Während meines PJs konnte ich viele verschiedene Bereiche der Medizin kennenlernen. Mein Tertial in der Inneren Medizin hielt eine besonders interessante wenn auch sehr spezielle Erfahrung bereit: Die Arbeit in der Substitutionsambulanz.
Ja, richtig – in der Substitutionsambulanz geht es vor allem um Drogen, Drogenabhängige (speziell Opiatabhängige) und deren Versorgung mit Ersatzstoffen, um den Entzugswilligen einen Ausstieg aus der Sucht zu ermöglichen. Zu Anfang fand ich dieses Umfeld schon ein wenig unheimlich – das muss ich zugeben. Auch die Vorstellung, jemandem gegenüberzusitzen und beim Spritzen von Methadon zuzusehen, erschien mir zunächst grotesk. Nachdem ich aber den Institutsleiter einige Male in die Sprechstunde begleiten durfte, sah ich das alles mit anderen Augen. Die Patienten, die dort behandelt werden, haben zum größten Teil einen unglaublich starken Willen und bringen enorme Kräfte auf, um Ihre Sucht in den Griff zu bekommen.
Ich erinnere mich gut an eine Patientin – gerade Mitte zwanzig – die bereits mit 14 Jahren durch die eigene Familie mit dem Drogenmilieu in Kontakt kam. Durch die Substitutionsambulanz wurde ihr endlich die Chance gegeben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und etwas daraus zu machen.
Schrittweise zur kompletten Abstinenz
Opiate bilden eine Gruppe von Alkaloiden, die kontrolliert in der Medizin, vor allem zur Schmerztherapie, verwendet werden, jedoch leider ein großes Abhängigkeitspotential aufweisen. Diese Stoffe verursachen im Körper durch Rezeptorbindung eine Senkung der Schmerzschwelle sowie ein massives Glücksgefühl. Wichtigster Vertreter in der Drogenszene ist das Heroin. Ein Opiatentzug geht mit massiven körperlichen Beschwerden, von denen die harmlosesten Niesen, Frösteln, Knochen- und Muskelschmerzen sowie Schlafstörungen sind, einher. Um diesen Prozess zu erleichtern, gibt es Ersatzprogramme.
Die Substitution erfolgt in Deutschland mit Methadon, L-Polamidon oder Buprenorphin – alles synthetisch hergestellte Opioide mit dämpfender aber nicht euphorisierender Wirkung. Ziel ist es, den Patienten schrittweise zur kompletten Abstinenz zu führen und die körperlichen Erscheinungen des Entzugs bei Absetzen der Substanzen durch langsames Minimieren der Symptomatik zu verringern. Methadon beispielsweise unterdrückt zwar unangenehme Gefühle, ruft aber dennoch nicht die Euphorie hervor, die die Originalsubstanz verursacht.
Eine Substitutionsbehandlung sollte für mindestens drei Wochen durchgehalten werden, kann aber auch je nach Indikation über längere Zeit erfolgen. Auch eine Langzeitsubstitution wird in manchen Fällen durchgeführt. Eine interessante Studie dazu hat das National Addcition Center in Neuseeland durchgeführt, wobei die NTORS (National Treatment Outcome Research Study) eine Zusammenfassung der Wirksamkeit verschiedener Entzugsprogramme präsentiert.
Rückläufige Zahlen
Obwohl die Zahlen gegenüber den Vorjahren zurückgegangen sind, gab es 2011 immer noch fast 1.000 Drogentote in Deutschland, im Schnitt noch nicht einmal 40 Jahre alt. 300.000 Menschen leiden in Deutschland unter einer Drogenabhängigkeit. Laut einer Studie des New York State Office of Alcoholism and Substance Abuse Services mit über 1500 Teilnehmern, ließe sich die Mortalität der Opiatkonsumenten durch Substitutionsprogramme um mehr als das 50fache senken.
