Ärzte sollten die neuesten klinischen Studien aus ihrem Fachgebiet kennen. Doch bei der Flut an neuen Publikationen ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Ist jede Lancet-Studie auch eine gute Studie und wie findet man das heraus?
„Ein praktizierender Arzt, der im 21. Jahrhundert nicht in der Lage ist, eine Studie kritisch zu lesen, ist genauso unvorbereitet, wie ein Arzt, der keinen Blutdruck messen oder nicht das Herzkreislaufsystem untersuchen kann.“ Vor knapp zehn Jahren schon forderte Paul Glaziou, Professor für Evidence based Medicine in Oxford im British Medical Journal von Klinikärzten die Fähigkeit, Studien in der Fachliteratur selbst lesen zu können. Aber Hand aufs Herz: kann jeder Arzt seinem Patienten erklären, was „die zu gering gepowerte mehrarmige randomisierte Doppelblind-Studie im Crossover-Design“ für die Behandlung seiner Krankheit bedeutet? Bei der bekanntesten Datenbank für registrierte klinische Studien clinicaltrials.gov sind zur Zeit rund 250.000 Studien verzeichnet und ca. 43.000 in der „Rekrutierungsphase“. Diese stehen also am Beginn. Immer wieder schaffen es auch schlecht durchgeführte Studien in renommierte Zeitungen – allein wegen eines „sensationellen“ Ergebnisses. Gut ausgebildete Mediziner sollten dann aber in der Lage sein, sich die Originalpublikation zu beschaffen, um dort Methoden und Ergebnisse zu überprüfen und einzuschätzen. Die nachfolgenden Punkte können ihm dabei helfen.
Geht es darum, einen Zusammenhang aufzuklären, Risikofaktoren zu finden oder um Ursache und Wirkung? Beobachtungsstudien greifen nicht in den Körper des Patienten ein. Darunter fallen:
Randomisierte kontrollierte Studien (RCT) erlauben anders als bei Beobachtungsstudien Aussagen über Auslöser und Wirkung. Diese experimentellen Studien – typischerweise Arzneimittelstudien – vergleichen die Wirkung des Eingriffs mit einer möglichst ähnlichen Vergleichsgruppe zufällig zugeordneter Patienten ohne diesen Parameter. Diese Königsdisziplin klinischer Studien ist jedoch mehr als andere anfällig für Fehler. Ihr Ergebnis ist dann je nachdem ein schwacher Hinweis oder ein starker Beweis für die zuvor aufgestellte These.
Warum der ganze Aufwand? Schon die Einleitung verrät, ob die Studie wirklich Neues bringt oder ob sie nur irgendein Ergebnis eines Tests kommuniziert. Die persönliche Checkliste für die Prüfung:
Nicht immer lassen sich gute Hypothesen mit einem Minimum an Aufwand beweisen. Der Methodenteil verrät mögliche Tricksereien:
Eine gute Studie ist ergebnisoffen. Deswegen kommt es bei der RCT ganz besonders auf die Randomisierung (zufällige Verteilung der Teilnehmer auf Behandlungs- und Kontrollgruppe) und die Verblindung von Patient, Behandler und Auswerter an:
Bei einer Cross-over-Studie werden Kontroll- und Prüfgruppe nach einiger Zeit getauscht. Zumindest kurzfristige Effekte sollten dann in beiden Gruppen reproduzierbar sein. Generell gilt: Je ähnlicher sich Kontrolle und Fallgruppe sind, desto aussagekräftiger sind die Daten. Im Idealfall unterscheiden sie sich nur im untersuchten Merkmal. Das gilt auch für Beobachtungsstudien: Ein Arzt, der etwa wissen möchte, welche Risikofaktoren zu einer seltenen Krankheit beitragen, vergleicht dabei möglicherweise eine Population von Patienten aus einem großen Einzugsbiet mit einer regional eng begrenzten Kontrolle. In vielen Punkten dürften sich dann die beiden Gruppen unterscheiden, ohne dass sich daraus Schlüsse zur untersuchten Krankheit ziehen lassen.
Sind die Ergebnisse nur mittelmäßig, sollen aber so aussehen, als brächten sie echten Mehrwert? Gezieltes Weglassen von Informationen und Formatieren der Daten sind manchmal wie Nebelkerzen:
Ziehen die Autoren aus den Resultaten die richtigen Schlüsse? Hier sollte nicht nur etwas über die Beweiskraft der Ergebnisse stehen, sondern auch ein kritischer Blick auf folgende Punkte:
Im Anhang sollte der Arzt noch auf mögliche Interessenkonflikte hinweisen. Könnte sich eine zu starke Verbindung zur Industrie auf die Berichterstattung auswirken?
Wer sich aus den Ergebnissen einer einzigen Studie Hinweise für die Behandlung seiner Patienten erwartet, sollte immer bedenken, dass erst die gesicherte Wiederholung durch andere Wissenschaftler den Ergebnissen Sicherheit verleiht. Ist es demnach besser, sich auf Metaanalysen oder Cochrane-Reviews zu stützen? Nicht immer. Oft vermischen sich auch hier Studien mit guter und minderer Qualität. Eine vierstufige GRADE-Bewertung unterstützt die Review-Experten inzwischen bei der Erstellung von Leitlinien entsprechend der vorliegenden Studien. Aber selbst eine solche Einteilung hilft nicht immer gegen den „Publication Bias“. Manuskripte mit überraschenden und ganz neuen Daten haben eine wesentlich bessere Veröffentlichungs-Chance in einem hochrangigen Fachjournal als Wiederholungsstudien oder solche mit guter Studienkonzeption, aber ohne eindeutigem Ergebnis. Misslungene Wirkstofftests bleiben häufig in der Schublade. Regelmäßiger Austausch mit Experten ist deswegen genauso wichtig wie kritisches Lesen von Studiendaten. Der Autor hat weitere interessante Fundstellen im Netz zum kritischen Lesen von Studien zusammengetragen. Diese finden Sie, thematisch sortiert, hier.