Orthopäden diskutieren seit längerer Zeit kontrovers, welche Strategie bei altersbedingten Wirbelkörperfrakturen den größtmöglichen Nutzen bringt. Jetzt zeigen neue Studien: Von einer Kyphoplastie könnten viele Patienten profitieren.
Während in jüngeren Jahren Wirbelbrüche nur als Folge von Unfällen auftreten, häufen sich mit zunehmendem Alter Frakturen durch Abnutzungserscheinungen des Knochens. Pro Jahr kommen europaweit mehr als 400.000 neue Fälle neu hinzu – bis 2050 rechnen Experten sogar mit einer Verdopplung dieser Zahl, inklusive exorbitanter Kosten für das Gesundheitssystem. Bei 75 Prozent der Patienten steckt Osteoporose dahinter – und Frakturen, teilweise in mehreren Bereichen der Wirbelsäule, entstehen ohne erkennbare Auslöser. Über die Behandlung streiten Kollegen: Macht eine Vertebroplastie Sinn gegenüber konservativen Verfahren? Konservativ im Korsett Nach entsprechender Diagnostik versuchen Orthopäden meist an erster Stelle den klassischen Weg: Analgesie mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Paracetamol, Metamizol beziehungsweise Opioiden. Bei älteren Menschen ist dieses Vorgehen durchaus umstritten – einerseits arbeiten Leber und Niere nicht mehr mit voller Leistung, andererseits können gerade Opioide das Sturzrisiko drastisch erhöhen. Damit wird die an sich preisgünstige Arzneimitteltherapie medizinisch und gesundheitsökonomisch schnell zum Vabanque-Spiel. Als physikalische Maßnahme fertigen Orthopädietechniker spezielle Stützhilfen an, sogenannte Orthesen, um die Wirbelsäule zu entlasten. Jetzt zeigte eine Untersuchung, dass bei Rumpforthesen die Muskelkraft in 72 Prozent der Fälle wieder deutlich gesteigert werden konnte, auch verbesserte sich die Haltung bei 44 Prozent, und Schmerzen gingen im Schnitt um 41 Prozent zurück – vergleichsweise mager. Klagen Patienten nach wie vor über Beschwerden, muss ein weiteres Zusammensintern des Wirbelkörpers verhindert werden – so viel zur Theorie. Allerdings sieht die Realität meist anders aus: Viele Senioren werden in der Regel sechs Wochen nach klassischem Regime therapiert, erhalten jedoch keine weitere Behandlung. Dabei existieren durchaus erprobte Mittel und Wege, um den Schmerz zu beseitigen sowie stabilisierend einzugreifen. Zementmischer im OP Bereits früh versuchten Chirurgen, Wirbelkörper mit Zement, genau genommen verstecken sich hinter dem Begriff organische Kunstharze auf Basis von Polymethylmethacrylat (PMMA), zu füllen. Bei Vertebroplastien wurde ursprünglich Knochenzement direkt über eine Hohlnadel in den geschädigten Wirbelkörper gespritzt. Wie eine prospektive Studie mit 1.188 Patienten beweisen konnte, linderte das Verfahren Schmerzen schnell und effektiv, eine Verbesserung zeigte sich noch bis zu sechs Montane nach dem Eingriff. Auch der Analgetikabedarf verringerte sich drastisch, wichtig bei entsprechenden Vorerkrankungen. Davon ausgehend, haben Chirurgen das Verfahren weiter optimiert. Ballons und Radiowellen Bei der Ballon-Kyphoplastie bringen Kollegen über Zugänge aufblasbare Hüllen in den Wirbelkörper ein. Mit Röntgenkontrastmittel gedehnt, entsteht ein Hohlraum – allerdings zu dem Preis, dass viel körpereigene Substanz verdrängt wird, inklusive intakter Strukturen. Neueren Techniken wie der Radiofrequenz-Kyphoplastie hingegen erhalten weitaus mehr