Bei Typ 2-Diabetes und Adipositas greifen Chirurgen noch eher selten zum Skalpell, obwohl Studien erstaunliche Ergebnisse liefern. Patienten sollten mit Bedacht ausgewählt werden - denn die bariatrische Chirurgie hat ihre Schattenseiten.
Deutschland legt zu: Mittlerweile gelten mehr als eine Million Menschen als schwer adipös, viele von ihnen leiden an Typ 2-Diabetes. Mit Insulin beziehungsweise oralen Antidiabetika haben Ärzte nicht immer den gewünschten Erfolg, doch es gibt Alternativen: „Die bariatrische Chirurgie ist bei Patienten mit einem Body Mass Index (BMI) größer 40 beziehungsweise bei Diabetes mellitus Typ 2 und BMI größer 35 eine evidenzbasierte und weltweit anerkannte Therapie zur anhaltenden und deutlichen Gewichtsreduktion“, weiß Professor Dr. Tobias Lohmann, Chefarzt am Städtischen Krankenhaus Dresden-Neustadt. Im Laufe der Zeit haben sich mehrere Techniken etabliert.
Band, Schlauch oder Bypass
Magenbänder aus Silikon verengen den Durchmesser des Verdauungsorgans. Formen Chirurgen hingegen einen Schlauchmagen, verringert sich dessen ursprüngliches Volumen um 70 bis 80 Prozent. Beim Roux-en-Y-Magenbypass wird wiederum ein Pouch angelegt, direkt mit dem Dünndarm verbunden, und Nahrung passiert nur noch einen kleinen Teil des ursprünglichen Weges. Gerade Magenbänder sind aber in die Kritik geraten: Zwar können diese laparoskopisch mit geringem Risiko implantiert und nachher durch einen Port mit Flüssigkeit passgenau gefüllt werden. Über die Jahre häufen sich aber Revisionseingriffe, und mit einem Magenbypass oder Schlauchmagen erzielten Chirurgen unter metabolischen Gesichtspunkten deutlich bessere Ergebnisse. Erfahrungswerte kommen meist aus den Staaten – in Deutschland führen Kollegen bariatrische OPs weitaus seltener durch. Tobias Lohmann rät deshalb, Patienten in zertifizierte Kliniken zu überweisen. Je nach Fallzahl unterscheidet die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie zwischen Kompetenz-, Referenz- und Exzellenzzentren - hier liegen entsprechende Risiken im Bereich internationaler Standards.
Über Nacht geheilt?
Nach erfolgreichem Eingriff bildet sich der Typ 2-Diabetes bei bis zu 80 Prozent aller Patienten zurück, berichtet Lohmann. Interessante Arbeiten wurden kürzlich im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. In einer nicht verblindeten, randomisierten, kontrollierten Studie haben Forscher 60 Patienten zwischen 30 und 60 Jahren mit einem BMI von 35 oder mehr, die mindestens seit fünf Jahren an Diabetes litten, nach dem Zufallsprinzip drei Gruppen zugeordnet: konventionelle medizinische Therapie, Magen-Bypass-OP oder biliopankreatische Diversion. Nach zwei Jahren kam es unter klassischer Behandlung zu keiner einzigen Remission, während 75 Prozent in der Magen-Bypass-Gruppe und 95 Prozent in der Gruppe mit biliopankreatischer Umleitung von ihrem Stoffwechselleiden befreit waren. Alter, Geschlecht, BMI oder Dauer der Diabetes-Vorerkrankung erwiesen sich als irrelevant. Auch der ursprüngliche HbA1c-Wert von 8,65 Prozent war gesunken: auf 7,69 Prozent unter Pharmaka, 6,35 Prozent in der Magen-Bypass-Gruppe und 4,95 Prozent bei Patienten mit biliopankreatischer Umleitung.
