Große Hoffnung, noch größere Enttäuschung: Mit DocMorris wollte Celesio in den vermeintlich lukrativen Versandhandel mit Arzneimitteln einsteigen und einen Türöffner für Apothekenketten aufbauen. Der Plan ist gescheitert, und eine neue Führungsspitze versucht, mit der Vergangenheit abzuschließen.
Bilanzpressekonferenz bei Celesio: Im ersten Halbjahr hat der Stuttgarter Konzern wegen hoher Abschreibungen tiefrote Zahlen zu vermelden. Der Verlust summiert sich auf sage und schreibe 183,9 Millionen Euro, ein Großteil ist auf DocMorris zurückzuführen. Bereits vor zwei Jahren mussten 71 Millionen abgeschrieben werden, kürzlich folgen weitere 120 Millionen. Damit bleiben gerade einmal 30 Millionen des ursprünglichen Kaufpreises von 221 Millionen Euro übrig. Jetzt versucht die Konzernspitze, Geister aus ihrer Vergangenheit zu vertreiben. „Insbesondere für DocMorris, Pharmexx und Movianto wurden vor Jahren im Rahmen der damaligen Celesio-Strategie hohe strategische Preise bezahlt, die sich im aktuellen Marktumfeld nicht mehr erzielen lassen“, heißt es in einer Erklärung. Persona non grata Das Desaster ist mit einem Namen untrennbar verbunden: Fritz Oesterle, vom 1. Januar 1999 bis zum 30. Juni 2011 Vorstandsvorsitzender bei Celesio, pokerte hoch und verlor viel. Bereits im Jahr 2007 erwarb er DocMorris weit über Wert. Seine Strategie: weg vom Kerngeschäft der inhabergeführten Apotheken, hin zu Ketten und zu Versandapotheken. Wäre der Markt liberalisiert worden, hätte Celesio beste Startbedingungen gehabt. Analysten stilisierten DocMorris-Chef Ralf Däinghaus schon zum „kreativer Zerstörer, der den deutschen Apothekenmarkt umkrempelt“. Offene Kriegserklärung Mitte 2006 entstand in Saarbrücken die erste Filialapotheke – mit ausdrücklicher Zustimmung des saarländischen Gesundheitsministeriums und mit Hinweis auf europäische Vorgaben. Nach einer Klage aus dem Kollegenkreis wurde diese vom zuständigen Verwaltungsgericht geschlossen. Anfang 2007 kassierten Richter das Urteil wieder ein, und grüne Türen öffneten sich erneut. Die Freude war von kurzer Dauer, als der Europäische Gerichtshof 2009 deutsche Vorgaben für rechtens erklärte. Zwei Grundpfeiler, sprich das Fremdbesitzverbot und das – durch bis zu drei Filialen eingeschränkte – Mehrbesitzverbot gelten bis heute. Im Saarland eröffnete die Apotheke des Anstoßes erneut, und zwar mit einem Franchise-Modell. Über die Jahre folgten weitere 160 Kollegen diesem Beispiel. Apotheker bleiben Inhaber, dürfen gegen Bares die Corporate Identity nutzen und bekommen Vorteile beim Einkauf sowie beim Marketing. Für Celesio und DocMorris hat sich die Schmalspurvariante augenscheinlich kaum rentiert. Um zu überleben, blieb noch ein Trumpf: Vorteile der Versandapotheke durch ihren niederländischen Standort auszuspielen. Auf Sand gebaut Mit satten Rx-Boni sollten vor allem in Deutschland Kunden geködert werden – rund drei Viertel des Umsatzes machen rezeptpflichtige Präparate aus. Das haben Legislative und Judikative mittlerweile verhindert. Am 28. Juni 2012 verabschiedeten Parlamentarier das „Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“, bekannt als 16. AMG-Novelle. Ihr Credo: „Es wird klargestellt, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für den Versandhandel aus dem Ausland nach Deutschland gilt.“ Schlag auf Schlag ging es weiter. Am 22. August nahm sich ein gemeinsamer Senat aus Bundessozialgericht (BSG) und Bundesgerichtshof (BGH) des Themas an. Das große Aufgebot war nötig geworden, da beide obersten Gerichte in der Vergangenheit unterschiedliche Urteile verkündet hatten – eine Pattsituation. Während das BSG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 Preisnachlässe für legitim hielt, war der BGH anderer Ansicht. Jetzt stellten Justitias Vertreter klar, „deutsche Preisvorschriften gelten grundsätzlich auch dann, wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel von einer Versandapotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an Endverbraucher in Deutschland abgegeben werden“. Marsch nach Brüssel DocMorris und andere Versandapotheken sahen ihre Felle davonschwimmen. Unter dem Dach der European Association of Mail Service Pharmacies (EAMSP) vereint, suchen sie jetzt nach einem letzten Hintertürchen für Rx-Boni. Laut Thomas J. Diekmann, rechtlicher Berater der EAMSP, bleibt nur noch der Weg nach Brüssel. EAMSP-Mitgliedsorganisationen kündigten an, bis zu einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs ihren Kunden in Deutschland weiterhin Preisvorteile anbieten. Doch Vorsicht – bereits einmal entscheiden sich Europas Richter für deutsche Strukturen. Altlasten ade In der Zwischenzeit hatte Celesio-Mehrheitseigentümer Haniel längst die Notbremse gezogen: Fritz Osterle wurde geschasst, und weitere Köpfe rollten: Mit dem Weggang des Finanzvorstands Christian Holzherr, des Bereichsleiters Michael Lonsert, des Vorstandsmitglieds Wolfgang Mähr und des Lobbyisten Max Müller folgte auch ein personeller Schlussstrich unter die Ära Oesterle. Markus Pinger übernahm als neuer Vorstandsvorsitzender das Ruder und änderte umgehend den Kurs: „Dazu werden wir uns strategisch konsequent auf das nach wie vor gesunde Kerngeschäft in den Bereichen Großhandel und Apotheken fokussieren.“ Er schwärmt von Angeboten der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, um Apotheken „durch eine internationale Einkaufs- und Marketingorganisation Skalenvorteile in der Beschaffung und im Produktvertrieb“ zu bieten. Celesio plane, „die Rolle des Apothekers stärken und erweitern, etwa in der Beratung und der Betreuung von Patienten“, so Plinger. Kollegen reagierten mit Skepsis, zu tief sind die Wunden der letzten Jahre. Ende mit Schrecken Im März kündigte Pinger schließlich an, das verhasste Stiefkind DocMorris zu verkaufen, um bis zu 50 Millionen Euro in Konzernkassen zu spülen. Heute wären 25 Millionen Euro schon ein gutes Resultat, vorausgesetzt, es fände sich ein Käufer. Nachdem potenzielle Interessenten den vollen Umfang diverser Rx-Versandverbote realisiert haben, schwand ihr Interesse rapide. Laut „WirtschaftsWoche“ entwickelt sich DocMorris zum Ladenhüter. Branchenriesen wie Rossmann oder dm signalisierten, kein Interesse zu haben. Als letzte Hoffnung bleiben Private-Equity-Unternehmen wie Hg Capital oder der Alliance Boots-Miteigentümer Stefano Pessina.