An der Schwelle zum Ruhestand beschäftigt er viele Kollegen: der Praxisverkauf. Oft geht es um sechsstellige Summen für die Altersvorsorge. Keine Frage, Planung und Durchführung sind ein komplexes Geflecht aus Zahlen und Interessen.
Kollegen fragen sich zuallererst, mit welcher Summe sie beim Verkauf eigentlich rechnen können. Kein leichtes Thema: Jede Arztpraxis ist so individuell wie der Inhaber selbst. Im V. Sozialgesetzbuch, § 103, findet sich nur ein lapidarer Hinweis für Nachfolgeregelungen: „Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben sind nur insoweit zu berücksichtigen, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswerts der Praxis nicht übersteigt.“ Neben individuellen Gutachten haben sich einige Methoden der Bewertung etabliert.
Materielle und immaterielle Werte
„Der Wert einer Praxis setzt sich aus materiellen und immateriellen Teilen zusammen“, sagt Judith Middendorf, stellvertretende Bereichsleiterin Gesundheitsmärkte und -politik bei der apoBank, im Gespräch mit DocCheck. „Relativ leicht lässt sich der materielle Wert bestimmen“. Dazu gehören zahntechnische Gerätschaften, Verbrauchsmaterial, das sonstige Mobiliar, EDV-Anlagen sowie gegebenenfalls die Immobilie selbst. Anhand eines Anlageverzeichnisses, einer Bilanz oder einer Gewinn- und Verlustrechnung kommt man schnell auf die entsprechende Größe.
Weitaus schwieriger sind immaterielle Werte („Goodwill“) zu quantifizieren. „Diese setzen sich aus weichen Faktoren zusammen“, erzählt Middendorf. Wie ist das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, wie beurteilt man die Lage der Praxis, wie ist die Konkurrenzsituation, welche Qualifikation hat das Personal? Und nicht zuletzt: Wie lassen sich Patienten hinsichtlich ihrer Altersstruktur und ihrer ökonomischen Situation beschreiben? „Hier ist es schwieriger, einen Wert zu finden, den man greifen kann. Es gibt nichts, das man zählen, wiegen oder messen kann.“
Blick zurück – Blick nach vorn
Middendorf: „Wir unterscheiden Methoden, welche die Vergangenheit oder die Zukunft betrachten sowie den aktuellen Verkehrswert beurteilen.“ Vom Gesetzgeber ist es keine bestimmte Herangehensweise vorgeschrieben. „Gerechtfertigt ist der Preis, der am Markt erzielt werden kann.“ Das heißt, bei entsprechender Nachfrage erhalten Kollegen durchaus Summen, die weit über materiellen und immateriellen Bewertungen liegen.
Umsatz oder Gewinn
Bei der Umsatzmethode mitteln Steuerberater Daten aus drei bis fünf Jahren. Als immateriellen Parameter addieren sie 25 Prozent des Jahresmittels. Zusammen mit dem materiellen Wert ergibt sich der Praxiswert. Ähnlich funktioniert die Gewinnmethode, nur werden hier zum arithmetischen Mittel der Gewinne mehrerer Jahre 50 Prozent als immaterieller Wert angenommen. Hinzu kommt auch hier der materielle Wert. „Man versucht damit, Werte, die in der Vergangenheit erzielt worden sind, in die Zukunft hochzurechnen. Das ist leicht zu machen, Praxisbesonderheiten – zum Beispiel falls sich die Wettbewerbssituation vor Ort verändert – werden aber nicht berücksichtigt“, so Middendorf. „Eine einfache, aber auch sehr pauschale Faustformel.“
Ertragswertverfahren
Mit dem modifizierten Ertragswertverfahren gelingt eine Extrapolation in die Zukunft – laut Middendorf „die einzig anerkannte betriebswirtschaftliche Methode“, in ihrer Ausführung aber „unwahrscheinlich komplex“. Hier werden bereinigte, durchschnittliche Erträge der letzten Jahre herangezogen. Parallel gilt es, eine Prognose für die Zukunft zu ermitteln. Davon müssen Inhaber noch ihre Vergütung (Unternehmerlohn) sowie die Steuerlast abzuziehen. Praxen unterscheiden sich allerdings von klassischen Unternehmen, da Patienten stark an die Person des Arztes gebunden sind. Der neue Chef erwirbt neben materiellen Gütern auch gute Chancen, das vom Vorgänger langfristig aufgebaute Vertrauen zu nutzen. Nach wenigen Jahren ist ein entsprechender Bonus auf ihn übergegangen – oder hat sich verflüchtigt: ein zusätzliches betriebswirtschaftliches Risiko, dem mit einer Abzinsung über zwei bis fünf Jahre Rechnung getragen wird. Diese modifizierte Ertragswertmethode ist auch für Juristen am Bundesgerichtshof legitim, um etwa bei Scheidungsverfahren den Zugewinnausgleich zu ermitteln.
Neue Ärztekammer-Methode
Auch die Bundesärztekammer hat sich mit Fragen zur Wertermittlung beschäftigt. Zur Ermittlung des Goodwills gehen Betriebswirtschaftler vom durchschnittlichen Umsatz der letzten drei Jahre aus und korrigieren diesen um nicht übertragbare Umsatzanteile. Dazu gehören Leistungen, die unmittelbar an eine Person gebunden sind, etwa Tätigkeiten als Gutachter. Als Ergebnis erhalten sie den übertragbaren Umsatz. Davon muss man übertragbare Kosten abziehen, um den übertragbaren Gewinn zu berechnen. Nach Subtraktion des Arztgehalts bleibt ein erzielbarer Gewinn, der mit dem Faktor zwei multipliziert werden muss, um zum immateriellen Wert zu kommen. In diesem sogenannten Prognosemultiplikator steckt – etwas subjektiv – eine hypothetische Patientenbindung von zwei Jahren für Einzelpraxen. Zusammen mit dem materiellen Wert erhält man den gesamten Praxiswert.
Eigeninitiative statt bösem Erwachen
Ist der Wert einer zahnärztlichen Praxis erst einmal ermittelt, stellt sich die nächste Frage: Gibt es überhaupt Kollegen, die bereit sind, entsprechende Summen auf den Tisch zu legen? Laut Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) müssten branchenübergreifend immer mehr Betriebe schließen, weil ein Nachfolger fehlt. Zahnärzte tun sich gerade in ländlichen Gebieten schwer, Kollegen für die Praxisübernahme zu finden. Wer sich von der Masse abgrenzt, hat bessere Karten: Um das gewachsene Patientenvertrauen auch an neue Kollegen weiterzugeben, kann eine Übergangszeit sinnvoll sein, in der beide Zahnärzte zusammenarbeiten. Auch über Jahre gewachsene Kontakte zu Lieferanten und Labors sind ein Anreiz für Käufer. Doch das will sorgsam vorbereitet sein.
Kommt Zeit, kommt Rat
Middendorf: „Es macht Sinn, eine Praxisübergabe mindestens zwei Jahre im Voraus zu planen.“ Maßnahmen zur Werterhaltung, etwa Wartungsarbeiten, sollten regelmäßig durchgeführt werden. Gleiches gilt für Investitionen in die Praxisausstattung und in zahnmedizinisch-technische Geräte. „Wir erleben es häufig, dass sich Ärzte einige Jahre vor einer Übergabe fragen, warum sie überhaupt noch investieren sollen. Dabei ist das ein wichtiger Faktor, um den Wert der Praxis zu erhalten beziehungsweise zu steigern.“