Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass deutschen Medizinstudierenden während des Studiums zu wenige Kompetenzen zur Erkennung und Therapie von Suchterkrankungen vermittelt werden. Dazu wurden ca. 20.000 Studierende aus 27 deutschen Medizinfakultäten befragt.
Suchterkrankungen spielen in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Schätzungsweise 5 bis 7 Prozent der deutschen Bevölkerung sind abhängig. Dabei kommt der Alkoholabhängigkeit mit über 1,6 Millionen Betroffenen die größte Bedeutung zu. Aber auch Tabak- und Medikamentenabhängigkeit werden immer relevanter. Die Folgen der Sucht sind für die Betroffenen auf körperlicher und psychischer Ebene sehr schwer zu verkraften und führen oftmals zu einem verfrühten Tod. So sterben in Deutschland jährlich ca. 40.000 Einwohner an den Folgen von Alkoholmissbrauch und über 130.000 Bürger fallen dem Rauchen zum Opfer. Seriöse Schätzungen beziffern den volkswirtschaftlichen Schaden von Alkoholabhängigkeit auf über 25 Milliarden Euro jährlich. Tabakabhängigkeit kostet die Gesellschaft sogar mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr. Studierende fühlen sich nicht kompetent genug So scheint es angesichts dieser Fakten logisch, dass Suchterkrankungen einen angemessenen Stellenwert in der deutschen Ärzteausbildung einnehmen sollten. Eine neue internationale Studie, an der unter anderem Wissenschaftler der Charité Berlin, der Uniklinik Göttingen sowie des University College London beteiligt waren, kommt jedoch zu einem gegenteiligen Ergebnis. Demnach werden im gesamten Medizinstudium aktuell nur etwa 2 Unterrichtsstunden der Tabakabhängigkeit und 3 Unterrichtsstunden dem Alkoholismus gewidmet, was dazu führt, dass sich am Ende der Ausbildung die Mehrheit der Studierenden nicht ausreichend über Suchterkrankungen informiert fühlt. Beispielsweise gab nur rund ein Drittel der Studierenden an, die Folgeerkrankungen der Alkoholabhängigkeit zu kennen und nicht einmal jeder Zwanzigste fühlte sich sicher genug, eine Raucherberatung durchzuführen. Die Mehrheit möchte im Studium jedoch mehr über Süchte wie die Alkohol- und Tabakabhängigkeit erfahren. Suchterkrankungen so relevant wie Diabetes Der Leiter der Studie, Dr. Tobias Raupach, ist der Meinung, dass das Ergebnis politische Tragweite haben wird. Denn Suchterkrankungen verursachen ähnlich hohe Kosten wie z.B. Diabetes mellitus, werden jedoch im Vergleich zu bekannten Volkskrankheiten kaum im Studium berücksichtigt. „Ärztinnen und Ärzte sehen ihre Hauptaufgabe häufig in der Verschreibung von Medikamenten und in der Durchführung diagnostischer und therapeutischer Prozeduren“, so Raupach. Dabei trete nach Raupach das ausführliche Gespräch mit dem Patienten in den Hintergrund, obwohl es ein entscheidendes Element in der Erkennung und Behandlung von Suchterkrankungen sei. Charité gibt den Weg vor In Zukunft könnte sich durch die Ergebnisse der Studie der Fokus auf Suchterkrankungen im Medizinstudium grundlegend ändern. Die Charité Universitätsmedizin Berlin geht hier bereits mit gutem Beispiel voran. Als im Jahr 2010 der neue Modellstudiengang startete, legte man bei der Planung des Curriculums großen Wert auf Suchterkrankungen und Suchtprävention. „Bereits im zweiten Semester vermittelt das Modul 'Mensch und Gesellschaft' erste Grundlagen der Sucht“, erklärt Prof. Dr. Claudia Spies, Prodekanin für Studium und Lehre der Charité. Im späteren Teil des Studiums werden die Studenten daraufhin im praktischen Umgang mit Suchtpatienten geschult. Das Seminar "Kommunikation, Interaktion, Teamarbeit" (KIT) bietet mit der Durchführung und Analyse von Simulationspatienten-Gesprächen dabei eine entscheidende Grundlage.