Die Entstehung von Allergien und Autoimmunerkrankungen ist direkt an eine Fehlregulation des Immunsystems gekoppelt. Mit Wurmparasiten ist es gelungen, die relevanten Immunzellen umzuprogrammieren und damit die Fehlsteuerung abzufangen.
Wie das Immunsystem auf ein Antigen reagiert, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Art und Menge des Antigens sind ebenso entscheidend, wie die Art und Weise der Antigenpräsentation und das Zytokin-Muster, das von Zellen freigesetzt wird, die an der Immunantwort beteiligt sind. Für eine adäquate Reaktion des Immunsystems ist auch die Stimulation unterschiedlicher T-Zell-Subpopulationen von Bedeutung. T-Helferzellen des Typs Th1 sind für die Abwehr intrazellulärer Infekte wichtig, die durch Viren, Bakterien wie Chlamydien oder Mykobakterien, Pilze oder auch bei der Entstehung von Tumoren ausgelöst werden. Doch sie spielen auch als entzündungsfördernde Zellen bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose (MS), Diabetes Typ I oder Collagen-induzierter Arthritis eine Rolle. Th1-Zellen aktivieren Makrophagen so, dass diese stark antimikrobiell wirken.
Th2-Helferzellen sind wichtig für die Abwehr extrazellulärer Bakterien. Sie sezernieren die Zytokine Interleukin 4 (IL-4) und 5 (IL-5), was wiederum die Bildung von B-Lymphozyten bzw. Plasmazellen und Antikörpern fördert. Die Bildung von Th2-Zellen erfolgt bei extrazellulären parasitären (z.B. Wurminfektionen) und bakteriellen Infektionen; eine überschießende Th2-Reaktion kann aber auch allergische Erkrankungen begünstigen. Th2-Zellen schütten Botenstoffe aus, die einen hemmenden Einfluss auf Th1- und Th17-vermittelte Immunreaktionen haben.
Vor einigen Jahren wurde ein weiterer Subtyp von T-Helferzellen entdeckt: Th17. Diese Zellen spielen, wie auch Th1-Zellen, bei bakteriellen und viralen Infektionen, entzündungsfördernden Vorgängen und damit Autoimmunerkrankungen eine Rolle, wenngleich die Differenzierung aufgrund eines anderen Zytokincocktails erfolgt als bei Th1-Zellen. Th17-Zellen wurden bereits im zentralen Nervensystem bei MS-Patienten entdeckt und sind vermutlich für das Fortschreiten der Erkrankung verantwortlich.
Ein Wurm programmiert T-Helferzellen
Da sowohl Autoimmunerkrankungen als aus Allergien eine fehlerhafte Regulation der Immunreaktion zu Grunde liegt, fragt sich die Forschergemeinschaft, ob ausdifferenzierte T-Helferzellen nochmals umprogrammiert werden könnten, um ein Ungleichgewicht zu beseitigen und damit Therapien zu entwickeln. Wissenschaftler um Prof. Dr. David Vöhringer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg haben nun herausgefunden, dass die für Autoimmunprozesse verantwortlichen Th1- und Th17-Zellen tatsächlich zu Th2-Zellen umprogrammiert werden können. Das gelang den Forschern, wenn Mäuse mit dem Wurmparasiten Nippostrongylus brasiliensis infiziert wurden. „Damit ist uns erstmals ein konkreter Nachweis dafür gelungen, dass Wurmparasiten einen positiven Effekt auf die Umprogrammierung von T-Zellen und damit auf unser Immunsystem haben“, sagt Prof. Vöhringer. Hinter dieser Idee steht die Beobachtung, dass in Ländern mit geringen Hygienestandards Autoimmunkrankheiten und Allergien seltener auftreten. Auch die so genannte Hygienehypothese basiert auf dieser Feststellung. Die Umprogrammierung zu Th2-Zellen hat zur Folge, dass nachgeschaltete positive Effekte der Th-2-Immunreaktion zum Tragen kommen. So wird durch die Freisetzung bestimmter Effektormoleküle das Immunsystem etwas unterdrückt, was das inflammatorische Geschehen mildert.
