Das Schmallenberg-Virus sorgte für Aufsehen, in Windeseile untersuchten Forscher Eigenschaften des neuen Pathogens. Ihr Fazit: Entwarnung, Menschen werden nicht infiziert. Ein Monitoring stark exponierter Personen ist dennoch sinnvoll.
Es begann eigentlich recht harmlos: Bei adulten Schafen, Ziegen und Kühen traten kurze, fiebrige Infekte auf, die Tiere wirkten etwas schlapp, hatten leichten Durchfall und gaben weniger Milch. Kein Grund zur Besorgnis, dachten Veterinäre anfangs. Monate später, die Tragezeit von Schafen liegt bei 150 Tagen, kamen missgebildete Lämmer zur Welt. Nicht nur Gliedmaßen waren betroffen, bei den Tieren traten Schäden am zentralen Nervensystem auf, manche Gehirnregionen fehlten. Die Lämmer lebten nur wenige Minuten, und Totgeburten häuften sich – erwachsene Tiere blieben jedoch frisch und munter. Umgehend begann eine molekulare Spurensuche.
Schmallenberg in den Schlagzeilen
Wissenschaftler identifizierten bald darauf ein neues Virus, das große Ähnlichkeiten mit Orthobunyaviren der Simbu-Serogruppe aufwies, zu der auch das Aino-Virus, das Akabane-Virus und das Shamonda-Virus gehören. Da erste Befunde aus dem sauerländischen Schmallenberg kamen, stand der Name schnell fest – sehr zum Ärger der Einwohnerschaft. Schnell zog die Krankheit weite Kreise: „Waren bislang nur Schafhaltungen betroffen, gehen derzeit auch die Zahlen bei Rinderbetrieben nach oben“, so Elke Reinking vom Friedrich-Loeffler-Institut. Das hat seinen Grund: Bei einer Tragezeit von 270 Tagen fielen Missbildungen erst zeitverzögert auf. Verbraucher waren in Sorge, gleichzeitig stieg die Zahl infizierter Bestände immer weiter an.
Ostern ohne Lamm?
Trotz der anfänglichen Panik konnten Virologen aber schnell Entwarnung geben: Die bekannten Desinfektionsmittel zeigen auch beim Schmallenberg-Virus Wirkung, und Temperaturen ab 56 Grad töten das neue Pathogen ebenfalls zuverlässig ab. Gut durchgegart musste niemand auf seinen Lammbraten verzichten – das Ostergeschäft litt dementsprechend nur wenig, allerdings wurden mancherorts Jungtiere zur Mangelware: Rund 1.200 Betriebe sind hier zu Lande mittlerweile infiziert. Wie konnte das passieren?
Blinde Passagiere
Wissenschaftlern des Institute for Tropical Medicine in Antwerpen, Belgien, ist es kurz darauf gelungen, den Übertragungsweg zu entschlüsseln. Im Rahmen eines langfristigen Monitorings machten sie mit Insektenfallen in Tierstallungen Jagd auf stechende Plagegeister. Dort fanden sich auch die Vektoren: verschiedene Gnitzenarten, welche schon vor Jahren die Blauzungenkrankheit übertragen haben. Sie waren auch mit Schmallenberg-Viren kontaminiert. Um die weitere Ausbreitung besser zu kontrollieren, hat sich der Bundesrat jetzt zu einer amtlichen Meldepflicht durchgerungen. Mit der entsprechenden Rechtsgrundlage werden alle Leiter von Labors verpflichtet, nachgewiesene Virusinfektionen zu melden. Bereits davor habe es laut Bundesverbraucherschutzministerium jedoch eine entsprechende Praxis der Veterinärverwaltung gegeben. Dennoch ist das Schmallenberg-Virus längst ein europäisches Thema geworden, auch in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Spanien und die Niederlande sind mittlerweile betroffen. Ilse Aigner (CSU), Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, versucht mittlerweile, auch im EU-Agrarrat eine länderübergreifende Meldepflicht durchzusetzen. Dabei geht es ihr nicht nur um Seuchenschutz – vielmehr wäre ein entsprechendes Papier auch Voraussetzung, um Landwirte und Viehzüchter entschädigen zu können. Ob diese Risikogruppen mit intensivem Kontakt zu Tieren und Fleischprodukten auch erkranken, war anfangs unklar – entfernte Verwandte des Schmallenberg-Virus haben durchaus humanpathogene Eigenschaften.
