Fachgesellschaften empfehlen bei Dyslipidämie die „treat to target-Methode“, diese ist mit einer Standarddosis aber nicht zu erreichen. Für Patienten mit einem kardialen Risiko galt ein LDL-Cholesterol-Zielwert von <100 mg/dl. Leitlinien setzen nun strengere Richtwerte fest.
Die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Arteriosklerose (EAS) gehen wesentlich stärker als bisher auf die Bedürfnisse und Risikofaktoren des Patienten ein. Die Zielwerte für das LDL-Cholesterin richten sich nun nach dem so genannten Heart-Score. Das ist die Wahrscheinlichkeit für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten 10 Jahren. Dabei werden die Parameter Alter, Blutdruck, Gesamt-Cholesterin und Nikotinkonsum berücksichtigt. Patienten werden nun in vier Risikoklassen eingeteilt. Die Klasse bestimmt den Zielwert für das LDL-Cholesterin:
Zur Risiko- oder Hochrisikogruppe gehören u.a. Diabetiker, Diabetiker mit Nephropathie sowie bei Zustand nach Herzinfarkt, Schlaganfall oder bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit und/oder Retinopathie.
Für Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Spanien, die Schweiz und Portugal gilt ein „European Low Risk Chart“. Die anderen europäischen Länder orientieren sich hingegen am „European High Risk Chart“. Für Belgien, Deutschland, Griechenland, die Niederlande, Spanien, Schweden und Polen liegen aktualisierte Versionen vor. Zudem gibt es Tabellen, in denen auch der HDL-Cholesterolwert berücksichtigt wird. Der therapeutische Nutzen eines sehr niedrigen LDL-Cholesterin-Spiegels wurde in mehreren Studien belegt.
Besonders bei Patienten mit metabolischen Syndrom und Typ-2-Diabetes steht häufig die Kombination aus hohen Triglyceriden und niedrigem HDL-Cholesterin im Focus. Etwa ein Drittel aller Erwachsenen in Europa haben Triglyceridwerte über 1,7 mmol/l (150 mg/dl). Diese Konstellation, die so genannte “atherogene Dyslipidämie”, gilt als besonders schädlich. Selbst bei normalem LDL-Cholesterin ist das Herz-Kreislauf-Risiko deutlich erhöht. Das non-HDL und Apolipoprotein B ermöglichen eine Abschätzung zur Wirksamkeit der Therapie.
HDL zur Risikoabschätzung wichtig
HDL-Cholesterin ist nun als unabhängiger Risikofaktor aufgewertet worden, die HDL-Messung wird ausdrücklich zur Beurteilung des Gesamtrisikos empfohlen. Ein Therapieziel leitet sich daraus nicht ab. Die neuen Leitlinien zielen besonders auf Patienten mit mittlerem Lebensalter und moderatem Risiko ab. Ein hoher LDL-Cholesterin-Wert trägt bei dieser Zielgruppe zum kardiovaskulären Risiko bei. So kann etwa bei Nichtrauchern, deren Gesamtrisiko im Vergleich zu Gleichaltrigen bis zum Sechsfachen und bei Rauchern sogar bis zum Zwölffachen steigen. Als sekundäres Therapieziel ist das Non-HDL-Cholesterin aufgeführt. Es sollte etwa 30 mg/dl über dem entsprechenden LDL-Ziel liegen. Daraus lässt sich ein Triglycerid-Grenzwert von 150 mg/dl errechnen.
Anspruch und Wirklichkeit
Die neuen Zielwerte sind sehr ambitioniert. Dazu sind hoch dosierte und potente CSE-Hemmer (Statine) notwendig. Leider sind Pharmaka wie Rosuvastatin und Atorvastatin hochpreisig. Eine Therapie mit hohen Dosen, beispielsweise 80 mg Simvastatin, ist nicht ohne Risiko. Die FDA ist der Ansicht, dass eine solch hohe Dosis nur bei Patienten geeignet ist, die Simvastatin über ein Jahr ohne Muskelschmerzen eingenommen haben. Eine Neueinstellung sollte mit geringeren Mengen starten.
