Ein neu entdeckter Mechanismus kann erklären, warum stressauslösende Ereignisse manchmal nicht vergessen werden und zur Traumatisierung führen. Ein Mangel an Dynorphin im Gehirn bewirkt, dass aversive Gedächtnisinhalte nicht gelöscht werden können.
Für das Überleben in freier Wildbahn ist es entscheidend, gefährliche Situationen zu erkennen, sich daran zu erinnern und sie zu vermeiden. Im Laufe der Evolution haben sich daher entsprechende Mechanismen ausgebildet. Unangenehme, angsteinflößende oder schmerzhafte Situationen werden sehr schnell erlernt und nie mehr vergessen. Auslöschen durch Dynorphine Andererseits müssen Tiere und auch Menschen in der Lage sein, eine erste, möglicherweise falsche, Einschätzung einer Situation wieder zu verlernen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Die Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Andreas Zimmer, Direktor des Instituts für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn, und Prof Dr. Dr. Henrik Walter, Direktor des Forschungsbereichs Mind and Brain an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, entdeckten nun, dass Dynorphine für das Auslöschen solcher Erinnerungen wichtig sind. Dynorphine gehören zur Klasse der Opioide. Sie können als die Gegenspieler der Endorphine bezeichnet werden. Endorphine können positive Gefühle, in höherer Konzentration sogar Euphorie auslösen, während die Ausschüttung von Dynorphinen aversiv wirkt und eher negative Gefühle hervorruft (Dysphorie). Fehlt Dynorphin wird nicht vergessen An Mäusen, bei denen das Dynorphin-Gen (Pdyn) ausgeschaltet war, untersuchten die Wissenschaftler von der Universität Bonn das Erlernen von aversiven Gedächtnisinhalten und anschließend deren Extinktion. Mäuse ohne Dynorphin-Gen (Pdyn-Knockout-Mäuse) und Wildtyp-Mäuse wurden in ihrem Verhalten verglichen. In einem Käfig hörten sie einen Signalton und erhielten im Anschluss einen leichten elektrischen Impuls in die Pfoten. Das Schreckverhalten wurde gemessen und unterschied sich nicht zwischen beiden Gruppen: Sowohl die Pdyn-Knockout-Mäuse als auch die Wildtyp-Mäuse erlernten schnell, dass auf den Ton ein unangenehmer Reiz folgt. Einen bzw. sechs Tage später wurden die Mäuse erneut getestet. Allerdings ertönte der Signalton, ohne dass der elektrische Impuls folgte. Wieder wurde das Schreckverhalten gemessen. Die Wildtyp-Mäuse waren 24 Stunden nach dem Test noch etwas schreckhafter als vor Beginn der Experimente, nach sechs Tagen war das Schreckverhalten jedoch wie vor dem initialen Versuch. Die Pdyn-Knockout-Mäuse hingegen blieben genauso schreckhaft, obwohl sie keine elektrischen Reize mehr erhielten. Auf den Menschen übertragbar Auch im Menschen gibt es das Dynorphin-Gen (PDYN). „Es gibt Polymorphismen im Dynorphin-Gen des Menschen, die zu einer niedrigeren Expression führen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Zimmer. Daher untersuchte Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter, zum Zeitpunkt der Studie als Professor für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Bonn, die Situation beim Menschen. Probanden mit geringerer Menge an Dynorphin wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen, die eine erhöhte Dynorphin-Menge produzierte. Während bei den Patienten eine funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) die Aktivität der Hirnareale aufzeichnete, wurden ihnen grüne oder blaue Quadrate gezeigt. Gleichzeitig wurde bei einer Farbe ein wenig schmerzhafter Laserreiz am Fuß gesetzt. Später wurden die farbigen Quadrate gezeigt, ohne dass ein schmerzhafter Reiz damit verbunden war. Analog zu den Versuchen mit Mäusen zeigte sich, dass bei den Testpersonen mit geringerer Genaktivität für Dynorphin die Stressreaktion deutlich länger anhielt, als bei Personen mit höherer Dynorphin-Ausschüttung. Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass bei Trägern der Genvariante, die zu geringerer Produktion von Dynorphin führt, die Amygdala – eine Gehirnstruktur zur Verarbeitung emotionaler Inhalte – auch dann noch aktiv war, wenn in späteren Versuchsdurchgängen die farbigen Quadrate ohne folgenden Laserreiz präsentiert wurden. „Nachdem der negative Laserstimulus unterblieb, wurde diese Amygdala-Aktivität nach und nach schwächer. Das heißt die erlernte Angstreaktion auf den Stimulus wurde vergessen“, berichtet Prof. Walter. Dieser Effekt war bei der Gruppe mit der geringeren Dynorphin-Aktivität und den anhaltenden Ängsten weniger ausgeprägt. „Doch das „Vergessen“ von erlernten Angstreaktionen ist kein Verblassen, sondern ein aktiver Prozess, an dem der ventromediale präfrontale Kortex beteiligt ist“, betont Prof. Walter. Dazu passend fanden die Forscher bei der Gruppe mit der geringen Dynorphinaktivität eine verminderte Kopplung von präfrontalem Kortex und Amygdala. Die Ergebnisse der Maus- und Humanstudien wurden im Journal of Neuroscience veröffentlicht. Einsatz bei Posttraumatischer Belastungsstörung denkbar Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die auf ein Trauma zurückgeht. Das kann ein Unfall, eine Naturkatastrophe, ein Kriegseinsatz oder eine andere als extrem schlimm empfundene Situation sein. Anhaltende Erinnerungen oder wiederholtes Durchleben des Traumas, Schlafstörungen und Alpträume, Ängste, Konzentrationsstörungen und soziale Isolation begleiten Menschen, die unter einer PTBS leiden. Der Kern der Behandlung besteht darin, das erlebte Trauma in einem sicheren Umfeld erneut zu durchleben und dadurch verarbeiten und einordnen zu können. „Es ist nicht ausreichend, mit dem Patienten zu sprechen, er muss die traumatische Situation erleben und dabei Angst empfinden. Das ist wichtig, da bei Angstempfinden Dynorphine im Körper freigesetzt werden. Und die sind eben nicht nur an der Ausbildung der aversiven Gedächtnisinhalte beteiligt, sondern auch an deren Löschung, wie wir herausgefunden haben“, erklärt Prof. Zimmer die Zusammenhänge. Dynorphine wirken über den Kappa (ĸ)-Opioid-Rezeptor. Es gibt einige synthetische Agonisten, die den Rezeptor aktivieren. Da sie beim Menschen stark dysphorisch wirken, wurden sie bis jetzt nicht für Therapien eingesetzt. Im Rahmen der Behandlung einer PTBS könnten sie aber hilfreich sein, um das Auslöschen der traumatischen Erfahrungen zu unterstützen, wie die Ergebnisse von Prof. Zimmer und Prof. Walter zeigen. Besonders für Patienten, die die Genvariante für eine verringerte Expression an Dynorphin im Genom tragen, wäre das möglicherweise eine geeignete Therapie. Prof. Zimmer und sein Mitarbeiter Dr. Andras Bilkei-Gorzo planen für die nächsten Jahre, diese Untersuchungen erst im Mausmodell durchzuführen, um dann im besten Fall auch klinische Studien am Menschen durchzuführen.