Menschen verstehen komplexe Muster manchmal besser als ein Großrechner. Das machen sich Forscher jetzt auf der Suche nach Krankheiten zunutze - mit einem Computerspiel.
Das Humangenomprojekt veröffentlichte vor 10 Jahren die erste Blaupause eines menschlichen Genoms. Der Bauplan des Menschen besteht aus drei Millionen Basenpaaren. Seit Jahren durchforsten Wissenschaftler diesen Datenhaufen, um Sequenzen und Gene zu finden, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind. Dabei hilft auch der direkte Vergleich mit dem Erbgut anderer Spezies, wie zum Beispiel Mäuse oder Affen. Auf diese Weise lässt sich herausfinden, welche Bereiche evolutionär von Bestand sind. Haben sich DNA-Sequenzen seit Millionen von Jahren nicht verändert, sind sie wahrscheinlich besonders wichtig. Mutationen, verschobene Basenpaare oder Lücken in diesen Bereichen könnten dann gefährlich sein und Krankheiten oder Fehlbildungen auslösen.
Menschliche Psyche arbeitet mit anderen Programmen
Bislang sind es vor allem Computer, die mit Hilfe von Algorithmen und Programmen, den Hauptteil der Vergleichsarbeit zwischen den Spezies erledigen. Doch die Methoden zum Abgleichen sind weit davon entfernt, exakte Ergebnisse zu liefern. Abweichungen von Regeln und komplizierte Kombinationen sind selbst für Großrechner nur sehr schwer nachzuvollziehen.
Die menschliche Psyche arbeitet jedoch mit anderen Programmen. Wo Computer mit ihrer Rechenleistung kämpfen und selbst ausgeklügelte Algorithmen an ihre Grenzen geraten, ist der Mensch mit Hilfe von visueller Intelligenz hervorragend darauf getrimmt, komplexe Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Diese Qualität setzen nun auch Wissenschaftler ein. Forscher um den Computer-Biologen Jérôme Waldispühl von der McGill Universität in Montreal haben ein Spiel entwickelt, das mit einigen Mausklicks dabei helfen soll, eines der größten Probleme der vergleichenden Genetik zu lösen.
Bio-Kenntnisse braucht man für Phylo nicht: „Die Spieler müssen nichts über Genetik wissen, um mitzumachen“, sagt der Koautor der Studie Mathieu Blanchette. „Es ist ein reines Spiel.“ Die kleinen Quadrate, die in vier Farben daher kommen, müssen auf einer horizontalen Linie so positioniert werden, dass sie möglichst viele Übereinstimmungen mit darunter liegenden Reihen haben. Mit jeder Stufe kommt eine weitere Linie mit neuen Quadraten hinzu, die das Kombinieren immer schwerer macht. Die farbigen Klötze stehen dabei für Bausteine des Erbguts, die Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Jede Reihe symbolisiert hingegen die unterschiedlichen Spezies. Ganz nebenbei stellen die Spieler so Übereinstimmungen in Erbgutsequenzen verschiedener Arten heraus. Die besten Ergebnisse der Spieler sammeln die Forscher in einer Datenbank, um sie anschließend mit Hilfe ihrer Computer und speziellen Algorithmen weiter zu bearbeiten.
70 Prozent genauere Ergebnisse
Das Spiel, das an eine Mischung aus Tetris und einem Zauberwürfel erinnert, hat jetzt schon tausende Anhänger. Im Fachblatt Plos one beschreiben die Wissenschaftler: In nur sieben Monaten haben sich 12.252 Menschen registriert, rund 3.000 spielen regelmäßig und erfolgreich. Die Phylo-Methode erreicht um bis zu 70 Prozent genauere Ergebnisse als die Computerberechnungen allein.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler auf die Schwarmintelligenz setzen. Während Phylo sich dem DNA-Vergleich widmet, berechnet das Online-Spiel Foldit seit 2008 die dreidimensionale Struktur von Proteinen. In der Fachzeitschrift Nature Structural & Molecular Biology berichteten der Biochemiker David Baker von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen im letzten Jahr, dass sie mit Foldit und zwei Spielerteams in nur drei Wochen die Struktur eines Enzyms aus dem HIV-ähnlichen Mason-Pfizer-Affenvirus entschlüsselt hätten, an der Forscher zuvor 15 Jahre tüftelten. Die räumliche Form des Proteins soll ihnen nun dabei helfen, neue Medikamente gegen AIDS zu entwickeln.
Eines der ersten Projekte, in das normale Bürger und Hobby-Forscher mit einbezogen wurden, war Galaxy Zoo. Internetnutzer werteten für den amerikanischen Astrophysiker Kevin Schawinski Teleskopbilder aus. Sie sollten bewerten, ob Galaxien kugel- oder spiralförmig sind. Schawinskis Bilderkennungssoftware scheiterte immer wieder an dieser Aufgabe.