Fett runter, Muskel krank
Obwohl Statine ein ausgezeichnetes Wirksamkeits-Sicherheitsprofil aufweisen, kann es zu Muskelsymptomen kommen, die sich bei einigen Patienten zu schweren Muskelschäden ausweiten. Besonders häufig betroffen ist die proximale Muskulatur des Schulter- oder Beckengürtels. Im Anfangsstadium werden die Symptome meist vom Betroffenen bagatellisiert und als harmlose Befindlichkeitsstörungen eingestuft. Klagt ein Patient darüber, dass Tätigkeiten wie Treppensteigen oder bereits das Heben leichter Gegenstände nach der Einnahme eines „neuen“ Medikamentes Probleme bereiten, sollten die Warnglocken schrillen.
Bedeutsam ist, dass sich eine Myopathie in diesen Fällen nicht immer in einer Erhöhung der Creatinkinase (CK) erkennen lässt. Möglich ist eine mitochondriale Dysfunktion, verbunden mit einer abnorm erhöhten Lipidspeicherung in den Typ-1-Fasern. Üblicherweise ist die CK ein Leitenzym, das bei Schädigung der Herz- oder Skelettmuskulatur ansteigt. Symptome einer Fibrat-/Statin-Myopathie sind neben proximalen Muskelschmerzen, Steifigkeitsgefühl, Paresen und brauner Urin. Die Gefahr, durch Lipidsenker eine Rhabdomyolyse zu bekommen, ist extrem selten und liegt im Bereich 1: 1 Million. Vermutlich ist besonders Clofibrat an der Ausbildung von Myopathien beteiligt.
Coenzymmangel als Co-Ursache
Der Pathomechanismus der Statine ist noch nicht vollständig geklärt. Entweder ist der Grund für die myotoxische Wirkung eine Störung des Zellmembranwachstums infolge einer zu starken Cholesterinsenkung oder ein Coenzym-Q-Mangel. Dieses Substrat besitzt vermutlich muskelprotektive Eigenschaften und Statinkonsumenten weisen ein Defizit daran auf. Je größer die Statindosis und je stärker die Lipidsenkung, desto ausgeprägter ist der Muskelschaden. Das Risiko steigt zusätzlich bei Niereninsuffizienz, Hypothyreose und bei gleichzeitiger Einnahme von Zytochrom-P450-Hemmern. Ob die Lipdisenker eine Rhabdomyolyse oder „nur“ eine Myopathie auslösen ist auch davon abhängig, ob zusätzlich Fibrate eingenommen wurden.
Zahlreiche weitere Arzneistoffe aber auch Toxine können Myopathien auslösen. Dazu zählen u.a.
Statine gelten weiter als Mittel der Wahl. Sollten unter dieser Medikation keine ausreichende LDL-Senkung erreicht werden, rät die Leitlinie zu einer Kombinationstherapie mit einem Inhibitor der Cholestinabsorption (Ezetimib), einem Fibrat oder einem Niacin. Die beiden Fachgesellschaften der neuen Leitlinie definieren keine Altersgrenze für die medikamentöse Therapie mehr. Statine könnten auch ältere Patienten vor einem Schlaganfall schützen. Auch postmenopausale Frauen, bei denen das Risiko auf einen Herzkreislauftod größer sei als bei gleichaltrigen Männern, sind meist untertherapiert.
Interaktionen häufig und heftig
Die meisten Statine interagieren mit der Leberenzymgruppe, die auch für den Metabolismus zahlreicher anderer Pharmaka zuständig sind: CYP P 450. Statine, die keinen signifikanten hepatischen Metabolismus via Cytochrom P450-bezogenen Enzymen durchlaufen (Pravastatin, Rosuvastatin oder Pitavastatin) weisen eine geringeres Interaktionspotenzial auf. Gerade bei multimorbiden Patienten mit Polymedikation sollte diesen der Vorzug gegeben werden. Die Interaktion zwischen Makroliden und Statinen wird von der ABDA-Datenbank als schwerwiegend eingestuft. Gewarnt wird vor Myopathien und Rhabdomyolysen. Nach β-Lactamantibiotika und Tetracyclinen sind Makrolide die am dritthäufigsten verordnete Antibiotikagruppe im niedergelassenen Bereich.
