Dass die Zusammensetzung der Bakteriengesellschaft in unserem Darm darüber bestimmt, ob er sich wohlfühlt oder auf seine Gäste gereizt reagiert, ist schon seit längerem bekannt. Neu ist, dass Pilze wohl eine ebenso wichtige Rolle spielen.
Die Zahl der Bewohner schätzen Experten auf rund 100 Billionen. Rund 1014 Bakterien sollen allein den Darm des Menschen besiedeln, das sind rund zehn mal mehr Einzeller als menschliche Zellen im Verbund unseres Körpers. Unsere Kommensalen produzieren wichtige Vitamine und sorgen mit ihrer Anwesenheit dafür, dass sich pathogene Mikroben nicht ausbreiten. In einem Artikel vor einigen Wochen sprach die New York Times vom Ende des Kampfs Mensch gegen Bakterium mit allen verfügbaren Waffen. Was in Zukunft zähle, wäre eine „medizinische Ökologie“, die Hege und Pflege nützlicher Mitbewohner.
Morbus Crohn: Hefe-Antikörper als Risikomarker
In den letzten Jahren hat sich das Wissen um das menschliche Mikrobiom stark erweitert - betrachtet man Bakterien und ihre Wechselwirkung untereinander und mit dem Stoffwechsel ihres Gastgebers. Was dabei weitgehend unbeachtet blieb: Bakterien allein sind nicht die die einzigen Mikroorganismen, die sich den Menschen als dauerhaften oder vorübergehenden Lagerplatz ausgesucht haben, ohne ihm dabei zu schaden. Pilze waren bisher nur interessant, wenn sie bei einer Krankheit massenhaft auftraten hatten. So beschrieb etwa ein koreanisches Team im Frühjahr dieses Jahres in „PLoS One“ die unterschiedlichen Pilzgesellschaften auf gesunder Kopfhaut und jener von schuppengeplagten Männern und Frauen.
Auch im Darm verursachen Pilze zuweilen Probleme. Wer etwa Antikörper gegen die Hefe Saccharomyces produziert, hat auch ein höheres Risiko auf Morbus Crohn. Zudem besitzen Zellen der Darmschleimhaut auf ihrer Oberfläche Rezeptoren, die wie ein Schlüssel auf Zuckerreste der Pilz-Zellwand passen. Geht man in der Signalkette dieser Rezeptoren weiter, tauchen auch Proteine auf, die bei einer Fehlfunktion eng mit der Crohn-Krankheit oder Colitis ulcerosa verbunden sind. Grund genug für ein Wissenschaftler-Team aus Los Angeles, sich die Pilzkolonie im Darm von Maus und Mensch einmal genauer anzusehen. Ihre Ergebnisse veröffentlichte „Science“ vor einigen Wochen.
Fehlender Pilz-Rezeptor verschlimmert Darmentzündung
Die erste Überraschung: Im Darm gibt viel mehr verschiedene Pilzarten als bisher angenommen. Rund einhundert verschiedene bekannte Pilzspezies konnten die „Mykobiom“-Forscher anhand ihrer DNA im Verdauungsapparat der Maus identifizieren. Dazu kommen noch einmal so viele, die bisher noch nicht in den Katalogen der Pilz-Systematiker stehen. Rund 50 Familien machen ein buntes Bild der Pilzgesellschaft aus, auch wenn nur 10 Arten dominieren. Candida tropicalis ist eine opportunistisch pathogene Hefe, die sich dort anscheinend noch wohler als andere fühlt. Allen bisherigen Kenntnissen zufolge dürften Candida-Hefen auch im menschlichen Darm zuhause sein.
Welche Bedeutung haben Pilze für die Darmgesundheit? Was geschieht, wenn man ihnen die Möglichkeit nimmt, sich im Darm festzusetzen? Nachdem die Autoren des Science-Papers geklärt hatten, dass der Zelloberflächenrezeptor Dectin-1 den Pilzen als Ankerpunkt an ihren Wirt dient, schauten sie sich Mäuse an, die mit Natrium-Dextransulfat eine Kolitis entwickelten. Diese Mäuse rufen eine Immunreaktion gegen Pilzantigene hervor. Tiere, denen der „Pilzanker“ Dectin-1 fehlt, sind noch viel empfindlicher für die künstlich herbeigeführte Darmentzündung und verlieren dabei noch erheblich mehr Gewicht. Zeichen dafür ist nicht nur eine veränderte Darmhistologie, sondern auch große Zytokinmengen, die das Immunsystem ausschüttet. Die anderen Mitglieder der Darm-WG ließen sich jedoch davon nicht beeindrucken, die Zusammensetzung der Bakterienflora änderte sich dabei nicht. Dagegen vermehrten sich im entzündeten Mäusedarm plötzlich „opportunistisch pathogene“ Pilzarten wie Candida und Trichosporon, während harmlose Arten wie Saccharomyces zurückgingen.
Anscheinend, so schließen die Pilzforscher aus ihren Ergebnissen, hilft der Rezeptor dabei, Pilze dort zu halten, wo sie hingehören. Ohne ihn funktioniert die Bestandskontrolle nicht mehr und verleitet Candida und Co dazu, auch die Mukosa anzugreifen. Eine eine massive Entzündung ist die Folge. Fügt man den rezeptorlosen Mäusen noch noch einen zusätzlichen C. tropicalis-Schub zu, verschlimmert sich die Kolitis, während sich Wildtyp-Tiere davon nicht beeindrucken lassen.
Menschliches Genom bestimmt die Pilzgesellschaft
Lassen sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen? Es scheint, als wäre die Antwort ein „Ja“. Denn als die Forscher die Dectin-1-Gene von Patienten mit schwerer Colitis ulcerosa sequenzierten, fanden sie einen Polymorphismus mit einzelnen Basenaustauschen in der Sequenz des Gens, der mit der Schwere der Krankheit verknüpft ist.
Entsprechend den Ergebnissen beim bakteriellen Darm-Mikrobiom spielt auch beim Mykobiom die Zelloberfläche der Darmschleimhaut eine entscheidende Rolle, welche Mikroben-Gesellschaften sich breitmachen. Bei Defekten können wie bei Prokaryonten aus friedlichen Kommensalen schnell gefährliche und angriffslustige Eindringlinge werden. Das gilt wohl nicht nur für den Darm, sondern auch für Pilzgesellschaften im Mund, wie ein Bericht in PLOS Pathogens bereits im Jahr 2010 andeutet.
Virom als Krankheitsanzeiger?
Wer jenseits von Pilzen und Bakterien nach weiteren Gästen unseres Körpers sucht, wird auch bei Viren fündig, die je nach Vorliebe menschliche Zellen oder auch Bakterien als Untermieter vorziehen. Kristine Wylie von der Washington University im amerikanischen St. Louis fand bei der Genomanalyse von gesunden oder kränklichen Kindern heraus, dass sich das Virom jeweils ganz unterschiedlich zusammensetzt.
Wie wirkt sich das Verhältnis unserer Gäste untereinander und mit ihrem Gastgeber auf unsere Gesundheit aus? Eine ganze Menge unbeantworteter Fragen wartet auf Forscher, die sich der „medizinischen Ökologie“ widmen.