Umso wichtiger, dass es Stellen wie die Substitutionsambulanz der LMU München gibt, die dafür kämpfen, diese Zahlen weiter zu senken. In der dortigen Ambulanz werden ca. 150 Patienten versorgt. Die meisten werden über die Clearingsstelle der Stadtverwaltung vermittelt. Der Schwerpunkt der Intervention liegt in der Opiat-Ersatztherapie, Entgiftung von Beigebrauch (vor allem Alkohol) sowie der Behandlung von Komorbiditäten – physischer wie auch psychiatrischer Natur, wie beispielsweise Depression, Angststörungen, Essstörungen und Schizophrene Störungen.
Die Arbeit in der Substitutionsambulanz läuft dementsprechend sehr interdisziplinär ab. Ärztliches, sozialpädagogisches und psychologisches Personal arbeiten eng zusammen. Die meisten körperlichen Krankheitsbilder, mit denen die Suchtkranken in die Sprechstunde kommen, sind aus dem Spektrum der Inneren Medizin. Körperliche Symptome des Opiatkonsums sind unter anderem Kachexie, vegetative Störungen, GIT-Erkrankungen, Spritzenabszesse durch verunreinigten Stoff oder Spritzen bis hin zu amputationswürdigen Weichteilschäden, Amenorrhö, Potenzstörungen, Impotenz und Infertilität. Weiterhin besteht ein höheres Risiko, sich mit Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis C zu infizieren, was vor allem durch leider nach wie vor gebräuchliches „Needle-sharing“ geschieht.
Folge dieser Erkrankungen sind dann wiederum opportunistische Infektionen. Die Betreuung durch einen Facharzt ist obligatorisch – denn auch nur dieser darf die Rezepte ausgeben, die für die Substitutionsmittel erforderlich sind. Diese stehen nämlich unter dem Betäubungsmittelgesetz. Gefragt ist außer dem medizinischen Wissen auch psychologisches Geschick, da viele der Patienten seit Jahren im Teufelskreis von Sucht, Beschaffungskriminalität und Existenzminimum stecken und man teilweise nur mit kommunikativem Talent und viel Empathie wirklich zu ihnen durchdringen kann.
Individuell angepasstes Therapieprogramm als Rettungsanker
Das individuell angepasste Therapieprogramm aus Substitutionstherapie, internistisch-allgemeinmedizinischer Betreuung, Gruppen- und Einzeltherapie und zu guter Letzt der Vermittlung von betreutem Wohnen und Selbsthilfegruppen sowie Hilfe bei Behördengängen soll den Abhängigen einen Rettungsanker bieten, um aus der Sucht auszusteigen. Grundgedanke der Therapie ist es, eine körperlich und seelisch stabile Verfassung zu schaffen, um dem Patienten so die Chance zu geben, durch Eigenverantwortung die Drogenfreiheit zu erreichen und so eine berufliche und soziale Integration zu ermöglichen – denn nur durch den eigenen Willen ist der Ausstieg möglich.
Die Suchtmedizin an sich ist ein weites Feld, dessen ausführliche Behandlung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Wer sich näher informieren möchte, sei auf die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie verwiesen. Einen interessanten Artikel zum Thema und zur Entwicklung des Drogenkonsums in der Gesellschaft gibt es mit dem Titel „Weniger Drogentote aber nicht weniger Drogen“ im Handelsblatt zu lesen. In den meisten universitären Einrichtungen besteht die Möglichkeit für Medizinstudenten, eine Famulatur oder auch Hospitation unter Supervision zu absolvieren.
Auf was man sich in der Sprechstunde in einer solchen Ambulanz gefasst machen muss, ist ein breites Angebot an allen möglichen Krankheitsbildern aus Innerer Medizin, Chirurgie, Dermatologie, Gynäkologie, Urologie, Psychiatrie und weiteren Fachbereichen, aber auch schwere Schicksale, mit denen es gilt, angemessen umzugehen. Und gerade diejenigen, die sich jetzt vielleicht selbst bei dem Gedanken ertappen, „aber die sind doch eh alle selbst schuld“, sollten sich überlegen, eine Zeit in diesem spannenden Bereich zu verbringen, um sich eine eigene Meinung über die dortigen Schicksale und Betreuung bilden zu können. Denn - „Sucht ist eine Krankheit, keine Charakterschwäche“ – wie es ein Fachmann auf dem Gebiet einmal ausdrückte.