Die Informationen von Bildgebung und Histologie geben oft unzureichende Antworten bei der Entscheidung für eine persönlich zugeschnittene Therapie bei Brustkrebs. Auf der Suche nach Biomarkern soll in Zukunft das gesamte Genom durchgesehen werden.
In den letzten Tagen machte das Thema „Brustkrebs“ wieder gehörige Schlagzeilen. Hat Deutschland wirklich die höchste Brustkrebs-Todesrate in Europa, wie die „Annals of Oncology“ vorgeben? Die Deutsche Gesellschaft für Senologie dementierte umgehend, weil die Zahlen nicht wirklich statistisch signifikant seien, und zitierte in der Pressemitteilung eine Studie in „Onkologie“ vom Juli 2011 mit rund 4.000 Teilnehmerinnen. Ergebnis: Patienten mit primärem Mammakarzinom hatten danach unabhängig von den klassischen Prognosefaktoren in einem zertifizierten Brustzentrum deutlich bessere Überlebensaussichten.
Nur vier Prozent profitieren von einer Chemotherapie
Wenn das Tumorgewebe den Wachstumsfaktor HER2/neu stark überexprimiert, kommt eine Therapie mit dem Antikörper Trastuzumab in Frage, eine Erfolgsgeschichte der neueren Onkologie. Für Tumoren, die weder HER2/neu noch Rezeptoren für Östrogen (ER) oder Progesteron (PR) aufweisen, gibt es jedoch bisher nur ganz wenige Biomarker, die auf Angriffsziele für neue Wirkstoffe hinweisen. Solche Biomarker werden aber dringend gebraucht, um Tumoren in Hinblick auf ihre Gefährlichkeit und die Wirkung von Therapien zu charakterisieren.
Mit der guten Auflösung moderner Bildgebung werden inzwischen auch sehr kleine Knoten sichtbar, die noch nicht in den Lymphknoten auftauchen. Neun von zehn Frauen mit Brustkrebs überleben die Erkrankung um mehr als fünf Jahre, wenn das Tumorgewebe nicht mehr als drei Zentimeter im Durchmesser misst. Aber wieviel Therapie ist dann überhaupt nötig? Eine Chemotherapie ist für Frauen oft sehr belastend. So sagt Randy Scott von der amerikanischen Biotech-Firma Genomic Health: „Wir wissen mittlerweile aus der großangelegten Auswertung vieler einzelner klinischer Studien, dass nur vier Prozent der Patientinnen sicher von einer Chemotherapie profitieren.“ Seine Firma produziert ein Testkit, mit dem sich der Tumor sehr viel besser charakterisieren lässt. „Oncotype DX“ misst die Expression von 21 Genen und gibt damit deutliche Hinweise auf eine effektive und ökonomische Therapie.
Next-Generation-Sequencing: 3000 potentielle Marker
Die Zukunft sieht aber Scott in weit mehr als 21 Genen. Vor kurzem präsentierte er Pläne, nachdem das gesamte Transkriptom den Tumor beschreiben soll. Ein Vorteil dabei: Die RNA gewinnen die Wissenschaftler aus formalinfixierten Paraffinproben des Tumors. Viele Jahre nach der Einlagerung wird es durch den Vergleich der aktuellen Tumorprobe mit eingelagerten Schnitten möglich, von der Expression der sequenzierten RNA auf den weiteren Verlauf der Krankheit und die Wirkung der jeweiligen Therapie zu schließen. Das so genannte „Next Generation Sequencing“ ergab in einer Untersuchung von 136 Patienten nahezu 3.000 RNA-Transkripte, die sich mit dem Verlauf der Krankheit in Verbindung bringen lassen.
Sehr viele dieser Genprodukte werden erst mit Hochdurchsatz-Sequenzierung sichtbar, denn sie kodieren nicht für ein Protein, sondern sind RNAs aus Introns. Die exakte Analyse der Codes ergab im Vergleich zum etablierten Oncotype-Test ganz ähnliche Ergebnisse bei den Proben, jedoch mit weit besserer Auflösung. Scott ist daher überzeugt, dass der „Transkriptom-Sequenzierung“ die Zukunft gehört: „Wir hoffen, dass wir in 10 Jahren das komplette Tumorgenom eines jeden Krebspatienten analysieren können, um so die individuelle Erkrankung besser zu verstehen und damit die Behandlung für jeden einzelnen Patienten so individuell wie möglich gestalten zu können.“
Gute und schlechte Metagene
Aber nicht nur in der amerikanischen Biotech-Industrie, auch in Deutschland sind Forscher neuen Brustkrebs-Markern auf der Spur. An der Universitätsklinik in Mainz hat etwa eine „Clusteranalyse“ von exprimierten Genprodukten bestimmte Metagene ergeben, die eine günstige bzw. schlechte Entwicklung voraussagen. Eine schlechte Prognose ergibt sich etwa dann, wenn das „Proliferations-Metagen“ sehr hoch und Östrogen- und Immunzell-Metagene niedrig exprimiert sind. Eine Veröffentlichung vom Dezember 2011 in „PloS One“ beschrieb einen Test mit 256 Genproben, der weitgehend mit den Metagenen für Entzündung und Angiogenese korreliert. Die Autoren aus Deutschland und Amerika sahen mit dem Test bei den Referenzproben aus der Gewebebank eine 70-prozentige 10-Jahres-Überlebensrate bei günstiger Prognose. Bei schlechter Vorhersage haben dagegen Patientinnen mit dreifach negativem Brustkrebs nur eine 20-Prozent Chance.
Rund sechs Millionen Euro spendiert die Europäische Union für das Projekt „Responsify“, bei dem sich Forscher aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Schweden, der Schweiz und Großbritannien auf die Suche nach neuen Brustkrebs-Markern machen. Auch dabei steht die genomweite Suche im Vordergrund, mit „Next Generation Sequencing“, Bestimmung von epigenetischen Veränderungen und in-situ-Proteomik. Ziel des Projekts sei es unter anderem, so der Sprecher der Allianz, Carsten Denkert von der Charité, die neoadjuvante Therapie zu stärken, also nicht-invasive Methoden vor einer Operation. Sie „hat den Vorteil, dass das Ansprechen des Tumors auf die Therapie direkt sichtbar wird. Daher können wir leichter beurteilen, welche Biomarker zur Steuerung der Therapie geeignet sind."
Norwegen: Tumorsequenzierung als Standard-Diagnostik
Dass die genomweite Typisierung von Tumorgewebe schon bald zum Standard gehören könnte, zeigt eine Meldung von Anfang Februar. „Norwegen wird eines der ersten Länder sein, die mit Next-Generation Sequencing anstatt bisherigen Gentests nach Mutationen im Tumor suchen werden“ berichtet Ewen Callaway von „Nature“. Nach einer Pilotphase mit 1.000 Patienten will das Land die Infrastruktur aufbauen, um bei Bedarf bei jeder Krebs-Neuerkrankung den Tumor Base für Base auseinanderzunehmen.
Lesen Sie demnächst den zweiten Teil der Serie: "Brustkrebs-Tests auf dem Markt (Verwendung, Erstattung, Zulassung)"