Vorhofflimmern gilt als wichtiger Risikofaktor für Schlaganfälle. Die Arzneimitteltherapie setzt auf Antiarrhythmika und Antikoagulation, ist jedoch nicht ohne Tücke. Neue Wirkstoffe und Scores helfen aber, unerwünschte Effekte zu verringern.
Im Idealfall arbeiten Vorhöfe und Ventrikel Hand in Hand – das sollte durch elektrische Stimuli rund 70 Mal pro Minute erfolgen. Steigt diese Frequenz im Atrium auf 350 bis zu 600 Mal pro Minute, tritt Vorhofflimmern ein. Mit höherem Lebensalter vergrößert sich auch das Risiko: Zwischen sechs und acht Prozent der 70-Jährigen und rund zehn Prozent in der Patientengruppe über 80 sind betroffen. Auf der Suche nach Grunderkrankungen Meist stecken Hypertonien dahinter, aber auch koronare Herzkrankheiten, Herzklappenfehler oder Probleme des Herzmuskels können schuld daran sein. Patienten, die an rheumatoider Arthritis leiden, sind ebenfalls stark gefährdet, an Vorhofflimmern, Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erkranken, lassen Daten aus einer Kohortenstudie erkennen. Die Forscher konnten auf ein großes Patientenkollektiv zurückgreifen: Alle Einwohner Dänemarks, die älter als 15 Jahre und 1997 noch gesund waren, wurden mit einbezogen. Nach fünf Jahren dann die Überraschung: Patienten, bei denen sich eine rheumatoide Arthritis entwickelt hatte, bekamen signifikant häufiger Vorhofflimmern, auch Schlaganfälle traten vermehrt auf. Die Forscher vermuten, dass hier chronische Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle im Krankheitsprozess spielen. In manchen Fällen lässt sich jedoch keine Grunderkrankung finden. Für Kardiologen heißt die Strategie generell, Arrhythmien zu behandeln und möglichen Embolien vorzubeugen. Wieder eingetaktet Selten tritt Vorhofflimmern als akute Situation auf, die eine sofortige Rhythmuskontrolle durch elektrische Kardioversion erforderlich macht. Patienten merken von ihrem Leiden in der Regel nicht viel, außer Anomalien beim Puls. Im EKG hingegen ist vor allem eine gezackte Struktur der Grundlinie auffällig, Vorhofwellen hingegen sind nicht mehr zu sehen. Bei hartnäckigen Rediziven haben Kardiologen auch Erfolg mit einer Ablation von Teilen des Endokards. Meist reicht schon die Gabe entsprechender Arzneimittel wie Amiodaron, Flecainid oder Propafenon, diese wirken vergleichsweise schnell, haben aber eine lange Halbwertszeit. Relativ neu ist Vernakalant, das aus dem Körper wieder vergleichsweise rasch eliminiert wird. Alternativ lassen Kardiologen das eigentliche Vorhofflimmern unbehandelt und verschreiben zur Kontrolle der Herzfrequenz Verapamil, Digitalis oder Diltiazem. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt, dass das Pharmakon Dronedaron bei Patienten mit Vorhofflimmern nur dann verordnet wird, wenn bei ihnen Sinusrhythmus besteht. Bei einer großen Studie war es vermehrt zu unerwünschten Wirkungen gekommen. Risiken quantifiziert Mit diesen Pharmaka ist es aber nicht getan: Vorhofflimmern kann zu Thromben führen, die wiederum Embolien auslösen, auch bei asymptomatischen Formen, wie Kardiologen jetzt herausfanden. Um vor allem Schlaganfallrisiken besser abzuschätzen, wurde vor Jahren der CHADS2-Score entwickelt. Wichtige Parameter sind Herzerkrankungen (congestive heart failure), arterielle Hypertonie (hypertension), Alter über 75 Jahren (age), Diabetes (diabetes) und Schlaganfall (stroke; doppelt gewichtet). Diese Bewertung gibt auch Hinweise auf ein mögliches Blutungsrisiko, ist in der Praxis aber teilweise zu ungenau, vor allem bei Patienten mit niedrigen