Eine wirksame Krebstherapie mit geringen Nebenwirkungen? Was bisher wie ein Märchen klang, könnte bald wahr werden. Forscher haben die viel versprechenden Ergebnisse zweier klinischer Studien mit dem Nierenkrebsimpfstoff IMA901 veröffentlicht.
Nierenkrebszellen tragen auf ihrer Oberfläche für den Tumor charakteristische Eiweißstrukturen (tumor-assoziierte Peptide), wodurch sie sich von anderen Körperzellen unterscheiden. Genau diese Oberflächenstrukturen machten sich die Tübinger Forscher zu nutze, um einen offenbar wirksamen Impfstoff gegen das Nierenzellkarzinom zu entwickeln. Wie funktioniert das? Durch die Impfung mit IMA901 soll das Immunsystem dazu angeregt werden, Tumorzellen spezifisch zu zerstören.
Im Gegensatz zu Chemotherapien werden hier die körpereigenen Abwehrkräfte gezielt gegen den Tumor mobilisiert. Die Ergebnisse der beiden bisher veröffentlichten Studien zeigen, dass die aktive Immunisierung gegen Krebs erfolgreich sein und das Leben deutlich mehr verlängern kann als eine Behandlung mit neusten Chemotherapien - und das bei nur geringen Nebenwirkungen. Warum ist ein derartiger Erfolg bisher noch nicht mit anderen Krebs-Impfstoffen gelungen?
Echte Peptide und möglichst viele davon
Der synthetisch hergestellte Impfstoff IMA901 ist ein Cocktail aus zehn tumorassoziierten Peptiden (TUMAPs) und wird zusammen mit dem Immunmodulator GM-CSF verabreicht. Vor der ersten Vakzinierung bekommen die Patienten noch eine Dosis Cyclophosphamid verabreicht. Im Gegensatz zu anderen Impfstoffen, die gewöhnlich eingesetzt werden, um den Ausbruch einer Krankheit zu verhindern, wird IMA901 therapeutisch verabreicht, wenn der Patient bereits an Nierenkrebs erkrankt ist. Nierenkrebszellen können vom Immunsystem über diese tumorassoziierten Peptide erkannt und attackiert werden. „Andere Krebsvakzine basieren meist auf Computeralgorithmen, die Onkogene auf theoretisch vorhandene Peptide untersuchen. Man weiß dabei allerdings nie, ob diese Peptide auch tatsächlich auf den Tumoren vorkommen. Wir identifizieren mit einer wahrscheinlich einzigartigen Plattform relevante Antigene auf Nierenzellkarzinomen“, erklärt Dr. Carsten Reinhardt, Chief Medical Officer der immatics biotechnologies GmbH, das Erfolgsrezept des Impfstoffs.
Mit der “Antigen-Aufspür-Plattform“ namens XPRESIDENT, die über zahlreiche verschiedene Technologien wie beispielsweise Massenspektrometrie und Genexpressionsprofiling verfügt, isolierten die Wissenschaftler erst die spezifischen HLA-Moleküle von Tumoren und dann die Peptide aus den HLA-Molekülen. „In unserem Impfstoff IMA901 verwenden wir ein Gemisch aus 10 Peptiden aus dem Oberflächenmolekül HLA-A2“, erklärt Dr. Reinhardt. Denn ihre Untersuchungen hatten gezeigt, dass die klinische Effektivität des Impfstoffs vor allem von der Breite der T-Zell-Antwort abhängt. Je mehr verschiedene Antigene (hier die Peptide aus den HLA-Molekülen) dem Immunsystem präsentiert werden, desto effektiver ist die Immunantwort.