Das Risiko für therapiebedingte Muskelerkrankungen steigt mit zunehmender Dosis beziehungsweise Plasmakonzentration. Daher sind interagierende Pharmaka, die den Plasmaspiegel der Statine erhöhen, ein wichtiger Risikofaktor für diese Nebenwirkung. Der häufigste Grund für Interaktionen ist eine Hemmung der metabolisierenden CYP-Enzyme oder eine Beeinflussung der Transportproteine. Sogar ein relativ schwacher CYP3A4-Inhibitor wie Diltiazem kann eine Erhöhung der Plasmaspiegel um das Vier- bis Sechsfache verursachen.
Simvastatin, Lovastatin und Atorvastatin werden hauptsächlich über Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 (CYP3A4) verstoffwechselt. Eine Ausnahme bildet Pravastatin. Es wird gar nicht durch die Cytochrome-P450-Familie metabolisiert. Deshalb weist dieses Statin ein vergleichsweise geringeres Interaktionsrisiko auf. Clarithromycin gehört zu den Antibiotika mit den meisten und gefährlichsten Interaktionen. Unter ihm steigt auch der Plasmaspiegel von Pravastatin um 100 Prozent! Für die Beurteilung des Interaktionsrisikos zwischen Makroliden und Statinen reicht nicht eine Betrachtung beider Gruppen. Jede Einzelsubstanz beider Gruppen hat ein unterschiedliches kinetisches und dynamisches Profil und damit ein unterschiedliches Risiko. Die Interaktionen von Statinen und gewissen Antibiotika sind hinlänglich bekannt und publiziert. Dennoch erhielten im Jahr 2006 nach einer Analyse des Deutschen Arzneiprüfinstituts (DAPI) 2 bis 3 Prozent der zulasten der GKV mit Simvastatin behandelten Patienten (75.000 bis 80.000 Betroffene) parallel Clarithromycin. Das Makrolid Azithromycin hemmt CYP3A4 nicht, das macht es zu einer Alternative auf Antibiotikaseite.
Neben den Makroliden können andere CYP3A4-Hemmstoffe zu klinisch relevanten Interaktionen führen: Azolantimykotika, Fibrate, Verapamil, HIV-Proteasehemmstoffe, der Reverse-Transkriptase-Inhibitor Delavirdin, das Immunsuppressivum Ciclosporin, das Antidepressivum Nefazodon, das Antiarrhythmikum Amiodaron sowie weitere Pharmaka.
Fett runter, Zucker hoch?
Neben dem Risiko für Muskelschäden und Arzneimittelinteraktionen postulieren einige Arbeiten eine Risikosteigerung für Diabetes. Eine 2010 im LANCET veröffentlichte Studienübersicht beschrieb, dass eine Statintherapie das Diabetesrisiko relativ um neun Prozent steigert. Absolut betrachtet war das Risiko jedoch niedrig, in der Bilanz überwog klar die deutliche Reduktion von Koronarereignissen. Auch in einer Nachevaluation der Women's Health Initiative (WHI)-Studie stieg unter einer Statintherapie das Diabetesrisiko deutlich an. Weitere Studien müssen hier Klarheit bringen.
Neben Statinen und Fibraten spielen auch Ezetimib, Nicotinsäure, Niacin und Omega-3-Fettsäuren eine Rolle in der Therapie. Die neuen Leitlinien schaffen mehr Transparenz für eine differenzierte, patientenbezogene Therapie. Die Praxis muss zeigen, ob es realistisch ist, die gesetzten Zielwerte zu erreichen.