Punktezahlen von null bis eins. Als Weiterentwicklung haben Kardiologen deshalb den CHA2DS2-VASc-Score konzipiert – hier berücksichtigen Kardiologen auch das Geschlecht (sex) beziehungsweise Gefäßerkrankungen (vascular diseases), und das Alter (age) wird differenzierter bewertet. Jedoch führt eine antikoagilative Behandlung auch zu einer verstärkten Gefahr von Blutungen – hier soll der HAS-BLED-Score zur Aufklärung beitragen. Ein erhöhter Blutdruck (hypertension), Störungen der Leber- und Nierenfunktion (abnormal renal / liver function), ein Schlaganfall (stroke), Blutungsneigungen (bleeding history / predisposition), labile INR-Werte (labile International Normalized Ratio), das Alter (elderly) und der Konsum von Arzneimitteln beziehungsweise Alkohol (drugs / alcohol concomitantly) werden mit herangezogen. Liegt dieser Wert über drei, ist von einem erhöhten Blutungsrisiko auszugehen. Biomarker zur Risikoabschätzung Um Risiken bei Patienten mit Vorhofflimmern besser einzuschätzen, könnten künftig neue klinische Parameter an Bedeutung gewinnen, wie schwedische Forscher jetzt herausgefunden haben. Sie bestimmten bei 6.189 Patienten der RE-LY-Studie die Spiegel von NT-proBNP und Troponin I im Blut. Beide Parameter erlaubten weitaus genauer als Risikoscores, Schlaganfälle oder die vaskulare Mortalität vorauszusagen und eine gezieltere Behandlung einzuleiten. Antikoagulation: meist sinnvoll Immer noch erhalten viele Patienten mit Vorhofflimmern den Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) als Schlaganfallprophylaxe. Patienten mit Risikofaktoren, sprich CHA2DS2-VASc-Scores von zwei oder mehr, ist damit wenig geholfen. Sie benötigen vielmehr orale Antikoagulantien, wie auch die Birmingham Atrial Fibrillation in the Aged (BAFTA) -Studie gezeigt hat. Über Jahre hinweg waren Vitamin K-Antagonisten wie Warfarin die einzig verfügbaren oralen Antikoagulantien. Für Betroffene, die keine Cumarin-Derivate einnehmen können – oder diese ablehnen – blieb bis dato nur eine Kombination von ASS mit Clopidogrel: Bereits 2009 hatte die ACTIVE-A-Studie gezeigt, dass vaskuläre Ereignisse mit dieser Strategie signifikant verringert werden konnten. ASS alleine ist laut Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie nicht mehr sonderlich relevant. Jetzt hat eine neue Ära begonnen: Der Thrombininhibitor Dabigatranetexilat und die Faktor Xa-Hemmstoffe Apixaban beziehungsweise Rivaroxaban weisen ein günstiges Wirkungsprofil auf, wobei umfangreiche Daten aus großen randomisierten Studien einen mit Warfarin vergleichbaren Nutzen belegen – mittlerweile sprechen Kardiologen von „neuen Blockbustern“. Patienten hatten unter den neuen Pharmaka weniger hämorrhagische Schlaganfälle beziehungsweise Hirnblutungen. Komplexe Mechanismen Die vermehrte Thromboseneigung ist aber nur ein – zugegeben immens wichtiger Aspekt – Vorhofflimmern birgt noch ganz andere Gefahren. Forscher aus Ontario, Kanada, zeigten mit einer aktuellen Arbeit, dass Betroffene weitaus häufiger an Demenz erkranken. Sie werteten Daten von rund 31.500 Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen aus, von denen 3,3 Prozent zu Beobachtungsbeginn unter Vorhofflimmern litten. Nach einem Follow-up von durchschnittlich 56 Monaten hatte sich die Zahl auf 6,5 Prozent nahezu verdoppelt. Das Risiko einer Demenz war um 30 Prozent und die Notwendigkeit einer stationären Pflege um 53 Prozent höher als bei Studienteilnehmern ohne Vorhofflimmern. Damit wird auch klar: Das Krankheitsbild ist komplexer als bislang angenommen.