Oft sind chronische Schmerzen schwer behandelbar. Studien machen Glia- und Mastzellen dafür verantwortlich, dass das Schmerzsignal dauerhaft verstärkt wird. Forscher propagieren nun den Einsatz einer körpereigenen Substanz, die das Leid der Patienten lindern soll.
Herkömmliche Schmerzmittel eignen sich kaum für eine längere Anwendung, zu schwerwiegend sind oft ihre Nebenwirkungen. Um chronischen Schmerzpatienten besser als bisher helfen zu können, werden daher dringend neue Arzneien benötigt. Das Fundament für deren Entwicklung scheint vorhanden zu sein, da Wissenschaftler immer besser verstehen, wie Schmerzen entstehen und welche Mechanismen diese verstärken. Früher galten Vorgänge in den Nervenzellen als alleiniger Auslöser von chronischen Schmerzen, doch mittlerweile häufen sich die Hinweise, dass Mastzellen und Gliazellen eine wesentliche Rolle bei der Schmerzausbildung spielen. Zum Beispiel finden sich Mastzellen oft in der Nähe von Nervenfortsätzen und können dort ein ganzes Arsenal an schmerzfördernden Botenstoffen ausschütten. Bisherige Analgetika treten jedoch nur in Wechselwirkung mit den Nervenzellen und haben wenig oder keinen Einfluss auf die Vorgänge in den übrigen Zelltypen.
Schmerzen verringern sich bei Studienteilnehmern
Eine körpereigene Substanz könnte nun die nicht-neuronalen Zellen darin hindern, bei der Schmerzverstärkung in Aktion zu treten: Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Palmitoylethanolamid (PEA) offenbar über entzündungshemmende und schmerzlindernde Eigenschaften verfügt. Wie Professor Jan Keppel Hesselink vor kurzem in einem Übersichtsartikel in der Fachzeitschrift The Open Pain Journal berichtete, konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass sich eine Behandlung mit PEA positiv auf Schmerzpatienten auswirkt. In den klinischen Studien, die überwiegend in Italien und Spanien stattfanden, wurde die Substanz an Probanden getestet, die unter anderem an Ischias-, Becken- und Rückenschmerzen sowie diabetischer Neuropathie litten. „Die Probanden profitierten in allen Studien von der Therapie mit PEA, ihre Schmerzen verringerten sich signifikant“, sagt Keppel Hesselink, der Lehrstuhlinhaber für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Witten/Herdecke ist.
Er selbst hat mittlerweile die Substanz bei mehreren hundert Patienten mit chronischen Schmerzen eingesetzt. „Nach ein bis fünf Wochen Behandlung mit PEA begann der Schmerz bei meinen Patienten nachzulassen“, berichtet Keppel Hesselink. „Sogar Patienten, bei denen kein anderes Analgetikum mehr anschlug, ging es nach einigen Monaten deutlich besser.“ Wesentliche Nebenwirkungen konnte der Molekularpharmakologe nicht beobachten. Die Substanz wird als Nahrungsergänzungsmittel unter dem Namen Normast als Mikrogranulat oder als Tablette angeboten und kann mit anderen Schmerzmitteln kombiniert werden.
PEA bremst Produktion entzündungsfördernder Moleküle
Keppel Hesselink vermutet, dass PEA in den an der Schmerzentstehung beteiligten Zellen den Transkriptionsfaktor PPAR-alpha aktiviert. Dieses Protein, so der Molekularpharmakologe, sorge dann dafür, dass die Zellen weniger entzündungsfördernde Botenstoffe produzierten. „Dieser komplett andere Ansatz könnte die Behandlung von chronischen Schmerzen revolutionieren, weil PEA den Schmerz wirkungsvoll bekämpft, ohne dabei die Aktivität der Nervenzellen zu hemmen“, sagt Keppel Hesselink.
Andere Experten sind noch skeptisch: „Das Prinzip ist zwar nachvollziehbar und weist auch in eine gute Richtung, aber aus wissenschaftlicher Sicht liegen bislang keine ausreichenden Informationen vor, in wie weit die Effekte tatsächlich auf den Wirkstoff selbst zurückgeführt werden können“, sagt Professor Matthias Karst, Leiter der Schmerzambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Die bisher existierenden Studien hatten entweder den Charakter von Pilotstudien oder wurden nicht in internationalen Journalen publiziert. Unklar ist auch das Sicherheitsprofil von PEA, wenn es über längere Zeiträume eingenommen wird.“
Industrie zeigt kein Interesse
Dass PEA sich als Schmerzmittel trotz jahrelanger Forschung noch nicht durchgesetzt hat, verwundert Keppel Hesselink kaum: „Weil ein körpereigenes Molekül nicht patentierbar ist und man deshalb nur wenig Geld damit verdienen kann, haben große Pharmaunternehmen kein Interesse an PEA.“
Ohne industriellen Partner jedoch lassen sich keine großen multizentrischen Studien mit neuen Wirkstoffen finanzieren, die aber nötig sind, um in internationalen Fachzeitschriften Erwähnung zu finden. Deshalb möchte Keppel Hesseling seine Erkenntnisse nun an möglichst viele Interessierte weitergeben und erhofft sich dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit für PEA – einer Substanz, von der viele Menschen mit chronischen Schmerzen eventuell profitieren könnten.