Die Behandlungsmethoden bei Lungenkrebs haben sich zwar verbessert, dennoch sterben daran allein in Deutschland jährlich rund 40.000 Menschen. Wissenschaftler wollen nun mit einem neuen Therapieansatz die heimtückische Krankheit bekämpfen.
Der Traum vieler Forscher ist es, Tumorzellen wirkungsvoll mit den Waffen des Immunsystems zu zerstören. Mit maßgeschneiderten Immuntherapien wollen sie deshalb die körpereigene Abwehr anregen, den Kampf gegen die bösartigen Zellen aufzunehmen. Doch die Bestandteile des Immunsystems haben für Krebspatienten nicht nur vorteilhafte Wirkungen. Seit einiger Zeit häufen sich die Hinweise, dass bestimmte Immunzellen und Botenstoffe das Fortschreiten einiger Tumorerkrankungen begünstigen können. Auch bei Lungenkrebs scheint dies der Fall zu sein: Wie Forscher um Professorin Susetta Finotto, Sarah Reppert und Ildiko Boross vom Universitätsklinikum Erlangen in der Fachzeitschrift Nature Communications berichten, fördert der Botenstoff Interleukin-17A wahrscheinlich das Wachstum von Adenokarzinomen der Lunge. Für ihre Studie untersuchten Susetta Finotto und ihre Mitarbeiter zusammen mit der Arbeitsgruppe von Frau Professorin Özlem Türeci von der Uniklinik Mainz Tumorgewebeproben von Patienten, die an dieser Krankheit litten. Dabei stellten die Forscher fest, dass die Konzentration von IL-17A im Tumorgewebe im Vergleich zu Lungengewebe von gesunden Personen um durchschnittlich das Zehnfache erhöht war. Mangelhafte Kontrolle in Tumorzellen Der Botenstoff IL-17A wird von sogenannten Th17-Zellen abgeben und fördert die Produktion von entzündungsfördernden Molekülen und Zellen. Normalerweise kontrolliert das Protein T-bet diesen Prozess und sorgt dafür, dass nicht zu viel IL-17A gebildet wird. In Adenokarzinomen der Lunge fehlt offenbar diese Bremse, da Gewebeproben von Patienten nur wenig T-bet enthalten. Ein verhängnisvoller, sich selbst verstärkender Kreislauf setzt infolgedessen ein: „Die Krebszellen nehmen IL-17A auf und produzieren vermutlich ihrerseits den Botenstoffe IL-6“, erklärt Finotto, Leiterin der Molekular-Pneumologischen Abteilung am Universitätsklinikum Erlangen. „IL-6 wiederum regt zusammen mit dem Botenstoff TNF-beta Th17-Zellen an, weiteres IL-17A herzustellen.“ Dass der Botenstoff unmittelbar das Wachstum von Lungentumoren fördert, konnte das Team um Finotto mit Hilfe eines Tiermodells zeigen. Für diesen Zweck injizierten die Forscher Lungenkrebszellen in die Schwanzvene von normalen Mäusen und von speziell gezüchteten Mäusen, in deren Erbgut das Gen für T-bet ausgeschaltet worden war. Die Tumorzellen wanderten über den Blutkreislauf in die Lungen der Versuchstiere, wo sie sich ansiedelten und vermehrten. Innerhalb von zwei Wochen bedeckte der Tumor bei den Mäusen ohne T-bet rund 50 Prozent der Lungenoberfläche, bei den genetisch unveränderten Mäusen dagegen weniger als zehn Prozent der Lungenoberfläche. Antikörper hemmen Tumorwachstum Als die Forscher in einem weiteren Experiment den Mäusen nicht nur Krebszellen spritzten, sondern auch Antikörper gegen IL-17A verabreichten, kam es in den Lungen normaler Mäuse zu einer deutlichen Verlangsamung des Tumorwachstums. „Alle Mäuse mit T-bet und die Mehrheit der Mäuse ohne T-bet lebten länger dank der Behandlung mit dem Antikörper“, berichtet Finotto. Die Blockade von IL-17A durch den Antikörper führte auch zu einer Verringerung der Konzentration von IL-6 in den Atemwegen der genetisch unveränderten Tiere. Die Forscher tröpfelten die IL-17A-Antikörper in die Nase der Tiere. So konnten sie gewährleisten, dass die Antikörper zuerst mit den Epithelzellen in den Lungen in Kontakt kamen. Finotto: „Eine intranasale Therapie ist weniger invasiv und vermeidet Nebenwirkungen, die bei einer Injektion des Antikörpers in die Blutbahn wahrscheinlich wären.“ In einem neuen Projekt möchten die Forscher nun untersuchen, ob im Blut von Patienten mit Adenokarzinomen der Lunge auch vermehrt IL-17A vorkommt. Ihr wichtigstes Ziel ist es jedoch, schon bald den Einsatz von Antikörpern gegen IL-17A bei Lungenkrebspatienten zu erproben. Zu diesem Zweck soll zuerst die Wirkung des IL-17A-Antikörpers auf humane Zellen, bei humanisierten Mäusen und letztendlich in klinischen Studien an Patienten untersucht werden. Deshalb sind Finotto und ihre Mitstreiter auf der Suche nach Kooperationspartnern, die sie bei der Planung und Umsetzung einer klinischen Studie unterstützen würden. Entzündungen fördern Produktion von IL-17A Auch andere Experten unterstützen den neuen Therapieansatz: „Eine Blockade von IL-17A könnte das Wachstum von Lungentumoren unterbinden“, sagt Professor Andreas Diefenbach, Leiter einer Arbeitsgruppe am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg. „Zwar ist nicht sicher, ob sich die vorliegenden Ergebnisse eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen, aber andere Veröffentlichungen zeigen, dass IL-17A eine wichtige Rolle bei chronischen Entzündungen spielt, aus denen Krebserkrankungen wie das Colonkarzinom hervorgehen könnten.“ Auch bei der Lunge, die über ihre Schleimhäute in Kontakt mit Reizstoffen und Mikroben stehe, so Diefenbach, könnten Entzündungen dazu beitragen, dass IL-17A verstärkt produziert und dadurch das Tumorwachstum gefördert werde.