In den USA gibt es eine zugelassene Therapie (DocCheck berichtete) mit dem bei Schweinen auftretenden Fadenwurm Trichuris suis, die bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa eingesetzt wird. Durch diese „Beschäftigungstherapie“ für das Immunsystem gehen die entzündlichen Vorgänge zurück, möglicherweise, weil eine Umprogrammierung von Th1- oder Th17-Zellen zu Th2-Zellen stattgefunden hat. Die pharmazeutische Industrie ist auf der Suche nach den Substanzen aus dem Wurm, welche für die Plastizität der T-Zell-Subpopulationen verantwortlich sind. Bislang ist aber noch kein heißer Kandidat gefunden worden. Auch wenn die Behandlung mit Wurmeiern befremdlich wirkt, so scheint sie doch gewisse Vorzüge gegen medikamentöse Behandlung, z.B., mit Kortison zu haben: es treten weniger schwere Nebenwirkungen auf.
Bau Dir Deinen Impfstoff
Die Th17-Zellen stehen auch im Fokus eines anderen Ansatzes. Die Arbeitsgruppe „Impfstoffforschung“ von Prof. Carlos A. Guzmán am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig hat eine Substanz entdeckt, welche die Aktivität der Th17-Zellen gezielt hemmen kann, während andere Immunzellen angeregt werden. Die Substanz Alpha-GalCerPEG könnte als so genanntes Adjuvans in Impfstoffen eingesetzt werden. Über den Sinn und die Verträglichkeit von Adjuvantien wird zwar immer wieder diskutiert, doch Prof Guzmán erklärt, warum sie notwendig sind: Mit Adjuvantien in Impfstoffen werden (im Vergleich zu keinem Adjuvans) eine stärkere Immunantwort hervorgerufen, die Immunantwort erfolgt schneller, es wird eher eine Langzeitimmunität induziert und weniger Antigen wird benötigt. Zugleich ist das Ziel des Leiters der Abteilung Impfstoffforschung, Vakzine routinemäßig als Nasenspray oder auf anderen einfachen mukosalen Anwendungswegen zu verabreichen.
Das ist besonders bei Erregern sinnvoll, die über die Schleimhäute in den Körper eindringen. Denn eine parenterale Verabreichung hat unter anderem den Nachteil, dass zwar die Krankheit also die Symptome verhindert werden, nicht aber die Infektion. Daher besteht die Möglichkeit, dass beispielsweise eine gegen Influenza geimpfte Person bei einer Infektion mit Influenzaviren dennoch als Überträger fungieren kann, wie Prof. Guzmán erläutert. Bei mukosaler Verabreichung erfolgt auch direkt am natürlichen Eintrittsort der Erreger eine Immunreaktion. Prof. Guzmáns Team möchte eine Art Impfstoff-Baukastensystem entwickeln, das es ermöglicht, Impfstoffe spezifisch auf den Erreger abzustimmen: ist eine Stimulierung der Th17-induzierten Immunantwort sinnvoll, dann ist die Zusammensetzung anders, als wenn vor allem das Th2-System angeregt werden soll. In dem Baukasten wären verschiedene Adjuvantien, Antigene, Nanopartikel, Viruspartikel und Liposomen enthalten, die flexibel kombiniert werden können. Über die Wahl des Adjuvans bzw. deren Kombination kann gezielt definiert werden, welche Eigenschaften die Vakzine haben soll. Wird sie für eine Immuntherapie bei einer Krebserkrankung verwendet und soll daher lokal im Tumor bleiben, sind hydrophobe Moleküle sinnvoll, ist eine Verbreitung im Körper gewünscht, sind hydophile Eigenschaften nötig.
Der Wunsch, das Immunsystem gezielt zu beeinflussen ist älter, das das Wissen über dessen Existenz. Auch zukünftig wird die Forschung weiter daran arbeiten, Mittel und Wege zu finden, um die Immunantwort gezielt zu steuern und für die Gesundheit der Menschen zu nutzen. Besonders im Hinblick auf chronische Entzündungen und Autoimmunerkrankungen bleibt es spannend, was die kommenden Jahre bringen werden.