Das Thema Medikamentenmissbrauch unter Medizinstudenten und Ärzten gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Relevanz, denn der Griff zu Ritalin und anderen aufputschenden Mitteln wird immer häufiger. Wir zeigen euch, was Mediziner alles tun, um im Leistungsdruck zu bestehen.
Was haben beispielsweise Dr. House und Dr. John Carter aus „Emergency Room“ gemeinsam? Sie sind nicht nur Ärzte in Krankenhausserien, sondern haben auch Erfahrungen mit Medikamentenmissbrauch. Dies ist mittlerweile ein Phänomen, welches unter Medizinern sehr verbreitet zu sein scheint. Bereits als Medizinstudent versucht man aufgrund der hohen Anforderungen im Studium seine Leistung voranzutreiben oder die Konzentrationsfähigkeit ständig zu steigern. Das Trinken von Kaffee oder Energiedrinks ist daher keine Seltenheit. Auch greift man zu Koffeintabletten, um länger wachbleiben und lernen zu können.
Ritalin in den USA schon Mode
All diese Methoden, um seine Leistung zu steigern und aufrecht erhalten zu können, liegen noch im harmlosen und legalen Bereich. Aber der Trend, auf stärkere und verschreibungspflichtige Medikamente umzusteigen, ist immer mehr auf dem Vormarsch. In den USA ist es längst keine Seltenheit mehr, dass Studenten zu Mitteln wie Ritalin greifen, um bessere Leistungen zu erzielen. Laut Statistiken nimmt in den USA bereits jeder vierte Student das Medikament Ritalin zu sich.
Auch in der Schweiz ist dieser Trend bereits angekommen, jedoch nicht so ausgeprägt wie vermutet. Laut Statistiken haben zirka 4,5 Prozent der Studenten das Medikament bereits probiert, es laut eigener Angabe aber nicht weiterhin zu sich genommen. Offiziell hat sich der Gebrauch von Ritalin in der Schweiz jedoch verachtfacht, was auf einen Missbrauch hindeuten könnte.
In Deutschland wurde eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass lediglich fünf Prozent aller Studenten zu solchen Medikamenten greifen. Bei den Tiermedizinern ist der Prozentsatz sogar noch höher als bei den Humanmedizinern. Ritalin wird jedoch auch in Deutschland immer häufiger verschrieben. Zwischen den Jahren 1993 und 2003 ist die Anzahl der Verschreibungen beispielsweise um fast 300 Prozent gestiegen.
Wenn Papa zum Dealer wird
Viele Studenten besorgen sich das Medikament entweder von erkrankten Geschwistern oder durch Ärzte in der eigenen Familie. Timo*, ein Student aus Göttingen, nimmt in den Klausurphasen Ritalin zu sich. „Mein Vater ist Psychiater und durch ihn komme ich an dieses Medikament. Ich habe mich bei ihm mehrere Male beklagt, dass ich so viel zu lernen habe und so wenig Zeit dazu.
Es war seine Idee, das Medikament für meine Klausurphasen zu testen. Ich glaube, mittlerweile könnte ich nicht mehr ohne Ritalin lernen, denn dadurch erhöht sich meine Effektivität und Konzentration beim Lernen. Die Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Appetitverlust, die mich während der Einnahme immer plagen, nehme ich dafür gerne in Kauf.“
Aber nicht nur angehende Mediziner stehen unter Verdacht, Medikamentenmissbrauch zu betreiben. Auch Ärzte geraten immer mehr ins Kreuzfeuer. Bei den Ärzten stehen aber weniger leistungssteigernde Medikamente wie Ritalin im Vordergrund, sondern vielmehr Beruhigungs- und Schmerzmittel. Viele Ärzte versuchen dadurch, den beruflichen Stress zu kompensieren.
Vorbilder: Die Ärzte
Ebenso wie bei den Studenten ist der Medikamentenmissbrauch bei Ärzten keine Seltenheit mehr. Es heißt, die Einnahme von Schmerzmitteln habe in den USA so stark zugenommen, dass die dortigen Bundesbehörden bereits von einer Epidemie sprechen. Laut einem Bericht des CDC (Center for Disease Control and Prevention) ist der Konsum alleine von Opioiden von 1997 bis 2007 um 400 Prozent gestiegen. Auch die Zahl tödlicher Überdosen verschreibungspflichtiger Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, wie Vicodin, Tilidin und Oxycodon, ist gravierend angewachsen und umfasste alleine im Jahr 2008 über 15.000 Fälle.
Das Auftreten von Suchterkrankungen speziell bei medizinischem Personal hat im deutschen Sprachraum im Unterschied zu den Vereinigten Staaten bisher leider wenig Beachtung gefunden. Eine ungefähre Schätzung geht bei Ärzten in Deutschland von einer Prävalenz von 2 bis zirka 5% aus, eine andere Schätzung von einer Lebenszeitprävalenz von 8%. In einer weiteren Schätzung werden bis zu 20.000 betroffene Ärzte vermutet.
Problem erkennen und beraten lassen
Dabei geht es in erster Linie um die Abhängigkeit von Alkohol, zweitens um den Mischkonsum von Alkohol und Tabletten und an dritter Stelle um reine Medikamentenabhängigkeit. In einer der wenigen neuen Studien in Deutschland, die von der Hamburger Ärztekammer durchgeführt wurde, hatten von den jungen Ärzten 23% der Frauen und 15% der Männer einen riskanten Konsum von Medikamenten und 11% der Männer und 4% der Frauen einen riskanten Konsum von illegalen Drogen, beispielsweise Cannabis.
Egal ob Medizinstudent oder Arzt, es ist wichtig, das Suchtproblem bei sich selbst zu erkennen und sich dementsprechend helfen zu lassen. Als Medizinstudent gibt es viele Möglichkeiten, sich beraten und helfen zu lassen, beispielsweise die psychologische Beratung an der Universität. Wichtig ist vor allem, dass man erkennt, dass es andere Mittel und Wege gibt, seine Leistung zu steigern wie beispielsweise Sport und eine gesunde Ernährung. Und dass man lernt, zu akzeptieren, dass man nun mal nicht 24 Stunden am Stück lernen und auch nicht immer alles wissen kann.
Auch den Ärzten kann in solchen Situationen geholfen werden. An vielen Kliniken existieren beispielsweise Programme, um süchtigen Ärzten zu helfen und ihnen Wege aufzuzeigen, um mit dem Stress auf natürliche Weise zurechtzukommen. Die Universitätsklinik Freiburg hat zum Beispiel solch ein Interventionsprogramm ins Leben gerufen. Das Programm beinhaltet unter anderem eine Entwöhnungs - bzw. eine Entzugsbehandlung. Auch hierbei muss man lernen, auf natürlichem Wege den Stress abzubauen, und dass Medikamente keine dauerhafte Lösung sind.
*Name geändert