Die langen Arbeitszeiten für Jungärzte geraten zunehmend ins Kreuzfeuer. Die einen halten die Arbeitszeiten für gerechtfertigt, da die Anforderungen des Arztberufes diese mit sich bringen würden, andere wiederum sehen in den langen Arbeitszeiten eine Gefahr für die Patienten.
Die langen Arbeitszeiten von Assistenzärzten stehen immer mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Erst vor wenigen Wochen stand eine junge Assistenzärztin vor dem Kölner Amtsgericht, da sie die Blutkonserven eines Patienten vertauscht hatte und er aufgrund der Folgen starb. Als Grund für das Versehen gab die junge Ärztin an, dass sie pro Woche mindestens 62 Stunden arbeiten müsse, an dem Tag des tödlichen Fehlers schon eine 24-Stunden-Schicht hinter sich hatte und aufgrund dessen sehr erschöpft gewesen war. Trotz der langen Schicht hatte sie aber immer noch die Verantwortung für über 100 Patienten, was ihr in diesem Moment zum Verhängnis wurde. Ich habe mit einer Assistenzärztin der Chirurgie darüber gesprochen, wie stressig der Arbeitsalltag von Jungärzten sein kann.
DocCheck: Wie schwierig war der Übergang von Studium zu Arbeitsleben für dich? Sandra*: Der Übergang war sehr schwer für mich. Das Studium kann man mit dem normalen Arbeitsleben eines Arztes gar nicht vergleichen. Im Studium hat man seine Seminare, Praktika und Vorlesungen und kann sich seine Zeit zum Lernen und für andere Dinge selbst einteilen. Als ich anfing zu arbeiten, war das eine ganz große Umstellung für mich. Da war es vorbei mit der eigenen Zeiteinteilung und Plänen, denn plötzlich verbringt man einen Großteil seines Lebens im Krankenhaus.
Privatleben kommt zu kurz
DocCheck: Wie hast du die erste Zeit im Krankenhausalltag empfunden? Sandra: Es war sehr ungewohnt für mich. Die langen Arbeitszeiten waren sehr anstrengend, vor allem die langen 24-Stunden-Schichten schlauchten ganz schön. Und selbst danach war kein Ende in Sicht. Wenn Notfälle dazwischen kommen, haben diese nun mal Vorrang, selbst wenn man eigentlich schon auf dem Nachhauseweg ist. Es gab Tage und Nächte, da bin ich kaum zum Schlafen gekommen. Kaum hat man sich mal eine Minute hingelegt und konnte kurz die Augen schließen, kam auch schon der nächste Patient. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich wohl nie mehr das Krankenhaus verlassen werde und dass so etwas wie ein Privatleben gar nicht existiert.
DocCheck: Leidet denn dein Privatleben sehr unter deinen Arbeitszeiten? Sandra: Leider ja. Diese Freiheiten, wie man sie manchmal im Studium hat, gibt es im Arbeitsleben nicht mehr. Man hat zuerst die langen Arbeitszeiten und wenn man doch endlich mal nach Hause darf oder zwischen den Schichten etwas Zeit hat, muss man lernen und sich die Dinge gut einprägen, die man vorher im OP gesehen hat. Mein Privatleben ist mittlerweile schon sehr eingeschränkt. Meine Eltern oder meine Freundinnen sehe ich nur noch kaum. Mit meinem Partner wohne ich zum Glück zusammen und er ist ebenso Assistenzarzt. Die wenige freie Zeit, die wir beide haben, nutzen wir dann gemeinsam. Das tut nach einem stressigen Tag oder einer langen Nacht wirklich gut, mal mit jemandem, der auch versteht, was man alles durchmacht, reden zu können. So kann man auch gemeinsam abschalten und runterkommen.
DocCheck: Vor wenigen Wochen stand eine Jungärztin vor dem Kölner Amtsgericht, da sie die Blutkonserven eines Patienten vertauscht hat und er danach starb. Als Grund gab sie an, dass sie, trotz Erschöpfung, viel Verantwortung habe tragen müssen. Kannst du das nachvollziehen, was in ihr vorging? Sandra: Es ist tragisch, wenn einem gerade als junger Arzt in den Anfängen so etwas passiert und ein Patient aufgrund eines Fehlers sterben muss. Vor allem, wenn man dann noch vor Gericht steht und wie ein Schwerverbrecher behandelt wird. Dabei ist man ja auch nur ein Mensch und bei weitem nicht perfekt. Ich kann es verstehen, dass so etwas passieren kann. Man muss sich das als Außenstehender so vorstellen: Man kommt als Assistenzarzt nicht morgens um acht Uhr zur Arbeit und kann nachmittags um vier Uhr wieder nach Hause gehen. Das geht nun mal bei Patienten, die versorgt werden möchten, einfach nicht. Vor allem, wenn Notfälle kommen. Und diese häufen sich vorwiegend abends und an den Wochenenden. Oder auch zu Urlaubszeiten. Dann sind zehn Stunden Arbeit pro Tag oder länger die Regel. Und dann noch die 24-Stunden-Schichten. Oder noch länger. Das bedeutet, dass man eine volle Arbeitswoche mit ganz wenig Schlaf hat. Und auf Wochen oder Monate hochgerechnet, bedeutet das für den Körper Erschöpfung und Stress. Und einen Rückgang der Konzentration. Dass einem als Arzt dann Fehler passieren, ist eine logische Konsequenz. Dass die Patienten darunter leiden müssen und im schlimmsten Fall sogar aufgrund solcher Fehler sterben, ist ein furchtbarer Nebeneffekt, der vermieden werden kann.
Kritische Phase - Änderungen müssen her
DocCheck: Was müsste deiner Meinung nach geändert werden, um solche Fehler zu vermeiden? Sandra: Es muss ganz klar etwas an den langen Arbeitszeiten geändert werden. Davon abgesehen, dass man als Assistenzarzt wirklich wenig Familien- oder Privatleben hat. Was bringt einem Patienten ein müder, genervter und gereizter Arzt, der Fehler macht und der Gesundheit des Patienten schaden könnte? Ein Fehler, der vielleicht tödlich für den Patienten enden könnte? Das muss nicht sein. Es wäre wichtig, dass man als Arzt genug Zeit für die Regeneration bekommt, um fit und ausgeruht und voller Konzentration zur Arbeit zu kommen. Es ist schade, dass in der Hinsicht so wenig getan wird und die Lage sich sogar verschlechtert statt verbessert.
DocCheck: Wenn du nochmal die Wahl hättest, würdest du wieder diesen Beruf ergreifen? Sandra: Definitiv ja, denn es ist mein absoluter Traumberuf. Ich würde es jederzeit wieder tun, denn das Studium hat mir sehr viel Freude bereitet und ich liebe den Umgang mit den Patienten. Nur würde ich den Beruf niemandem empfehlen. Auch aufgrund der stressigen Arbeitszeiten.
*Der Name der interviewten Assistenzärztin wurde auf deren Wunsch geändert.