Viele Mütter kennen wohl die Angst, ein autistisches Kind zu bekommen. Es besteht der Verdacht, dass ein erhöhtes Alter der Mutter mit einem erhöhten Autismus-Risiko der Kinder assoziiert ist. Forscher konnten diese Hypothese mit einer Meta-Analyse untermauern.
Die Autoren analysierten 16 epidemiologische Studien, die die Daten von 25.687 Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und 8.655.576 Kontrollteilnehmern enthielten. Verglichen mit Müttern, die 25‑29 Jahre alt waren, hatten Mütter, die mindestens 35 Jahre alt waren, ein deutlich höheres Risiko, ein autistisches Kind zu bekommen: Das Relative Risiko betrug 1,52 (95% Konfidenzintervall (CI) = 1,12‑1,92). Mütter, die unter 20 Jahre alt waren, hatten im Vergleich zu 25‑29-jährigen Müttern ein signifikant erniedrigtes Risiko für ein autistisches Kind (RR = 0,76; 95% CI = 0,60‑0,97). Fast alle Studien zeigten eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Alter der Mutter und dem Autismusrisiko des Kindes. Dieser Effekt wurde besonders in Studien deutlich, in denen mehr Jungen eingeschlossen waren und in solchen, in denen die Störung der Kinder erst nach einigen Jahren diagnostiziert wurde.
Steigerung um 7 %
Auch die im Jahr 2009 von Hannah Gardener et al. (Harvard School of Public Health, Boston, USA) untersuchte den Zusammenhang zwischen maternalem Alter und kindlichem Autismus. Sie schlossen 13 Studien in ihre Meta-Analyse ein. Hier war ein mütterliches Alter von über 30 Jahren bei Geburt mit einem auf 27% ‑ 106% erhöhten Risiko verbunden (30‑34 Jahre versus 25‑29 Jahre bzw. >= 40 Jahre versus < 30 Jahre). Stieg das Alter der Mutter um 5 Jahre, so stieg ihr Risiko für ein autimuskrankes Kind um 7%.
Doch auch das Alter des Vaters zur Geburt des Kindes hing mit der Autismus-Inzidenz zusammen: Ein Anstieg des väterlichen Alters um 5 Jahre war mit einem Risikoanstieg von 3,6% assoziiert. Drei Studien zeigten, dass junge Väter (< 25 Jahren) gegenüber 25- bis 29-jährigen Vätern ein um 26% erniedrigtes Risiko haben, dass ihr Kind mit Autismus zur Welt kommt. Weitere Faktoren, die mit dem Autismusrisiko in Zusammenhang standen, waren pränataler Medikamentengebrauch, Blutungen, Gestationsdiabetes, Primaparität und eine ausländische Herkunft der eigenen Mutter. Die Zusammenhänge seien jedoch nicht deutlich genug gewesen, um als "evident" bezeichnet werden zu können, so die Autoren. Komplikationen in der Schwangerschaft scheinen jedoch das Autismus-Risiko zu erhöhen. Frühere Fehlgeburten, Hypertension und Prä-Eklampsie hatten in dieser Studie anscheinend jedoch keinen Einfluss auf das Autismus-Risiko des Kindes.
Genaue Klärung des Begriffs
Allerdings ist zu bedenken, dass es nicht immer leicht ist, eine "Autismus-Spektrum-Störung" zu diagnostizieren. "Autistisch ist einer jener Begriffe, die dazu tendieren, inflationär verwendet und damit unscharf und letztlich bedeutungslos zu werden. Deshalb ist es wichtig zu klären, was mit diesem Begriff genau gemeint ist", sagt zum Beispiel der psychoanalytische Kinderpsychotherapeut Dr. Karl Mätzler auf seiner Website.
Als "Autismus-Spektrum-Störungen" werden die Störungen bezeichnet, die sich auf der Skala zwischen schwerem und leichtgradigem Autismus befinden. Dazu gehören frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus und das Asperger-Syndrom. Während Kinder mit frühkindlichem Autismus kaum Kontakt zur Mutter oder zu anderen Menschen aufnehmen, spät sprechen lernen, stereotype Bewegungen ausführen und auf Veränderungen panikartig reagieren, führen Kinder mit dem Asperger-Syndrom häufig ein weitgehend normales Leben ‑ sie lernen eher früh zu sprechen, haben einen reichen Wortschatz und zeichnen sich häufig durch eine Teilbegabung aus.
In der Regel vor dem dritten Lebensjahr diagnostiziert
Der frühkindliche Autismus wird in der Regel vor dem dritten Lebensjahr diagnostiziert und auch "Kanner-Autismus" genannt ‑ nach dem Erstbeschreiber Leo Kanner (1943). Das Asperger-Syndrom ist eine relativ "neu" beschriebene Störung ‑ Diagnosekriterien gibt es erst seit 1989 (Attwood 2008). Das Asperger-Syndrom wird von einigen Wissenschaftlern auch mit der "schizoiden Persönlichkeitsstörung" gleichgesetzt (Sucharewa und Sula, 1996). Kontaktscheu, Unsicherheit im Umgang mit Gefühlen, erhöhte Lärmempfindlichkeit und eine gestörte Koordination (Schwierigkeiten im Sportunterricht) gehören dazu. Autismus-Spektrum-Störungen werden in der ICD-10 unter der Kategorie "Frühkindliche Entwicklungsstörungen" (F84) zusammengefasst.
Im Jahr 1966 gab es schätzungsweise 4‑5 autistische Kinder pro 10.000 Geburten. Der Anteil der Kinder mit geistiger Behinderung ist dabei relativ hoch: Etwa 3/4 der Kinder waren in einer Stichprobe aus dem Jahr 1979 geistig behindert (Duketis, 2011). Seit dem Jahr 2000 schätzt man, dass 35‑60 von 10.000 Neugeborenen (0,3‑0,6%) von Autismus betroffen sind. Der Anteil der Kinder mit geistiger Behinderung wird auf 25‑55% geschätzt (Duketis, 2011). Dabei wird nicht eine echte Zunahme der Fälle angenommen, sondern eine verbesserte Diagnostik und eine erhöhte Sensibilität (Duketis 2011). Die genaue Ätiologie ist noch unklar ‑ es werden sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren diskutiert.
Neben Ansätzen der Therapie finden sich auch psychoanalytische Ansätze. Besonders bekannt für die psychoanalytische Therapie autismuskranker Kinder ist die Tavistock-Klinik in London. Hier lehrte auch die britische Kinderanalytikerin Frances Tustin (1913‑1994), deren Arbeiten zur Therapie autistischer Kinder weltweit bekannt wurden. Wer sich für ihre Arbeiten interessiert, dem sei die Website frances-tustin-autism.org empfohlen ‑ außerdem die Internationale Frances-Tustin-Konferenz vom 19.-21.7.2012 in Sydney, Australien: "On Bringing Patients To Life".