Substanz: Anstelle einer großen Kavität legen Chirurgen nur noch kleine Bahnen an und pressen hoch viskose Füllmasse ein, durch Radiowellen wird die richtige Konsistenz erzeugt. Entsprechende Harze verbinden sich gut mit körpereigenem Material und richten den Wirbelkörper auf. Geschieht dies im Gegensatz zur ursprünglichen Methode nur mit niedrigem Druck, tritt auch weniger Füllmaterial aus. Das Risiko etwaiger Schäden im Körper, vor allem Embolien, verringert sich, und 70 bis 80 Prozent der Behandelten haben nach dem Eingriff keine Rückenschmerzen mehr. Wirklich ein Nutzen? Darauf verweist auch der Dachverband Osteologie (DVO) in seiner Leitlinie. Andererseits kritisieren Autoren des Papiers, Effekte von Kypho- beziehungsweise Vertebroplastien kämen einer Scheinoperation nahe, was randomisierte, kontrollierte Studien aus 2009 gezeigt hätten. Folglich lautet die DVO-Empfehlung, schmerzhafte Wirbelkörperfrakturen nur nach „dokumentiertem konservativen Therapieversuch über drei Wochen, Berücksichtigung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen als Beschwerdeursache sowie dokumentierter, interdisziplinärer, gutachterlicher Einzelfalldiskussion“ entsprechend zu behandeln. Diese Meinung vertreten bei Leibe nicht alle Orthopäden. Schmerzfrei – aber schnell Jetzt sorgt eine neue Untersuchung für Aufsehen: Rahel Bornemann vom Uniklinikum Bonn bewertet zusammen mit Kollegen konservative Behandlungsansätze zu Beginn der Therapie als wirkungslos: Nur ein Patient von 65 Untersuchten profitierte kurzfristig – äußerte nach sechs Wochen jedoch ebenfalls den Wunsch nach chirurgischer Behandlung. Alle anderen hatten weiterhin Schmerzen. Drei Monate später zeigte die konservative Behandlung zwar weitere Fortschritte, blieb aber ein Glücksspiel: Fünf von 38 Patienten ging es besser, wovon zwei ebenfalls unter das Messer wollten. Daraus folgert Bornemann, eine konservative Behandlung käme allenfalls für Patienten infrage, die entsprechende Präferenzen hätten. Dann zur alternativen Methode: 33 Studienteilnehmern wurden mit der Radiofrequenz-Kyphoplastie behandelt. Bei 31 Befragten ging der Schmerz signifikant zurück, auch die Beweglichkeit verbesserte sich. Zu ähnlichen Resultaten kam eine US-amerikanische Studie mit 300 Patienten, von denen sich 149 einer Ballon-Kyphoplastie unterzogen, während 151 keine chirurgische Behandlung erhielten. Nach 24 Monaten hatten sich in der OP-Gruppe vor allem die Schmerzen signifikant verringert. „Unterschied wie Tag und Nacht“ Dennoch gibt es Grenzen: „Die Studie konnte nicht erhellen, welche Patienten sich besonders für eine chirurgische Behandlung eignen“, so Rahel Bornemann und Kollegen in dem Fachartikel. Auch ließen sich keine prognostischen Parameter ermitteln, ob lediglich bestimmte Untergruppen von der konservativen Behandlung oder von der Kyphoplastie besonders profitieren. Als möglicher Grund sind neben kleinen Patientenkollektiven die hohen Erfolgsquoten zu nennen – ein „Unterschied wie Tag und Nacht“. Zusammen mit diesen Ergebnissen und älteren Literaturarbeiten scheine es nur schwer verständlich, warum Patienten wochenlang Schmerzen erleiden müssen, bevor der „schnelle und effektive Eingriff“ erfolge. Größere Untersuchungen zur Langzeitstabilität entsprechend präparierter Wirbelkörper fehlen allerdings noch.