermehren menschliche Zellen in Kulturmedien, lösen sie enzymatisch von der Oberfläche des Gefäßes und inkubieren sie weiter – bereits hier kommt es zu ersten Wechselwirkungen, und Gewebe-Vorstufen bilden sich aus. Über Glasrohre trägt ein Bioprinter das kostbare, lebende Material dann Schicht für Schicht auf, getrennt durch „Biopapier“ als struktureller Matrix und nach getaner Arbeit leicht entfernbar. In wenigen Tagen verschmelzen die Zellen zu lebendem Gewebe, das in seiner Funktion dem natürlichen Vorbild gleicht. So entstehen Minimuskeln oder kleine Leberkonstrukte, zwar keine kompletten Organe, aber dennoch unbezahlbar für die Industrie und funktional dem natürlichen Vorbild sehr ähnlich.
Schneller Erfolg – oder überschaubarer Schaden
Forgacs: „Ohne einen einzigen Patienten können jetzt beispielsweise verschiedene Dosierungen des neuen Wirkstoffs getestet und Stoffwechselprodukte untersucht werden.“ Setzen Forscher dafür gleich mehrere Zelltypen ein, etwa Leber-, Herz- oder Lungengewebe, sehen sie mögliche Effekte, die ansonsten erst später im Menschen auftreten würden. Läuft alles nach Plan, steht klinischen Studien nichts mehr im Weg: „Funktionieren Wirkstoffe in tierischen Organen und in menschlichen Zellen, sind die Erfolgsaussichten auch beim nächsten Schritt vergleichsweise hoch“ – ein Gewinn an Zeit und an Ressourcen.
Scheitern Testreihen jedoch, bleibt der ökonomische Schaden überschaubar – im Gegensatz zur aktuellen Strategie: Laut Organovo investieren Firmen Jahr für Jahr rund 70 Milliarden US-Dollar, mit teils magerem Ergebnis: Lediglich 21 neue Arzneistoffe erlangten beispielsweise in 2010 die Marktreife – weniger als je zuvor. Gabor Forgacs hat aber noch eine ganz andere Vision: Züchten Wissenschaftler Gewebe aus einer Biopsie, rücken individualisierte Therapien in greifbare Nähe. „Pharmaforscher könnten an Ihren eigenen Zellen testen, welche Medikamente anschlagen und welche nicht, etwa bei seltenen Krankheiten.“
Zeit für Zusammenarbeit
Damit hat die Biotech-Firma veritable Marktlücken gefunden, und fruchtbare Kooperationen mit forschenden Pharmafirmen sind entstanden. „Der Bedarf an menschlichem Gewebe mit definierter Architektur für toxikologische Untersuchungen ist hoch“, sagt Forgacs. In den kommenden Jahren soll dieses Marktsegment weiter wachsen, kürzlich hat die Firma ihr Management erweitert, um zusätzliche Kompetenzen an Bord zu holen. Investoren leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag, zuletzt mit 15,2 Millionen US-Dollar für die weitere Arbeit. Das eigentliche Ziel, künstliche Organe herzustellen, wird hingegen eine Herausforderung für Jahrzehnte bleiben.
In den kommenden Jahren soll dieses Marktsegment weiter wachsen, kürzlich hat die Firma ihr Management erweitert, um zusätzliche Kompetenzen an Bord zu holen. Investoren leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag, zuletzt mit 15,2 Millionen US-Dollar für die weitere Arbeit. Das eigentliche Ziel, künstliche Organe herzustellen, wird hingegen eine Herausforderung für Jahrzehnte bleiben.