Eine weitere randomisierte, nicht verblindete Studie wurde nahezu zeitgleich veröffentlicht . Ärzte wählten hier 150 adipöse Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 aus, das mittlere Alter betrug 49 Jahre. Als Laborparameter zogen Kollegen wieder der HbA1c-Wert heran, dieser lag im Schnitt bei 9,2 Prozent. In der Gruppe mit rein medikamentöser Therapie, psychologischer Betreuung und Sport erreichten nur zwölf Prozent aller Teilnehmer einen HbA1c-Wert unter sechs Prozent. Im Vergleich dazu wurde das ambitionierte Ziel nach Magen-Bypass-OPs in 42 Prozent und nach Anlage von Tunnelmägen in 37 Prozent der Fälle erreicht. Im Schnitt nahmen Patienten postoperativ nur noch 0,3 (Bypass) beziehungsweise 0,9 verschiedene Medikamente (Schlauchmagen) ein, während es unter konventioneller Behandlung drei orale Antidiabetika waren. Auch die Adipositas verbesserte sich bei chirurgischen Interventionen deutlich.
Messfühler im Darm
Beide Arbeiten geben Hinweise auf den Mechanismus. Da positive Auswirkungen auf die Stoffwechsellage extrem schnell auftreten, oftmals noch während des Krankenhausaufenthalts, kann es nicht am Körpergewicht allein liegen. Wissenschaftler um Tony K. T. Laman von der Universität Toronto, Kanada, postulierten einen Regelkreis zwischen dem oberen Dünndarm, der Leber und dem Gehirn, wobei ein Sensor im Jejunum lokalisiert zu sein scheint. Erhielten Ratten Glucose oder Fettsäuren mit einem Katheter direkt in diese Darmregion appliziert, sank deren Blutzucker, auch bei Tieren mit Typ 1-Diabetes, sprich ohne Insulin-Beteiligung. Lamans Experiment könnte erklären, warum Magen-Bypass-OPs so erfolgreich sind: Gelangt Nahrungsbrei vorzeitig in den Dünndarm, wird ein noch nicht näher bekannter Messfühler aktiviert – und verbessert die metabolische Situation. Forscher hoffen nun, dieser neue Sensor könnte langfristig als Zielstruktur für Medikamente dienen. Momentan profitieren Patienten nur nach OPs von dieser Erkenntnis.
Viel Licht – viel Schatten
Ist die bariatrische Chirurgie damit zum Allheilmittel geworden? Gerade in den USA greifen Chirurgen zehn Mal häufiger zum Messer als in Deutschland, auch bei BMI-Werten von 30 bis 35. Davon rät der Münchener Ernährungswissenschaftler Volker Schusdziarra dringend ab. Vielmehr sollte an erster Stelle ein individuelles Programm aus Bewegung, Psychotherapie und natürlich Ernährungsberatung stehen. Sein Prinzip der Energiedichte setzt auf Lebensmittel mit wenigen Kalorien pro Volumeneinheit. Diese sättigen, ohne übermäßig viele Kalorien zu enthalten. Hingegen bewertet Schusdziarra viele Diäten als „zu komplex, um sie im Alltag umzusetzen“. Bei Extremfällen mit BMI-Werten von über 50 steht auch für ihn die Chirurgie an erster Stelle – „das sind vielleicht vier bis fünf Patienten pro Jahr“. Paul Zimmet und George Alberti vom australischen Baker IDI Heart and Diabetes Institute weisen zudem auf vergleichsweise kleine Patientenkollektive hin, die bisher untersucht worden sind. Langzeiterfahrungen fehlen, dennoch befürworten die beiden Ärzte bariatrische Eingriffe – nicht als Standardtherapie, aber häufiger, als bislang in Europa üblich. Trotz des Erfolgs darf eine Sache nicht vergessen werden: Nur die engmaschige, postoperative Begleitung durch Diabetologen, Chirurgen, Internisten und Psychologen sichert Erfolge. Betroffene müssen ihr Leben lang regelmäßig Vitamine, Proteine und Mineralstoffe schlucken. Auch ist die Selbstmordrate bei Patienten nach bariatrischen Eingriffen deutlich erhöht, eine nicht zu unterschätzende Gefahr.
Geld oder Leben
Vertreter der Krankenkassen kritisierten jedoch, hinter bariatrischen OPs könne der Versuch stecken, Haushaltsdefizite mancher Kliniken auszugleichen. Diesem Vorwurf widerspricht Tobias Lohmann ganz entschieden – in Deutschland müsse jeder Eingriff vom Leistungsträger vorab genehmigt werden. Auch decke das Honorar gerade einmal Unkosten, von erforderlichen Anpassungen der Infrastruktur ganz zu schweigen.