Viele Bibliotheken können es sich nicht mehr leisten, ihren Lesern teure Medizin-Fachjournale zur Verfügung zu stellen und werben für „Open Access“. Doch die Verlagerung der Kosten auf den Artikelschreiber hat auch ihre Tücken.
„In einer digitalisierten und vernetzten Informationsgesellschaft muss der Zugang zur weltweiten Information für jedermann zu jeder Zeit von jedem Ort für Zwecke der Bildung und Wissenschaft sichergestellt werden.“ Der Kernsatz der „Göttinger Erklärung“ stammt vom Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, einer Vereinigung von sechs Wissenschaftsorganisationen und über 300 Fachgesellschaften. In einer solchen Welt gäbe es „Open Access“ für alle wissenschaftlichen Publikationen, freien Zugang zu gedruckter oder verpixelter Forschung.
Öffentlich gefördert, aber nur begrenzt sichtbar
Die Realität sieht - vorerst - noch anders aus: Unter den rund 7000 Zeitschriftentiteln, die im „Open Access“(OA)-Verzeichnis von doaj.org gelistet sind, haben gerade einmal sechs Prozent einen nennenswerten Impact Factor, werden also regelmäßig von anderen bedeutenden Publikationen zitiert. Nur etwa acht bis zehn Prozent aller Wissenschaftsartikel eines Jahres erscheinen in „Open Access“-Zeitschriften und sind ohne zusätzliche Kosten zu lesen. Je nach Forschungsinstitution und entsprechendem Etat für die Bibliothek ist es für Wissenschaftler leicht oder auch sehr schwierig, an wichtige Informationen für ihre Fachgebiete zu kommen - DocCheck berichtete. In Deutschland hat bisher keine einzige Wissenschaftsinstitution eine Verpflichtung zum offenen Zugang zu den von ihnen geförderten Forschungsergebnissen durchgesetzt. Selbst die eigene Publikation liegt oft gut verschlossen hinter der Schranke hoher Abonnementgebühren für wichtige Fachzeitschriften. Wollen Autoren dort publizieren, geben sie oft alle Verwertungsrechte ohne Gegenleistung an den Verlag ab.
Zumindest in der Schweiz muss derjenige „Open Access“ publizieren, dessen Forschung der Nationalfond fördert. Dabei hat vor einiger Zeit eine große europäische Studie (SOAP - Study of Open Access Publishing) ergeben, dass neun von zehn Wissenschaftlern das Modell von Gebühren für die Publikation und kostenlosem Zugang zum Artikel für sehr gut für die Allgemeinheit und ihr Forschungsgebiet halten. Kostenlos ist allerdings auch „Open Access“ nicht, sondern verlagert die Aufwendungen auf die Autoren. Das wiederum schreckt viele Forscher ab, die mit einem kleinen Etat auskommen müssen.
Open Access: Gold oder grün
Die klassische OA-Veröffentlichung läuft über den „goldenen Weg“: Reicht ein Autor ein Manuskript ein, wird eine Gebühr fällig, die von wenigen Euro bis zu über 3.000 Euro reichen kann. Sie soll die Begutachtung, Prozessierung und Veröffentlichung des Beitrags abdecken. Aber auch Abonnement-Zeitschriften können sich die Open Access-Option offenhalten. Der „grüne Weg“ erlaubt die Zweitveröffentlichung in Repositorien von Institut, Organisation oder auf der eigenen Homepage, sofort oder zumindest nach sechs Monaten. Ein vielgehörtes, aber meist falsches Argument: Open Access-Zeitschriften mangle es an Qualität. Das stimmt nicht. Oft haben sich die Herausgeber ein intelligentes Begutachtungssystem einfallen lassen, das nicht nur auf entsprechenden Peers, sondern auch auf Kommentaren interessierter Lesern basiert. Erfahrungen zeigen, dass solche Modelle Autoren zu größerer Sorgfalt anspornen und daneben die Zeit bis zur Druckreife auf rund vier Monate verkürzen. Bei traditionellen Zeitschriften vergeht vom Einreichen bis zum Erscheinen schon einmal bis zu einem Jahr.
OA-Leser: auch aus anderen Fachgebieten
Wer gute wissenschaftliche Arbeit geleistet hat und nun die Ergebnisse veröffentlichen möchte, stellt sich die Frage, ob sich der (Kosten-)aufwand für OA wirklich lohnt. Im letzten Jahr berichtete ein Artikel im FASEB-Journal, dass Open-Access-Artikel mehr Downloads erzielten und einen weiteren Leserkreis als solche in teuren Abonnement-Zeitschriften erreichten. Jedoch würden entsprechende OA-Beiträge deswegen im Untersuchungszeitraum von drei Jahren nicht öfter zitiert. Deswegen, so die Schlussfolgerung des Autors Philip Davis, liege der wirkliche Nutzen wohl nicht bei der höheren Verbreitung bei Fachkollegen, sondern bei Interessierten, die selber nicht direkt im gleichen Forschungsgebiet arbeiten. Allerdings berichtet ein Artikel vom Juli 2012 von Bo-Christer Björk und David Solomon für den Bereich Medizin von etwa gleich vielen Zitaten von OA- und Subskriptionsartikeln.
