Anders als bisher vermutet verändert bereits eine kurze sportliche Betätigung die Ablesehäufigkeit bestimmter Gene in Muskelzellen. Das könnte ein Grund dafür sein, warum Sport diversen Erkrankungen vorbeugt und zahlreiche Krebsarten positiv beeinflusst.
Bisher nahmen Wissenschaftler an, dass das Methylierungsmuster von Erwachsenen relativ unveränderlich und stabil gegenüber nur kurzzeitig auftretender Umwelteinflüsse sei. Eine kürzlich im Fachmagazin “Cell Metabolism” veröffentlichte Studie unter schwedischer Leitung zeigte nun jedoch, dass sportliche Betätigung die epigenetischen Modifikationen der DNA in Muskelzellen innerhalb von Minuten beeinflussen kann. "Man weiß schon lange, dass Sport Veränderungen in der Muskulatur, einschließlich eines erhöhten Fett- und Zuckerstoffwechsels, hervorruft", so Juleen Zierath, Studienleiterin am Karolinska Institutet in Stockholm. "Unsere Entdeckung ist, dass sich zuerst die Methylierung verändert."
Radeln für die Gesundheit
Forscher aus Dänemark, Irland und Schweden hatten an 14 jungen und gesunden, aber nicht sportlich aktiven Frauen und Männern untersucht, welchen Einfluss Sport auf die Ablesehäufigkeit bestimmter Gene in Muskelzellen hat. Dazu ließen sie ihre Probanden so lange auf einem Fahrrad-Ergometer mit 80 Prozent der Maximalleistung strampeln, bis sie 400 Kilokalorien verbrannt hatten. Das dauerte, je nach Leistungsfähigkeit des Studienteilnehmers, zwischen einer halben und einer Stunde.
Weniger blockierende Methylgruppen
Die Wissenschaftler entnahmen jedem Probanden drei kleine Zellproben aus der Seite des Oberschenkelmuskels: Vor dem Training, unmittelbar danach und drei Stunden nach Trainingsende. In diesen Muskelzellen untersuchten sie bestimmte Gene auf ihren Methylierungsstatus hin. Das Ergebnis war überraschend: Zuvor durch Methylgruppen blockierte DNA-Abschnitte wurden bereits in den Zellproben, die unmittelbar nach Trainingsende genommen worden waren, abgelesen. In den Proben, die drei Stunden nach der sportlichen Aktivität der Probanden entnommen worden waren, fehlten sogar noch mehr genblockierende Methylgruppen. "Unsere Muskeln passen sich an das an, was wir tun – und dies ist einer der Mechanismen, die dies möglich machen", kommentiert Prof. Zierath von der Abteilung für Molekulare Medizin und Chirurgie am Karolinska Institutet ihre Ergebnisse. Nach dem Sport waren hauptsächlich Stoffwechselgene von ihren Methylblockaden befreit. Der Demethylierungseffekt scheint jedoch nicht von langer Dauer zu ein, wie die Wissenschaftler in weiteren Untersuchungen feststellten. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum sportliche Aktivitäten nur dann die menschliche Gesundheit fördern, wenn sie regelmäßig ausgeübt werden.
Epigenetische Veränderungen - was war das noch mal?
Die Epigenetik befasst sich mit den Zelleigenschaften, die an die Tochterzellen vererbt werden, aber nicht in der DNA-Sequenz festgelegt sind. Epigenetische Veränderungen führen dazu, dass Bereiche des Erbgutes „ruhig gestellt“, andere dafür leichter gelesen werden können. Die wichtigsten Modifikationen dabei sind die DNA-Methylierung und die Seitenketten-Methylierung und -Acetylierung von Histonen.
DNA-Methylierung
Bei höher entwickelten Organismen dient die Methylierung der Markierung von aktiven und inaktiven Bereichen der DNA. Sie gleicht Textmarkierungen in einem Buch, über die in erster Linie die Genexpression reguliert ist. In den allermeisten Fällen werden Gene, die methyliert sind, „abgeschaltet“. Von den vier Basen, die die DNA ausmachen, wird dabei nur das Cytosin methyliert. Dies geschieht durch spezielle Enzyme, den Methyltransferasen. Der Prozess der Methylierung ist jedoch nicht endgültig. Ein Enzym namens DNA-Methylase kann ihn wieder rückgängig machen. Findet die Methylierung an regulatorischen DNA-Abschnitten wie der Promotorregion eines Gens statt, ändert sich dadurch dessen Lesbarkeit.
Wie in allen anderen Zellen spielen spezialisierte Enzymen, die Transkriptionsfaktoren, auch in den Skelettmuskelzellen des Menschen eine Rolle bei der Stimulierung von Genen. Sie docken in der Promotorregion eines Gens an und bringen dort dessen Ablesung in Gang. Ohne Sport sind diese Andockstellen durch Methylgruppen blockiert. Die Gene können nicht abgelesen werden. Bei sportlichen Aktivitäten entfernt der menschliche Körper offenbar die störenden Methygruppen schon nach kurzer Zeit und ermöglicht so den Transkriptionsfaktoren das Ablesen der Gene. Für die Anpassung der Muskeln an sportliche Belastung sind derart aktivierte Gene von großer Bedeutung. In den Veränderungen des Ablesemusters der DNA sehen die Forscher erste Schritte zur genetischen Umprogrammierung der Muskelzellen, die sie stärker und ausdauernder machen.
Kaffee statt Sport?
Ähnliche Beobachtungen wie bei den sportlich aktiven Probanden machten die Forscher bei isolierten Muskelzellen von Mäusen, die sie im Labor kontraktierten. Auch in vitro verschwanden Methylgruppen von der DNA der Zellen. Diesen Effekt beobachteten die Forscher jedoch nicht nur in aktiven Muskelzellen. Der Kontakt mit Koffein zeigte dieselbe Wirkung auf die Zellen wie Sport - zumindest in der Petrischale. „Koffein ahmt offenbar die Wirkung der sporttypischen Muskelkontraktionen nach“, vermutet Prof. Zierath. Wer aber hofft, den Sport künftig durch einen Tasse Kaffee ersetzen zu können, wird enttäuscht. Laut der Wissenschaftler gibt es noch keine klaren Beweise dafür, dass Koffein dieselben gesundheitlichen Vorteile wie Sport besitzt. „Sport ist Medizin. Für ein dauerhaft verändertes Epigenom und eine bessere Gesundheit werden wir uns bewegen müssen", so Prof. Zierath.