Minimale Nebenwirkungen
Dass IMA901 spezifische T-Zellantworten auf das Nierenzellkarzinom hervorrufen kann und außerdem sicher in der Anwendung ist, hat der Impfstoff gerade in einer Phase-I- und Phase-II-Studie bewiesen. Die Nebenwirkungen des Impfstoffs stehen in keinem Verhältnis zu den Nebenwirkungen herkömmlicher Chemotherapien. „Am häufigsten, etwa bei einem Drittel aller Patienten, haben wir lokale Hautreaktionen, teilweise verbunden mit einem Juckreiz, beobachtet“, so Dr. Reinhardt. „Gerade befinden wir uns in der Phase-III-Studie, in der wir nachweisen wollen, dass die Vakzinierung tatsächlich mit einem längeren Überleben in Verbindung steht“, so Reinhardt. Erste Ergebnisse erwartet das Unternehmen 2014, die finalen Ergebnisse im darauf folgenden Jahr.
Bald Impfung gegen sämtliche Krebsarten?
Eine Einschränkung bei der Anwendung von IMA901 gibt es jedoch: Das Oberflächenmolekül HLA-A2 besitzen nur etwa 48 bis 50 % der Bevölkerung. Wer ohne HLA-A2 lebt, spricht auf den Impfstoff nicht an. IMA901 kann daher nur bei etwa knapp der Hälfte aller Nierenkrebspatienten angewendet werden. Einschränkungen bei der Anwendung der Technologie auf weitere Krebsarten scheint es hingegen nicht zu geben – und das birgt große Hoffungen für künftige Krebstherapien. „Das hier angewandte Prinzip der aktiven Immunisierung gegen Krebsantigene, die zuvor auf Krebszellen identifiziert worden sind, ist auf praktisch alle Krebsarten anwendbar“, so Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee, Leiter der Abteilung Immunologie der Universität Tübingen und Mitgründer von immatics biotechnologies. Alle bisher eingesetzten Medikamente gegen das Nierenzellkarzinom hätten zwar eine deutliche Verbesserung in der Einschränkung des Tumorwachstums beim Nierenkrebs gebracht, jedoch nicht die gewünschte Lebensverlängerung oder gar Heilung erzielt, erklärt Prof. Dr. Arnulf Stenzl, Leiter der Abteilung Urologie des Universitätsklinikums Tübingen. Unter seiner Leitung waren die klinischen Studien durchgeführt worden.
In der von immatics weiterentwickelten aktiven Immunisierung in Kombination mit einer niedrig dosierten einmaligen Chemotherapie (Cyclophosphamid) als Immunmodulator sieht er auch klinisch einen Meilenstein in der Behandlung des Nierenzellkarzinoms, aber möglicherweise auch anderer bösartiger Tumore. Das Tübinger Biotechunternehmen testet derzeit weitere Impfstoffe für andere Indikationen. „Wir haben gerade eine Phase-II Studie im kolorektalen Karzinom abgeschlossen. Mit einem Impfstoff gegen Hirntumore, den sog. Glioblastomen, befinden wir uns momentan in einer Phase-I-Studie“, so Reinhardt. Weitere Studien seien in Vorbereitung.
Die Tübinger Forscher beschränkten sich nicht nur auf die Erprobung der Wirksamkeit ihres Impfstoffes, sie suchten auch nach Biomarkern, die eine Voraussage hinsichtlich der Wirksamkeit des Impfstoffs IMA901 in einzelnen Patienten treffen könnten. „Wir haben etwa 300 Biomarker untersucht, bei denen ein methodischer Zusammenhang zu einem Tumorvakzin bestehen könnte, insbesondere Faktoren, die mit Immunantworten zu tun haben könnten. Unter ihnen haben wir zwei viel versprechende Biomarker gefunden. Patienten, die über diese Biomarker verfügen, reagieren deutlich besser auf unser Vakzin als andere ohne diese Biomarker“, erklärt Dr. Reinhardt die Vorgehensweise. Die betreffenden Patienten generierten mehr T-Zell-Antworten und hatten ein besseres Gesamtüberleben als andere ohne die betreffenden Biomarker. „Wir haben Hinweise darauf, dass diese Marker eine gute Vorhersagekraft besitzen“, so Dr. Reinhardt. Validiert werden sie gerade in der Phase-III Studie.