Schäfer im Labor
Deshalb ließen sich 60 Schäfer und ein Rinderzüchter mit modernster Diagnostik im Robert-Koch-Institut (RKI) untersuchen. Trotz des intensiven Kontakts zu Vierbeinern traten keine Infektionen auf, so das Resultat. Antikörper ließen sich jedenfalls nicht nachweisen. Bei Personen mit unklarer Symptomatik wie leichtem Fieber fahndeten die Forscher auch nach viralen Genen – ohne Erfolg. RKI-Präsident Reinhard Burger ist sich deshalb auch sicher, „dass das neue Virus bei Menschen mit viel Erregerkontakt nicht zu einer Infektion geführt hat“. Und Andreas Nitsche beziehungsweise Hendrik Wilking, die entsprechende Arbeiten durchgeführt hatten, ergänzen: „In der vorliegenden Studie haben wir keine Evidenz für humane Infektionen mit dem SBV gefunden, obwohl eine große Zahl an Personen signifikant gegenüber den betroffenen Schafen, Lämmern und Geburtsprodukten exponiert war und von Mücken gestochen worden waren“. Elektronenmikroskopische Bilder bestätigen auch dessen Ähnlichkeit mit Orthobunyaviren, viele Mitglieder dieser Familie sind für Menschen harmlos. Ganz ausschließen lässt sich eine Gefährdung aber nicht.
Entwarnung – vorerst
Für deutsche Verhältnisse ist die Zahl der Personen, die als Risikogruppe infrage kommt und jetzt stichprobenartig untersucht wurde, relativ hoch – Mensch und Nutztier gehen hier zu Lande ansonsten eher getrennte Wege. Dennoch Entwarnung: Sehr seltene Infektionsereignisse könne man mit der Studie nicht erfassen, heißt es vom RKI. Virologen am Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) äußert sich ebenfalls vorsichtig: Aufgrund der genetischen Nähe zu Shamonda-, Aino- und Akabane-Viren rechnet auch hier niemand mit einer akuten Bedrohung. Allerdings weisen die Forscher auf mindestens 30 Orthobunyaviren hin, die Zoonosen auslösen. Dazu gehören etwa das La Crosse-Enzephalitis-Virus, das Kalifornien-Enzephalitis-Virus, das Tahyna-Virus, das Batai-Virus und viele mehr. Ein Erbgut-Mix, sprich Reassortment, ist ebenfalls nicht auszuschließen – innerhalb von genetisch entfernt verwandten Hantaviren wurden entsprechende Prozesse bereits in der Natur nachgewiesen. Umso wichtiger sind jetzt verlässliche Tests und langfristige Strategien.
Sicherheit durch Antikörper und Impfungen
Bei Tieren waren bis dato ausschließlich Real-Time-PCR-Tests möglich, diese identifizieren virales Erbgut. Allerdings bleiben dafür als Zeitfenster gerade einmal sieben Tage – nur während der akuten Krankheitsphase sind Nukleinsäuren im Blut vorhanden. Erwachsene Tiere werden immun, was eine französische Firma auf den Plan rief: ID.vet hat jetzt einen ELISA-Test entwickelt, der vorhandene Antikörper im Blut nachweist. Derzeit prüfen Forscher am Friedrich-Loeffler-Institut die Methode. Sollte alles glatt laufen, ist mit einer Zulassung in wenigen Wochen zu rechnen – zwar für die Veterinärmedizin, das Verfahren eignet sich generell auch für Screenings in der Humanmedizin. Langfristig hilft den tierischen Patienten nur ein Impfstoff, an dem gerade gearbeitet wird. Die Forschung konzentriert sich hier auf inaktivierte Stämme, die zusammen mit Boostern zum Einsatz kommen sollen – voraussichtliche Marktreife frühestens 2013.