Kann man Reichtum am Gesicht ablesen? Einer neuen Studie zufolge ja. Basisemotionen wie Freude oder Trauer sollen sich entsprechend der Lebensumstände „einbrennen“. Der Gesichtsausdruck lasse so Rückschlüsse auf den ökonomischen Status eines Menschen zu.
Der erste Eindruck ist etwas, das uns alle im Alltag unbewusst stark beeinflusst. Was aber, wenn wir zudem ganz nebenbei erkennen könnten, ob unser Gegenüber nun reicher oder ärmer als der Durchschnitt ist? Wissenschaftler vom Institut für Psychologie der Universität Toronto haben in einer aktuellen Studie festgestellt, dass die teilnehmenden Probanden aus einem neutralen Gesichtsausdruck, mit sehr hoher Trefferquote, den korrekten sozioökonomischen Status eines Menschen ablesen konnten. Professor Nicolas Rule geht sogar noch weiter mit der Interpretation der Daten: Womöglich ist der ökonomische Status eines Menschen im Gesicht „gespeichert“ und wirkt beim ersten Eindruck wie eine Art „sich selbst erfüllende Prophezeiung“. Dadurch würde letztlich die Interaktionsmöglichkeit eines Menschen mit seiner Umgebung bestimmt, was die Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg begünstigen oder eben genauso gut auch schmälern könnte.
Interessant ist, dass für die Analyse des Gesichtes ein neutraler Gesichtsausdruck hilfreicher ist, als beispielsweise ein lächelndes oder traurig blickendes Gesicht. Vielmehr scheinen Basisemotionen, die aus den Lebensumständen resultieren, das Gesicht unbewusst zu gestalten und sich in diesem „einzubrennen“. Das Gesicht wird über die Zeit zu einem Spiegel der Erfahrungen eines Menschen. Die Forscher vermuten, dass häufige Freude zu freundlicheren Gesichtszügen führt, was sich dann ebenso in einem neutralen Gesichtsausdruck als eine Art Echo der Emotion Freude abbildet. Glücklich sein und Freude sind wiederum, glaubt man den Stereotypen laut Studie, eher Ausdruck für wohlhabendere Menschen. „Selbst Studenten im Alter zwischen 18 bis 22 Jahren haben bereits genug Lebenserfahrung gesammelt, um deren Gesichter nachdrücklich zu formen“, so Prof. Rule. Der Eindruck, den jeder einzelne Mensch von einem Gesicht bekommt, sei zudem unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe, sondern folgt viel stärker einem uralten nonverbalen Verhaltenskodex. Das menschliche Gehirn ist in Jahrmillionen der Evolution darauf getrimmt worden, Gesichter zu erkennen und daraus Informationen zu beziehen, die sich nicht immer nur vordergründig dem Auge erschließen.
Die Studie hat bei genauerer Betrachtung aber auch ein paar Schwachpunkte. Zum einen ist die Aussage, dass selbst 18–22-Jährige schon genug Lebenserfahrung in ihren Gesichtern abbilden – für die Unterscheidung nach reich oder arm – sehr gewagt. Bei jungen Menschen wird jeder Beurteilende unterbewusst erst einmal von wenig materiellen Rücklagen ausgehen, zumindest wäre das in Deutschland vermitlich so. Auch ist zu bezweifeln, dass die Herkunft oder Hautfarbe eines Gesichtes bei dem einen oder anderen Beurteilenden nicht unbewusste Stereotypen auslöst, welche die Entscheidung beeinflussen. Zum anderen, und das ist noch viel gravierender, ist die Gruppeneinteilung der „Reichen“ und „Ärmeren“ bestenfalls unglücklich und sollte eigentlich so manchem Gutachter eine krause Stirn bescheren. Als mittleres Einkommen diente in der hier zugrundeliegenden Studie ein Wert von 75.000 $. Familien oder Menschen mit < 60.000 $ galten als ärmer, während solche mit > 100.000 $ als reich bewertet wurden. Die Gesichter von Menschen mit einem Jahreseinkommen von weniger als 60.000 $ sollten möglicherweise Falten des Neides oder eine geringere Anzahl Lachfalten haben, aber als wirklich arm sind diese sicher nicht zu bezeichnen. Quelle: The Visibility of Social Class From Facial Cues. Bjornsdottir TR et al., Journal of Personality and Social Psychology, doi: 10.1037/pspa0000091; 2017