Patienten reagieren weniger gut auf eine Strahlentherapie, wenn ihre Tumoren eine schlechte Sauerstoff-Versorgung aufweisen. Forscher wollen nun einen neuen Behandlungsansatz etablieren, der die Strahlenempfindlichkeit solcher Tumorzellen erhöhen könnte.
Die Strahlentherapie ist nach der Chirurgie die am häufigsten eingesetzte Behandlung bei Tumorerkrankungen und kommt bei mindestens der Hälfte aller Patienten zum Einsatz. Dank vieler Fortschritte in Medizinphysik und Informatik verbesserten sich in den letzten Jahren stetig Wirksamkeit und Heilungserfolge der Strahlentherapie. Doch Tumore reagieren kaum auf eine Bestrahlung, wenn sie schlecht mit Sauerstoff versorgt werden.
Um die Erfolgsaussichten einer Strahlentherapie bei Tumorpatienten genauer einschätzen zu können, plädieren mittlerweile viele Mediziner für eine Messung der Sauerstoff-Konzentration im Tumor. Dies kann entweder mit Hilfe einer Sonde geschehen, die in das betroffene Gewebe eingeführt wird, oder durch den Nachweis von Substanzen, die Tumorzellen als Folge einer niedrigen Sauerstoffkonzentration bilden. Das Protein Osteopontin könnte sich hierfür besonders gut eignen, da es von Tumorzellen ins Blut freigesetzt wird. Eine einfache Blutprobe genügt somit, um Osteopontin aufzuspüren.
Osteopontin als Dignostikmarker?
Erste Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren ein hoher Osteopontin-Wert im Blutplasma mit höheren Rückfallraten nach einer Strahlentherapie korreliert. Ein Forscherteam des Universitätsklinikums Halle möchte nun Osteopontin als Diagnostikmarker in der Strahlentherapie zum Durchbruch verhelfen. Wie Professor Dirk Vordermark kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt gab, möchte er zusammen mit seinen Mitarbeitern dabei den Umstand ausnutzen, dass es verschiedene Varianten von Osteopontin gibt, die vermutlich mit unterschiedlicher Häufigkeit im Tumorgewebe produziert werden. Auch könnten, so der Wissenschaftler, die einzelnen Osteopontin-Varianten ein Angriffsziel für Behandlungsansätze darstellen, welche die Strahlenempfindlichkeit der Tumorzellen erhöhen.
Osteopontin entsteht normalerweise in einer ganzen Reihe von Zelltypen, besonders häufig aber im Knochengewebe. Es bindet den Mineralstoff Hydroxylapatit und bildet die Grundstruktur für Knochen. Osteopontin spielt paradoxerweise aber auch eine wichtige Rolle beim Fortschreiten vieler Krebserkrankungen. Tumore wachsen nicht isoliert, sie benötigen Blutgefäße zur Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen. Damit das Gefäßwachstum in Gang kommt, geben die entarteten Zellen Botenstoffe in das umgebende Gewebe ab. An dieser Signalübertragung ist auch Osteopontin beteiligt und deshalb produzieren es Tumore in großer Menge. „Angiogenese, aber auch Metastasierung werden durch Osteopontin begünstigt“, sagt Vordermark, der Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Strahlentherapie in Halle ist. „Je schneller aber Tumoren wachsen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich genügend Gefäße bilden, um den Tumor ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen.“
Sauerstoff-Radikale zerstören Zellbestandteile
Das lebenswichtige Molekül trägt entscheidend dazu bei, dass energiereiche Strahlen Tumorzellen vernichten können. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Einerseits fixiert Sauerstoff die Schäden in der DNA, die durch die Bestrahlung entstanden sind. Sauerstoffunterversorgte Tumorzellen können also DNA-Schäden besser reparieren. Andererseits bilden sich als Reaktion auf die Strahlentherapie so genannte Sauerstoffradikale – reaktive Teilchen, die nicht nur die DNA, sondern auch andere Zellbestandteile wie Membranen oder Proteine beschädigen. „Wenn wir Patienten mit hypoxischen Tumoren besser erkennen, ließen sich diese mit speziell angepassten Therapien wirkungsvoller bekämpfen“, sagt Vordermark.
Um diesem Ziel näher zu kommen, behandelten er und seine Mitarbeiter Brustkrebszellen im Reagenzglas mit einem Hemmstoff, der dafür sorgte, dass die Zellen weniger Osteopontin herstellten. Im Vergleich zu unbehandelten Zellen reagierten die Zellen mit einer gestörten Osteopontin-Produktion etwas sensitiver auf eine anschließende Bestrahlung. Um die Effizienz der Behandlung zu optimieren, setzt Vordermark auf eine gezielte Hemmung einzelner Varianten von Osteopontin. „Es gibt Hinweise, dass nicht alle drei Varianten in gleichem Ausmaß die Strahlenempfindlichkeit von Tumorzellen beeinflussen“, sagt Vordermark. Im Moment sind er und seine Mitarbeiter dabei, Behandlungsansätze zu entwickeln, um die Produktion der Varianten selektiv zu unterdrücken und ihren Einfluss auf die Strahlenempfindlichkeit von Tumorzellen zu untersuchen.
Studien entscheiden über molekulares Angriffsziel
Auch andere Experten halten es für möglich, die Strahlenempfindlichkeit von Tumorzellen zu erhöhen: „Es ist ein viel versprechender Ansatz, auf molekularer Ebene Krebszellen so zu beeinflussen, dass diese nach einer Bestrahlung DNA-Schäden nicht mehr so gut reparieren können“, sagt Professor Peter Rodemann, Leiter der Sektion für Strahlenbiologie und Molekulare Umweltforschung an der Tübinger Universitätsklinik für Radioonkologie mit Poliklinik. Ob Osteopontin oder doch ein anderes zelluläres Angriffsziel dafür in Frage kämen, müssten zukünftige klinische Studien zeigen, findet Rodemann, da sich die Ergebnisse von Experimenten mit einzelnen Krebszellen nicht eins zu eins auf das komplexe Geschehen im Tumorpatienten übertragen ließen.
Vordermark möchte Osteopontin und seine Varianten aber auch als eigenständigen Prognosefaktor etablieren, der zusammen mit anderen Faktoren wie Tumorgröße, Stadium und Metastasierung dabei helfen könnte, eine exaktere Vorhersage zu treffen, wie groß die Überlebensaussichten von Patienten sind. In einer klinischen Studie hat Vordermarks Team 97 Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs rekrutiert, die alle einer Strahlentherapie unterzogen wurden. Zu Beginn, am Ende und vier bis sechs Wochen nach Abschluss der Behandlung maßen die Forscher die Osteopontin-Konzentration im Blut der Patienten.
Keine exakten Grenzwerte für Osteopontin
Erste Zwischenergebnisse deuten daraufhin, dass ein niedriger Osteopontin-Wert mit einer längeren Überlebenszeit verbunden ist. Mit den Endergebnissen der Studie rechnet Vordermark noch dieses Jahr. Einen routinemäßigen Einsatz von Osteopontin als Diagnostikmarker steht er bislang skeptisch gegenüber: „Da Osteopontin auch im Blut von Gesunden vorkommt, lassen sich wohl keine exakten Grenzwerte definieren, mit deren Hilfe Mediziner entscheiden könnten, ob ein Tumor vorliegt und ob dieser gut oder schlecht mit Sauerstoff versorgt wird“, sagt Vordermark. „Osteopontin ist wahrscheinlich besser für die Verlaufskontrolle einer Therapie geeignet.“