Beim Karpaltunnelsyndrom treten durch Kompression des Medianus-Nervs Missempfindungen und Schmerzen in der Hand auf. Während sich leichte Fälle konservativ therapieren lassen, greifen Kollegen bei stärkeren Beschwerden zum Messer.
Silvio Berlusconi, ehemaliger Ministerpräsident Italiens, und Prinz Philip, Prinzgemahl der britischen Königin Elisabeth II, haben mehr Gemeinsamkeiten als man denkt: Beide sind Handarbeiter, unterschreiben – beziehungsweise unterschrieben – viele Dokumente und schüttelten unzählige Hände. Das rächte sich: Mit Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühl mussten sie sich in ärztliche Behandlung begeben. Eine Diagnose stand schnell fest: Beide hatten das Karpaltunnelsyndrom (KTS).
Tunnel unter Druck
Der Karpaltunnel wird von Handwurzelknochen gebildet und zwischen den Ballen von Daumen und kleinem Finger vom Karpalband (Retinaculum flexorum) verschlossen. Im Inneren verläuft der Medianus-Nerv. Kommt es zur Einengung des Karpaltunnels, wird dieser gequetscht – und Kribbeln beziehungsweise Taubheitsgefühle („eingeschlafene Hände“) sind die Folge. Anfangs lassen sich entsprechende Beschwerden noch durch „Ausschütteln“ der Hände beseitigen. Später kommen nächtliche Schmerzen hinzu, die schließlich auch tagsüber anhalten. Neben Kraftlosigkeit fällt oftmals eine Delle im Daumenballen auf – typische Anzeichen der KTS. Ältere Studien aus Schweden geben eine Inzidenz von 3,45 Fällen pro Jahr und pro 1.000 Einwohner an. Frauen sind zehn Mal häufiger betroffen, vor allem während der Schwangerschaft und zwischen dem 40. Und 50. Lebensjahr. Doch wie kommt es zu dieser Krankheit?
Zwischen Job und Sport
Abgesehen von genetischen Prädispositionen gelten Arbeit und Sport als Hauptrisikofaktoren: Britische Forscher untersuchten dazu 884 Probanden. Sie fanden hohe KTS-Risiken bei Handwerkern, Verkäufern, Pflegekräften sowie Personen, die im Sport-und Freizeitgewerbe tätig sind. Generell mussten körperlich Arbeitende drei bis sieben Mal häufiger wegen eines KTS unters Messer als nicht körperlich Arbeitende. Aber auch Büroarbeiter sind nicht gefeit. Dazu hat eine griechische Forschergruppe 461 Verwaltungsangestellte, die Tag für Tag Daten über die Tastatur eingeben, befragt und untersucht. In der Tat ließ sich ein Zusammenhang zwischen Tastenanschlägen und dem KTS-Risiko nachweisen. Ansonsten führen lange Fahrradtouren zu Anschwellungen der Sehnenscheiden und damit auch zu Quetschungen des Medianus-Nervs. Bei diversen rheumatischen, metabolisch oder hormonell ausgelösten Erkrankungen treten ebenfalls Schwellungszustände auf.
Als Berufskrankheit anerkannt
Obwohl das KTS schon seit 2003 in der europäischen Liste der Berufskrankheiten geführt wird, und zwar an sechsthäufigster Stelle, hatte Deutschland damit ein Problem. Mitte 2009 gab der ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales endlich grünes Licht, seither zählt die KTS auch hier zu Lande als Berufskrankheit. Bei Jobs, die manuelle Tätigkeiten mit Beugen oder Strecken der Hände im Handgelenk erfordern, mit erhöhtem Kraftaufwand verbunden sind oder vibrierende Geräte benötigen, gilt der Zusammenhang als gesichert.
