Sie sind sprichwörtlich in aller Munde, die elektrischen Glimmstängel. Wirklich ein Genuss ohne Reue? Experten streiten nach wie vor mit Leidenschaft über mögliche Gefahren, und Gerichte müssen sich mit der Zulassung befassen.
Von vielen Rauchern schon als „Zigarette 2.0“ gepriesen, gibt es für die kleinen Hightech-Nikotinvernebler nunmehr Kartuschen, sprich Liquids, in etlichen Geschmacksrichtungen. Deutschland gilt als interessanter Markt – mit schätzungsweise zwei Millionen Konsumenten, Tendenz steigend. Sie alle schätzen die Vorteile gegenüber echten Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen: keine krebserregenden Verbrennungsprodukte und kein Gestank. Allerdings gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu bedenken, Gefahren für Konsumenten und Dritte seien derzeit nicht auszuschließen: „Angesichts eines großen und wachsenden Produktspektrums an Liquids für E-Zigaretten ist nicht im Detail bekannt, was ein E-Raucher im konkreten Fall tatsächlich inhaliert beziehungsweise ausatmet, und mit welchen Schadstoffen die Atemluft belastet wird.“
Experten im Clinch
In einer aktuellen Mitteilung haben BfR-Wissenschaftler wichtige Inhaltsstoffe unter die Lupe genommen: Nikotin, Verneblungsmittel wie Propylenglykol sowie Aromastoffe, hier sind beispielsweise Vanilleextrakte, Linalool oder Menthol zu nennen. Bereits Anfang des Jahres wurde eine Untersuchung veröffentlicht, die gesundheitliche Folgen für E-Raucher nicht ausschließt. Forscher fanden im Dampf mehrere Aldehyde, etwa Acrolein, Formaldehyd und Acetaldehyd. Darauf hieß es vom Verband des eZigarettenhandels, es seien elektrische Zigaretten analysiert worden, die anstelle heute üblicher Aromaliquids eine Tabakmischung erhitzten. Ein weiterer Disput: Zur Bewertung des Verneblungsmittels Propylenglykol werden vor allem subchronische Inhalationen im Tierversuch als Vergleich herangezogen, bei denen sich das Blutbild veränderte. Pneumologen hingegen warnen, empfindliche Menschen können mit Reizungen reagieren. Im Experiment verengten sich außerdem bereits nach wenigen Zügen die Atemwege. Erneut hagelte es Kritik: „Das BfR zitiert trotz massiver Einwände von Experten eine methodisch fragwürdige Studie über die angebliche Atemwegsreizung durch Propylenglykol, ignoriert aber alle positiven Studien ebenso wie Daten, die belegen, dass mehr als 98 Prozent des inhalierten Nikotins in der Lunge verbleiben, sodass eine Gefährdung von Dritten ausgeschlossen werden kann“, sagt Professor Dr. Bernhard-Michael Mayer von der Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Graz. US-Forscher bemängeln ebenfalls einseitige Diskussionen über mögliche Schäden, ohne den potenziellen Nutzen zu berücksichtigen.
Nur in Raucherzonen
Da nach jetzigem Wissensstand eine Gefährdung aber nicht auszuschließen ist und Konsumenten zudem Emissionen abgeben, in welcher Menge auch immer, plädiert BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel dafür, E-Zigaretten nur in Raucherbereichen zu gestatten, um andere Menschen nicht durch Passivrauchen zu gefährden. Eine Forderung, die beim Verband des eZigarettenhandels auf Kritik stößt: Gerade Ex-Raucher würden so erneut dem gesundheitsschädlichen Tabakrauch ausgesetzt. „Dieses Risiko wird vom BfR in grob fahrlässiger Weise missachtet“, heißt es. Doch auch ein anderer Weg ist denkbar: In einer Stellungnahme befürchten BfR-Wissenschaftler, Vernebler könnten sogar eine Nikotinsucht auslösen und damit den Einstieg hin zum konventionellen Tabakkonsum fördern, etwa bei jugendlichen Nichtrauchern. Dem gegenüber stehen US-Arbeiten: Wissenschaftler der University of California, Berkeley, und der Boston University School of Public Health bescheinigen Elektro-Glimmstängeln gewaltige Potenziale im Kampf gegen tabakbedingte Morbidität und Mortalität – schließlich fehlen krebserregende Aromaten beziehungsweise Kohlenmonoxid. So oder so, Langzeitstudien ohne Interessenskonflikt gibt es bis dato nicht, und damit bleiben viele pharmakologische beziehungsweise toxikologische Fragen offen. Auch juristisch sind die Hightech-Zigaretten ein heißes Eisen.
Arzneimittel oder Tabakerzeugnis?
Aus Berlin kommen dazu deutliche Worte: „Nach Auffassung der Bundesregierung unterfallen die für den Betrieb der E-Zigarette bestimmten Nikotintanks oder -liquids aufgrund der pharmakologischen Wirkung des Stoffes Nikotin dem Arzneimittelgesetz. (…) Nach überwiegender Auffassung handelt es sich bei diesen Nikotinprodukten nicht um Tabakerzeugnisse.“ Wer also mit Nikotinzubereitungen ohne arzneimittelrechtliche Zulassung handelt, verstößt klar gegen das Arzneimittelgesetz. Als Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei stellt die Regierung aber klar, ausschließlich Landesbehörden hätten tabak-, arzneimittel- und medizinprodukterechtliche Vorschriften zu überwachen.
Föderalismus-Chaos
Das lassen sich diese nicht zwei Mal sagen: Anfang Dezember warnte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) vor möglichen Folgen und stellte klar, „der Handel und der Verkauf von E-Zigaretten sowie von liquidhaltigen Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-Zigaretten sind, sofern die arzneimittel- und medizinproduktrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden, gesetzlich verboten“. Niedersachsen beziehungsweise Hessen schlossen sich dieser Einschätzung an und beschlagnahmten massenweise Nikotin-Liquids. In über 30 Fällen kam es zur Anklage gegen Händler – wegen des unerlaubten Handels mit Arzneimitteln. Vor Gericht wendete sich das Blatt aber rasch.
Justitia hat Bedenken
Juristen am Oberverwaltungsgericht in Münster kamen zu dem Schluss, weder E-Zigaretten noch Kartuschen seien als Medizinprodukte oder Arzneimittel zu bewerten. Schließlich sahen sie Forderungen des Arzneimittelgesetzes, Präparate müssten „zur Anwendung im oder am menschlichen (…) Körper“ bestimmt sein beziehungsweise „als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden“ verwendet werden, nicht erfüllt – Elektrozigaretten seien eben reine Genussmittel. Doch es gibt bekanntlich nicht nur Funktionsarzneimittel, eine Klassifikation als Präsentationsarzneimittel wäre denkbar. Darunter fallen Stoffe mit der Eigenschaft, „physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen“, also auch Nikotin. Nach dem Urteil darf NRW zwar weiter warnen – aber ohne Hinweis auf illegale Machenschaften.
Ausgang offen
Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erging es nicht anders: Nachdem nikotinhaltige E-Zigaretten als Arzneimittel bewertet wurden, zogen Hersteller vor den Kadi. Auch das Kölner Verwaltungsgericht stellte fest, hier keine arzneimittelrechtlichen Vorschriften anzuwenden. Gegen diese Entscheidung wird das BfArM zwar Berufung einlegen, hinsichtlich toxikologischer Fragen sind jedoch bessere Studien erforderlich.