Wer jedoch seine Autorenrechte zur Weitergabe von Artikeln behalten möchte, kommt meist an Open Access nicht vorbei. Nur wenigen davon erscheinen jedoch in Deutschland, wie etwa das interdisziplinäre Medizinjournal „German Medical Science“ (GMS), herausgegeben vom gleichnamigen Portal. GMS ist ein Projekt der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) und der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED). Auch der Schweizerische Ärzteverlag EMH hat mit „Swiss Medical Weekly“ eine anerkannte OA-Zeitschrift.
OA-Sponsoring: Geld für gute Ergebnisse
Wer aber den hohen Impact Factor renommierter Zeitschriften nutzen will und gleichzeitig sein Paper für die Öffentlichkeit freigeben will, hat bei einigen Zeitschriften mit einem „Hybrid-OA“ die Wahl. Gegen entsprechende Gebühr erscheint der Artikel ohne Zugangssperre. Solche bei Springer „Open Choice“ genannte Artikel sind aber eher selten. Laut SOAP-Studie machen sie nur etwa zwei Prozent der Publikationsproduktion aus.
Wer die Kosten dafür trägt, dass die OA-Zeitschrift Forschungsergebnisse in die Welt hinausträgt, ist ganz unterschiedlich: Oft sorgen Mitgliedsgebühren der Forschungsorganisation an den Herausgeber dafür, dass die angestellten Wissenschaftler gebührenfrei publizieren. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt Autoren bei Veröffentlichungen mit einem 75-Prozent-Zuschuss, ebenso Stiftungen wie etwa die Volkswagen-Stiftung für die von ihr geförderten Projekte. Dennoch - so sagt „SOAP“, sind die Publikationsgebühren bei über der Hälfte aller Biomedizinforscher der Grund der Ablehnung von Open Access. Sehr viel härter trifft es demnach Klinik-Angestellte als etwa Mitarbeiter von Pharma- und Biotechfirmen.
Schließlich sind die Publikationsgebühren bei OA-Medien in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Dennoch, so glauben die meisten Fachleute, wird sich Open-Access auf Dauer durchsetzen. Beweise dafür liefert etwa die Seite oastories.org. Sie berichtet über Erfolgsgeschichten neuer OA-Medien. So vermeldet etwa das noch recht junge„Ecancermedicalscience“ des europäischen Instituts für Onkologie in Mailand 35.000 Besucher aus 191 Ländern im Monat auf ihrer Website und 6000 registrierte Nutzer. Nicht zuletzt verdankt das Peer-Review-Journal seine Bekanntheit auch modernen Social Media wie Facebook, Twitter oder LinkedIn. Vorerst aber helfen wohl nur Tricks, um auch an vermeintlich unzugängliche Abo-Forschungsartikel heranzukommen. SOAP gab einige davon bekannt, die die Befragten den Autoren verraten hatten.
Dagegen ist der direkte Kontakt zu den Autoren des interessanten Papers nur in etwa der Hälfte der Anfragen erfolgreich - zuweilen mit quälend langer Wartezeit.
Publikationsfonds: Finanzhilfe und Beratung
Untersuchungen haben gezeigt, dass Wissenschaftler an renommierten Universitäten und Forschungsinstituten kaum einen Gedanken an den Zugang zu wichtigen Zeitschriften, aber auch nicht an die Bezahlung von OA-Publikationsgebühren verschwenden müssen. Angestellte kleinerer Einrichtungen haben es oft viel schwerer.
Gernot Deinzer von der Universitätsbibliothek Regensburg wirbt in einem Vortrag daher für ein Konzept, dass auch ihnen langfristig hochwertige Information für ihre Arbeit verschafft. Der lokale Uni-Publikationsfond übernimmt dauerhaft die anfallenden Gebühren und kümmert sich dabei nicht nur um wirtschaftliche Belange. Er soll den Forschern helfen, den Publikationswegs nach wissenschaftlichen Kriterien und nicht nach Kostenüberlegungen auszuwählen. Ausserdem setzt er sich das Ziel, Wissenschaftler über ihre Autorenrechte aufzuklären. Open-Access-Zeitschriften sind dabei aber in der Regel viel großzügiger als etwa Nature oder Lancet.