Auch diese Woche stellen wir euch wieder eine seltene Krankheit vor: Das Marfan-Syndrom. Obwohl diese Erbkrankheit in sämtlichen Büchern als Beispiel dient, tritt sie nicht sehr häufig auf. Und ist im Ernstfall auch viel gefährlicher als man denkt!
Dennis fiel eigentlich schon immer aus der Reihe. Obgleich er bald seinen 8. Geburtstag feiert, ist er schon größer als sein erwachsener Bruder und wird von garstigen Mitschülern immer nur „der Lange“ genannt. Als Dennis im Sportunterricht mehrfach unter plötzlichem Herzrasen leidet, schickt ihn die Lehrerin zum Arzt. Dieser stellt schon auf den ersten Blick die Verdachtsdiagnose „Marfan-Syndrom“ und überweist den Jungen zum Augenarzt und zu einem Kardiologen. Diese stellen eine ausgeprägte Subluxation beider Linsen und eine mäßig geweitete Hauptschlagader fest. Auf Empfehlung des Hausarztes stellt sich der kleine Dennis schließlich in einer humangenetischen Sprechstunde vor. Die Verdachtsdiagnose wird bestätigt und er erhält von nun an eine regelmäßige ärztliche Betreuung.
Viele Organe sind betroffen
So wie der kleine Dennis im obigen Fallbeispiel sind in Deutschland etwa ein bis zwei Personen von 10.000 Bundesbürgern vom Marfan-Syndrom betroffen. Es handelt sich dabei um eine humangenetische Erkrankung des Bindegewebes, die neben dem äußeren Erscheinungsbild viele verschiedene Organsysteme betreffen kann. Der Erbgang des Marfan-Syndroms ist autosomal-dominant, wobei ein Großteil der Mutationen dem Fibrillin-Gen auf dem Chromosom 15q zugeordnet werden kann. Da molekulargenetische Analysen zurzeit aber noch sehr teuer sind, muss die Diagnose in der Regel klinisch gestellt werden. Neben dem auffälligen Hochwuchs, einer Aortendilatation sowie einer Subluxation der Linsen spielen aber noch andere Symptome auf dem Weg zur zuverlässigen Diagnose eine wichtige Rolle. So geben die klinischen Kriterien vor, dass mindestens zwei sogenannte Hauptkriterien erfüllt werden müssen. Ist dann noch ein drittes Organsystem betroffen, kann von einem Marfan-Syndrom ausgegangen werden.
Achtung, Aorta!
In Bezug auf die erwähnten Hauptkriterien sind die Skelettveränderungen von besonderem Interesse. Da der Hochwuchs an sich als Kriterium nicht ausreicht, werden die Extremitäten auf relative Überlänge hin untersucht. Übersteigt der Quotient aus Armlänge und Körpergröße einen Wert von 1,05, kann der Hochwuchs als Kriterium berücksichtigt werden. Ein weiteres Skelettmerkmal ist die Arachnodaktylie, die oftmals als „Spinnenfingrigkeit“ in den Lehrbüchern aufgeführt wird. Bei der Untersuchung der Augen zählt die bei Dennis festgestellte Linsensubluxation zu den Hauptkriterien und bei bis zu 90 Prozent der Marfan-Patienten lässt sich mit Hilfe bildgebender Verfahren eine sogenannte lumbosakrale Duraektasie nachweisen. Als besonders gefährlich gelten des Weiteren eine Dilatation der Aortenwurzel sowie die Dissektion der Aorta ascendens, da diese beiden kardiovaskulären Symptome mit ihren Komplikation wie einer Ruptur oder einer Herzinsuffizienz die Haupttodesursachen des Marfan-Syndroms darstellen.
Therapie: Quo vadis?
Die schlechte Nachricht zuerst: Eine Heilung ist nicht möglich und auch moderne Ansätze wie eine Gentherapie stecken noch in den Kinderschuhen. Als Gute Nachricht lässt sich jedoch feststellen, dass sich durch gründliche Kontrollen die genannten schweren Komplikationen verhindern lassen. So sollten die Augen im Falle einer Luxation regelmäßig kontrolliert werden, und zur Prophylaxe kardialer Komplikationen können u.a. ß-Blocker wie Metoprolol zum Einsatz kommen. Diese haben dann auch den kleinen Dennis von seinem Herzrasen befreit. Er wird zwar immer einer der Längsten bleiben, aber das hat ja oftmals auch so seine Vorteile!