Typische Symptome
Sobald ein Anfangsverdacht auf das KTS hindeutet, suchen Neurologen nach Hoffmann-Tinel-Zeichen: Leichtes Klopfen auf den Karpaltunnel verursachen deutliche Beschwerden. Typisch sind auch Missempfindungen beim starken Beugen des Handgelenks (Phalen-Zeichen). Zur Verifizierung fordert die kürzlich aktualisierten S3-Leitlinie „Karpaltunnelsyndrom, Diagnostik und Therapie“: „Prinzipiell ist die elektrophysiologische Diagnostik als relevante Methode zum zuverlässigen Nachweis eines KTS zu empfehlen.“ Und weiter: „Bei Verdacht auf eine KTS sollte nicht routinemäßig eine MRT- oder CT-Untersuchung durchgeführt werden.“ Sonographische Methoden haben sich zumindest in kleineren Studien bewährt. Als mögliche Differentialdiagnosen kommen unter anderem Polyneuropathien, Kompressionen durch arterielle Gefäße sowie eine Reizung beziehungsweise Schädigung der Nervenwurzeln C6 oder C7 infrage. Denkbar ist auch, dass der Nerv durch den Musculus pronator teres komprimiert wird. In seltenen Fällen steckt eine Akromegalie hinter den Beschwerden.
Therapie: konservativ…
Ist ein KTS diagnostiziert, hängt die weitere Strategie vom Schweregrad ab: Leichte Fälle lassen sich durchaus konservativ behandeln. Neben klassischen Nachtschienen kommen heute spezielle Schienen zur Dehnung des Karpaltunnels infrage. Manuelle Therapien zur Mobilisierung des Bindegewebes lindern zwar Schmerzen, verringern die Druckempfindlichkeit des Gewebes jedoch nicht. Und eine lokale Infiltration mit Kortikoid-Kristallsuspensionen hilft bei starken Beschwerden oftmals rascher als ein operativer Eingriff. Kürzlich veröffentlichte Arbeiten zeigten auch den Nutzen von Lokalanästhetika wie Procain. Auf lange Sicht führt kein Weg am Eingriff vorbei, sollten diese Maßnahmen ohne Erfolg bleiben.
…oder chirurgisch
Laut aktueller Leitlinie ist „die operative Behandlung bei entsprechender Indikationsstellung konservativen Maßnahmen eindeutig überlegen“. Der Eingriff als offene oder endoskopische Spaltung des Retinaculums wird meist in lokaler Infiltrationsanästhesie, Regional- oder Plexusanästhesie durchgeführt, seltener in Allgemeinnarkose. Auch rät die Leitlinie zur Blutsperre beziehungsweise Blutleere. Bei der offenen Operationstechnik durchtrennen Chirurgen das Karpalband nach einer ausreichend großen Inzision, was zur Erweiterung des Karpaltunnels führt. Mittlerweile haben sich auch endoskopische Techniken etabliert.
Methodische Meinungsverschiedenheiten
Über Vor- und Nachteile beider Herangehensweisen diskutieren Kollegen kontrovers. Die Autoren der Leitlinie geben zu bedenken, einer größeren Patientenzufriedenheit bei endoskopischen Techniken stünden möglicherweise höhere Komplikationsraten sowie schlechtere Langzeitergebnisse entgegen, was auch eine kürzlich veröffentlichte Arbeit aus Japan belegt. In die Studie wurden 79 Patienten aufgenommen und es galt, 101 Hände zu behandeln. Bei der endoskopischen Methode war die Muskelkraft nach vier Woche signifikant besser. Allerdings, so die Autoren, steige das Risiko einer vorübergehenden Nervenschädigung in der frühen postoperativen Phase. Bei Patienten mit schweren elektrophysiologischen Befunden ist deshalb besondere Vorsicht geboten.
Erfolg über Nacht
Generell verschwinden Schmerzen nach chirurgischer Druckentlastung rasch. Bereits am Tag nach dem Eingriff sollten Patienten unter Anleitung mit Bewegungsübungen beginnen, um Fingerödemen oder einer Handsteife vorzubeugen. Bis die Sensibilitätsstörung vollständig verschwindet, vergehen in schweren Fällen aber durchaus Monate. Langfristige Beobachtungen haben gezeigt, dass sich Muskelatrophien, die über mehr als ein Jahr bestanden, teilweise nicht mehr zurückbilden.