War die eigene Praxis früher Ziel, scheinen in schwierigen Zeiten Jobs im Angestelltenverhältnis erstrebenswerter zu sein. Glücklich werden viele damit aber auch nicht – eine verzwickte Situation zwischen freiem Heilberuf und ökonomischen Zwängen.
Dr. Michael Gleau, niedergelassener Zahnarzt und Referent in der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, kennt die Problematik: Viele frisch gebackene Kolleginnen und Kollegen arbeiten einige Zeit im Angestelltenverhältnis, sammeln Erfahrung – und haben im Schnitt nach fünf Jahren die Nase voll. Wenig eigener Gestaltungsspielraum, möglicherweise kommen Spannungen mit Chef oder Chefin noch mit hinzu, und der Wunsch nach einer eigenen Praxis wächst. Allen Unkenrufen zum Trotz rät Gleau im Gespräch mit DocCheck, diesen Schritt zu wagen, wohl überlegt, versteht sich.
Ihr Weg, sein Weg
Momentan entscheiden sich Männer weitaus häufiger für die Existenzgründung als Frauen. Wie die Bundeszahnärztekammer berichtet, waren Anfang November 2011 in Deutschland 20.088 Kolleginnen und 34.595 Kollegen selbständig zahnärztlich tätig. Angestellt sieht das Verhältnis ganz anders aus, hier bohren und füllen 6.514 Frauen sowie 3.775 Männer. Dahinter steckt, dass Zahnärztinnen nach einer Babypause häufiger in Teilzeit arbeiten, was im Angestelltenverhältnis einfacher zu bewerkstelligen ist, etwa in der Praxis des Ehemanns. Jenseits der Patientenversorgung, also beispielsweise in Behörden, herrscht wieder nahezu Gleichverteilung mit 1.337 Kolleginnen und 1.499 Kollegen. Hinzu kommt ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land.
Große Städte, große Praxen
„In urbanen Regionen geht die Tendenz eindeutig in Richtung größerer Zusammenschlüsse“, erzählt Gleau, der sich auch im Zahnärztlichen Bezirksverband München engagiert. Eine zunehmende Feminisierung des Berufsstandes stärkt diese Tendenz: Neben dem Praxisinhaber arbeiten meist noch weitere Angestellte, oftmals Zahnärztinnen, in Teilzeit. Seltener ist die Konstellation, dass mehrere angehende Zahnärzte, die sich etwa im Studium kennengelernt haben, zur Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft entschließen. Die Zusammenarbeit ermöglicht Sprechstunden von frühmorgens bis spätabends, manchmal auch am Wochenende oder versuchsweise von 23 Uhr abends bis sechs Uhr morgens. „So lange Öffnungszeiten sind natürlich ein Mehrwert für die Patienten, aber das geht nur in Großstädten“, sagt Gleau. Er selbst weiß aus eigener Erfahrung, dass bis zu 40 Schmerzgeplagte pro Nacht den zahnärztlichen Notdienst in Anspruch nehmen.
Bohren mit Aussicht
In ländlichen Gebieten sieht die Praxislandschaft anders aus. „Hier sind noch immer Einzelpraxen die Regel. Sie sichern die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung“, sagt Gleau. Viele Standorte haben ihren Reiz, gerade für junge Kollegen, die ihre eigene Existenz aufbauen sowie eine Familie gründen wollen, bezahlbaren Platz gibt es zur Genüge. Gemeinden locken teilweise sogar mit attraktiven Angeboten wie preisgünstigen Immobilien. Auch die Menschen binden sich ganz anders an „ihre“ Praxis. Gleau: „Sie bauen über Jahre Vertrauen zu ihrem Hauszahnarzt auf, sind weniger auf Schnäppchen aus als auf gute Arbeit.“ Hauszahnärzte, sprich Generalisten, lösen von Füllungen über Wurzelbehandlungen bis hin zu Implantaten nahezu jedes zahnmedizinische Problem. Spezialisten sind in größeren Städten hingegen besser aufgehoben.
Arbeit für die Katz´
Die Bereitschaft zur Niederlassung geht jedoch wegen des komplizierten deutschen Kassenarztrechts zurück, und zwar durch Schreckgespenster wie Budgetierung und Degression. „Sie arbeiten fleißig, bohren und füllen. Dann erfahren Sie nach Monaten, dass Sie quasi umsonst gearbeitet haben und einen Teil des Honorars wieder zurückzahlen müssen“, erzählt Gleau. Vor allem bei der AOK kommt es immer wieder zu Budgetüberschreitungen. Dann wird bei dieser Kasse der vertraglich vereinbarte Punktwert außer Kraft gesetzt. Zahnärzte entschlossen sich teilweise, keine AOK-Patienten mehr zu behandeln – juristisch gesehen ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch. Auch besonders Fleißige werden durch das Kassenarztrecht bestraft: Behandeln sie mehr Patienten als der Durchschnitt, hagelt es Honorarabzüge – auch wenn die volle Leistung erbracht wurde, inklusive Zeit und Material. Vor allem Landpraxen mit einem großen Einzugsgebiet sind davon betroffen. Deshalb lautet eine Forderung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, Budgetierung und Degression fallen zu lassen. Kollegen wiederum müssen das Thema bei ihrer Existenzgründung beachten: ein Grund mehr, warum bestehende Praxen mit überschaubarem Patientenstamm häufig Basis der neuen Selbständigkeit sind.
Übernahmen hoch im Kurs
Ende 2011 veröffentlichte das Institut der Deutsche Zahnärzte (IDZ) dazu eine Analyse der Investitionskosten: Übernahmen von Einzelpraxen stehen hoch im Kurs – für diese Form entschieden sich 48 Prozent der Kollegen in den alten und 68 Prozent in den neuen Bundesländern, gefolgt von Berufsausübungsgemeinschaften (West: 33 Prozent, Ost: 22 Prozent). Neugründungen lagen weit abgeschlagen bei 19 (West) beziehungsweise zehn Prozent (Ost). Um die eigene Praxis komplett aufzubauen, war ein durchschnittliches Finanzierungsvolumen von 400.000 Euro (West) erforderlich – wegen geringer Fallzahlen konnten für die neuen Bundesländer keine Daten angegeben werden. Die Übernahme hingegen schlug mit 307.000 (West) und 185.000 Euro (Ost) zu Buche. Auch ein Aspekt der Untersuchung: Frauen investieren vorsichtiger, Männer offensiver.
Alles nur geliehen
Seit der Wirtschaftskrise handeln Banken bei der Finanzierung jedoch vorsichtiger, üblich sind Kredite mit einem Volumen von 350.000 Euro bei Praxis-Neugründungen. Gleau: „Höhere Summen schaffen Sie als Einzelkämpfer nicht, das führt nur in Richtung Burnout.“ Neben den hohen Investitionen gilt mangelndes Wissen in Betriebswirtschaft beziehungsweise Praxismanagement als weiterer Stolperstein. Dafür bieten etwa die Bayerische Landeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns Kurse an, entsprechende Module existieren mittlerweile in vielen Kammerbezirken. Experten rechnen mit gut einem Jahr Vorlaufzeit, um alle offenen Fragen rund um Konzeption, Standortsuche, BWL und Steuerrecht zu klären. Hier unterstützen die Bundeszahnärztekammer, der Bundesverband der zahnmedizinischen Alumni in Deutschland und der Bundesverband der Zahnmedizinstudenten in Deutschland mit ihrem Online-Angebot „Berufskunde2020“. Sie geben Kollegen wertvolle Tipps rund um das Thema Existenzgründung – nach wie vor ein lohnender Schritt.